Die heilige Ware Buch

Darf es noch ein bisschen Kunst sein? Oder lieber nur Markt? Ein kurzer Abriss über Literatur und Profit von damals bis heute

  • Carolin Amlinger
  • Lesedauer: 6 Min.

Literatur steht nicht außerhalb des Marktes, in dem sie entsteht. Die wirtschaftliche Produktion der »heiligen Ware Buch«, die Bertolt Brecht so spitzfindig gekennzeichnet hat, erfolgt trotz der antiökonomischen Prämisse künstlerischer Felder, dass Kunst keine Ware sei. Der außerordentliche Charakter von Literatur besteht darin, kommodifiziert zu sein, ohne vollständig kommodifiziert werden zu können, das heißt, als Ware gehandelt zu werden und gleichzeitig nicht nur Ware zu sein. In der Herausbildung des modernen Buchmarktes wurden weder die literarische Arbeit noch das literarische Werk selbst vollständig den Gesetzen kapitalistischer Produktion unterworfen; sie besitzen vielmehr einen den Markt exkludierenden Charakter. Erst wenn das Werk auf dem Markt zirkuliert, also das Manuskript einer Autor*in verlegt wird und als Buch die Umlaufbahn des Buchhandels durchquert, ist es eine reproduzierbare Ware.

Diese Eigenart der literarischen Ökonomie strukturiert die sozialen Handlungszusammenhänge, ihre Institutionen sowie Wertmaßstäbe. Man arbeitet idealiter um der Kunst willen, die materiellen und ideellen Interessen sind potenziell unvereinbar mit denen der rein ökonomischen Verwertungslogik. Autor*innen schaffen neben unterschiedlich profitablen Waren auch Literatur und damit Kunstwerke, die eigenen ästhetischen Gesetzen folgen und in einem sozialen Kosmos zirkulieren. Und dieser Kosmos, man könnte sagen: das Sozialsystem der Kunst, verhält sich gegenüber den Ansprüchen des Marktes widerständig. Er ringt mit der expansiven Dynamik des Marktes, alles der ökonomischen Verwertungslogik zu unterwerfen, um seine autonome Konstitution - über soziale und politische Konflikte. Werfen wir hierfür einen kleinen Blick in die Geschichte des Buchmarktes.

Die Buchautorin
Carolin Amlinger ist Literatursoziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Forschungsprojekt »Halbwahrheiten. Wahrheit, Fiktion und Konspiration im postfaktischen Zeitalter« an der Universität Basel. Sie forscht neben ihren literatursoziologischen Arbeiten zu Ideologietheorien, Postmoderne und Postfaktizität sowie Verschwörungstheorien.

Widersprüche des Buchmarktes

In der Epoche des Kaiserreichs konsolidierte sich der Buchmarkt als ausdifferenzierter Wirtschaftszweig. Mit der Überführung des ständischen Zunftwesens in eine moderne, arbeitsteilig organisierte Wirtschaft - auch im Verlagswesen - übertrug sich das kapitalistische Wirtschaftsprinzip auf die Literatur: Literarische Werke wurden mithilfe industrieller Druckverfahren für die Massenproduktion reproduzierbar und auf einem anonymen Markt gehandelt. Die konkurrierenden Verlagshäuser wurden damit zum Ausdruck der expansiven Dynamik des Kapitalismus. Sie warfen immer mehr Titel auf den Markt, um ihre Marktposition zu sichern. Die ökonomischen Produktivitätszuwächse wirkten auch auf das literarische Leben zurück. Das literarische Feld differenzierte sich aus; neben dem Massenmarkt für ein breites Publikum gaben Kulturverleger wie Samuel Fischer oder Wilhelm Friedrich der literarischen Avantgarde ein marktkompatibles Profil.

Doch die auf permanentem Wachstum beruhende Dynamik der Konkurrenz war auch auf dem literarischen Markt strukturell krisenhaft, sie tendierte zu Überproduktionskrisen. Der Anstieg der Produktivität des warenförmig organisierten Handels mit Literatur stieß an seine Marktgrenzen. Dies zeitigte auch soziale Effekte auf dem modernen Literaturmarkt: Der ökonomischen Überproduktion folgte eine soziale. Mit der Freisetzung der Schriftsteller*in entstand eine literarische Reservearmee, der nur wenig professionalisierte Berufsstand wurde proletarisiert. Die Durchsetzung des modernen kapitalistischen Wirtschaftsprinzips erfolgte keineswegs einheitlich, es waren vielmehr entgegengesetzte Logiken miteinander verbunden. Die Schaffung eines kapitalistischen Marktes setzte die allgemeine Warenform für literarische Werke durch, ermöglichte aber auch die weitreichende Autonomisierung der Literatur als gesellschaftlichen Teilbereich.

Der krisenhaften Instabilität des Literaturmarktes wurden genuin literarische Handlungslogiken entgegengestellt, die das kapitalistische Wirtschaftsprinzip eingrenzten. Es ist kein Zufall, dass damals die Buchpreisbindung eingeführt wurde und das moderne Urheberrecht entstand. Ästhetische Praktiken gingen eine widersprüchliche Synthese mit dem Markt ein und brachten so ein eigenes soziales Gefüge hervor, das die kapitalistische Wirtschaftslogik in die Praktiken literarischer Produktion integrierte. Die Kulturverlage waren ein Ort ästhetischer wie wirtschaftlicher Modernisierung. Ästhetische Handlungsnormen wurden so zum Garanten für das wirtschaftliche Überleben des Marktes.

Neue Einheit von Kunst und Markt

Doch gilt dies auch noch für das 21. Jahrhundert, wo Literatur mehr denn je als Ware gehandelt wird? Heute prägen internationale Kapitalverflechtungen die wirtschaftliche Dynamik des Buchmarktes, dessen expansiver Wachstumsdrang zugleich zu einem Krisensymptom wird. Die Zunahme der Konzentrationsbewegung von globalen Mischkonzernen wie Bertelsmann oder Holtzbrinck ist mit einem flexiblen Produktionsmodell verknüpft: Statt an einer standardisierten Massenproduktion orientiert man sich mithilfe neuer digitaler Techniken an einem flexiblen Produktionsvolumen, das sich den Marktschwankungen anpasst; gleichzeitig werden feste Gewinnmargen als zentrale Planungsgrößen vorausgesetzt.

Die Literaturproduktion wird so verstärkt der ökonomischen Profitabilität untergeordnet. Eine marktgesteuerte Orientierung an wirtschaftlicher Effizienz führt in den Verlagen zu einer Aushöhlung institutionalisierter Arbeitsbeziehungen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, vor allem die Durchsetzung neuer Formen des Outsourcings und der Soloselbstständigkeit (beispielsweise im Lektorat), werden dazu genutzt, sich flexibel an konjunkturelle Schwankungen anpassen zu können. Seit der Jahrtausendwende transformieren zudem Digitalisierungsprozesse die tradierten Strukturen des Buchmarktes. Mit der Digitalisierung entstehen nicht nur neue Medienformate, Produktionsmodelle und Distributionskanäle, sie implementiert auch einen neuen Geist des Kapitalismus: Neue Autor*innenmodelle und selbstständige Beschäftigungsverhältnisse orientieren sich an einem marktvermittelten Autonomiebegriff, der die Ansprüche nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung nun unternehmerisch auflädt.

Das literarische Leben der Gegenwart ist geprägt von einer »zunehmenden gegenseitigen Durchdringung der Welt der Kunst und der des Geldes«, wie der Soziologe Pierre Bourdieu bereits in den 1990er Jahren beobachtete. Ästhetische Autonomienormen synthetisieren sich mit ökonomischen Handlungslogiken und scheinen so das dynamische - und produktive - Potenzial, das aus der Auseinandersetzung der beiden widerstreitenden Kräfte resultiert, teilweise zu suspendieren. Ästhetische Handlungsorientierungen fungieren nur noch partiell, etwa bei Independent-Verlagen, als ein notwendiges Anderes, das die kapitalistische Wirtschaft in die soziale Logik des Feldes einbettet. Die Einheit der beiden Prinzipien ist in anderen Feldern der Literaturproduktion, abstrakt gesprochen, absolut: Es ist eine Einheit, die Widersprüche nicht aufhebt, sondern einebnet. Die Identität des Marktes und die Nichtidentität der Kunst sind hier miteinander synthetisiert - dies zeigt sich im unternehmerischen Habitus der Akteure ebenso wie in dezentral geführten Verlagsunternehmen, die beispielsweise Independent-Verlage aufkaufen und als Imprint unter ihrem Dach weiterführen.

Doch ob diese innere Landnahme das wirtschaftliche Funktionieren des Buchmarktes garantieren kann, ist fraglich: Der Literaturmarkt befindet sich derzeit in einer strukturellen Krise. Digitale Innovationen stellen die private Aneignung literarischer Werke ebenso infrage, wie die sinkende Nachfrage den auf Novitäten beruhenden Wachstumsimperativ des Literaturmarktes brüchig werden lässt. Damit werden die normativen Voraussetzungen, auf denen die wirtschaftliche Dynamik ästhetischer Märkte in modernen Gesellschaften beruht, problematisch: das Prinzip der Innovation, welches das Neue als zentralen ästhetischen Maßstab setzt, sowie die Idee geistigen Eigentums, welche die Kunstproduktion an individuelle Urheberschaft bindet. Die konfligierende Dynamik des literarischen Marktes ist selbst ein historisches Produkt. Die widerstreitenden Kräfte Kunst und Markt können unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Identität verschmelzen, die das dynamische Moment suspendiert.

Der Text basiert auf Carolin Amlingers Buch »Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit«, das am 11. Oktober bei Suhrkamp erscheint.

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