Das Trottoir denen, die zu Fuß gehen

Mit einem Pilotprojekt will das Bezirksamt Neukölln Fahrräder und Elektroroller vom Gehweg holen

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer in Neukölln auf der Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee flanieren möchte, braucht zwei Dinge: gute Augen und einen schnellen Schritt. Von links, von rechts, von vorn, von hinten - aus allen Richtungen können Radler*innen und E-Scooter-Fahrende unvermittelt auf den Gehweg stoßen und Fußgänger*innen zu waghalsigen Ausweichmanövern zwingen. Das Problem der illegalen Nutzung der Gehwege durch Zweiräder ist im dicht besiedelten Norden Neuköllns inzwischen so groß geworden, dass sich beim Bezirksamt die Beschwerden wütender Anwohner*innen stapeln. Ganz zu schweigen von den Unfällen, die durch Rad- und Rollerfahrende dort regelmäßig provoziert werden.

Um der Lage Herr zu werden und die Zweiräder vom Trottoir zu holen, hat der Bezirk ein Pilotprojekt gestartet. An fünf Stellen in Nord-Neukölln wurden nun Piktogramme auf die Gehwege gesprüht, die ein durchgestrichenes Fahrrad oder einen durchgestrichenen E-Scooter zeigen. Die Botschaft an die Zweiradnutzer*innen: Wer kein Kind bis zehn Jahren dabei hat, hat hier nichts verloren.

Neuköllns alter und vermutlich auch neuer Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) war bei der Sprühaktion dabei. »Die Stadt wird enger. Nur durch mehr Miteinander, gegenseitige Rücksichtnahme und die Einhaltung der geltenden Regeln können wir die Konflikte im Verkehr reduzieren«, sagt Hikel. Es gelte, Unfälle zu verhindern und diejenigen zu schützen, die den Schutz am dringendsten benötigen, etwa ältere Menschen und Kinder. Das Ordnungsamt ist aufgefordert, das Verbot in den kommenden Wochen stärker zu kontrollieren und Knöllchen zu verteilen.

Begleitet wird die Aktion von einer deutsch- und englischsprachigen Social-Media-Infokampagne zur korrekten Nutzung der verschieden Verkehrsbereiche im öffentlichen Raum. Denn E-Scooter fahren legal nur auf Radwegen, Radfahrstreifen und Fahrradstraßen. Auch gemeinsame Geh- und Radspuren dürfen sie nutzen. Nur wenn es solche Alternativen nicht gibt, darf auch die Straße befahren werden. Reine Gehwege sind für Roller prinzipiell tabu. Rund drei Wochen soll das Pilotprojekt laufen. Danach sind die Piktogramme verblichen. Eine Auswertung, die auch die Reaktionen aus der Bevölkerung mit einbezieht, soll schließlich zeigen, ob die Aktion ein Erfolg oder ein Misserfolg war.

Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr Deutschland Fuss begrüßt die Aktion. »Das Projekt ist symbolisch richtig, wird die Situation allein aber nicht grundsätzlich verbessern«, sagt der Fuss-Sprecher. Die meisten Radfahrenden und Roller-Nutzer*innen wüssten, dass sie nicht auf den Gehwegen fahren dürfen, machten es aus Bequemlichkeit oder als Provokation aber trotzdem. »Hier helfen dann nur noch Kontrollen und Bußgelder.« Aus Sicht Stimpels hat das Problem des Gehwegmissbrauchs in Berlin deutlich zugenommen. Das liege am vermehrten Radverkehr sowie an den vielen Anbietern von E-Scootern, die die Roller vor allem im Innenstadtbereich schnell verfügbar machen. »Senioren berichten uns, dass sie sich tagsüber kaum noch aus ihrer Wohnung trauen, weil sie Angst vor rücksichtslosen Radfahrern und Roller-Fahrern haben«, sagt Stimpel.

Auch für Kinder und Menschen mit Handicap seien Zweiräder auf Gehsteigen eine gefährliche Sache. Für diese Gruppen verliere der Bürgersteig seine Funktion als Schutzraum für ihre Mobilität. Große Hoffnung setzt der Fußverkehr-Verband in den neuen Bußgeldkatalog, der nach langem politischen Tauziehen am 8. Oktober vom Bundesrat verabschiedet werden soll. Damit wird es für Radler*innen und Scooter-Fahrer*innen auf dem Gehweg deutlich teurer. Statt wie bisher 10 Euro werden dann mindestens 55 Euro fällig. Im internationalen Vergleich ist das immer noch milde. Wer etwa in Paris mit seinem Zweirad das Trottoir missbraucht, muss 120 Euro hinblättern. »Die bestehenden Regeln müssen durchgesetzt werden«, findet Fuss-Sprecher Stimpel. »Diejenigen, die andere Menschen im Verkehr gefährden, müssen hart sanktioniert werden.« Vom neuen Berliner Senat wünscht er sich Unterstützung für die Bezirke. So könnten Polizist*innen bei Kontrollaktionen auf den Gehsteigen den Ordnungsämtern unter die Arme greifen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -