• OXI
  • Trinkwasserversorgung

Das kostbare Nass

Die Berliner Wasserbetriebe sind in ihrer Branche bundesweit das größte Unternehmen

  • Paula Hansen
  • Lesedauer: 5 Min.

In ihrem Roman »Schilf im Wind« spricht die italienische Autorin Grazia Deledda vom Wasser, das »weise« sei. Es würde »immer die Form des Gefäßes« annehmen, »in das man es gießt«. Ihr Buch erschien 1913, vor mehr als einhundert Jahre. Für Sardinien, ihre Heimat, für das damalige archaische Dorfleben, scheint diese poetische und auch märchenhafte Zuschreibung stimmig. Zu gern möchte man glauben, dass die Menschen ein Teil der Natur waren. Mit ihr lebten, für sie und durch sie. Das Wassergefäß unserer Jetzt-Zeit präsentiert sich da weitaus banaler. Der Wasserhahn – wo auch immer – wird einfach aufgedreht, das Wasser fließt mühelos aus der Wand. Dass es sauber und trinkbar fließt, dafür sorgen in der größten Stadt Deutschlands die Berliner Wasserbetriebe. Über sechs Millionen Menschen, so der aktuelle Stand, leben in der Bundeshauptstadt. Eng ist es dort: Gut 4.000 Frauen, Männer, Kinder, Alte und Junge tummeln sich jeweils auf einem Quadratkilometer. Das ist, was die Bevölkerungsdichte angeht, Spitze unter den Bundesländern. Sie alle benötigen Wasser für die tausend Dinge im Alltag. Als Trinkwasser, zum Zähneputzen, Duschen, Baden, für die Waschmaschine, den Geschirrspüler, zum Kochen, für den Garten oder für die Balkonpflanzen. Durchschnittlich verbraucht jeder Berliner und jede Berlinerin 112 Liter Frischwasser. Täglich. Das aufbereitete wie auch das verbrauchte Wasser findet seinen Weg durch insgesamt 19.000 Kilometer Rohrlänge.

Einst gab es den bildlichen Vergleich, dass diese Länge des Kanalnetzes in etwa der Entfernung Berlin-Mexiko entspräche. Und spricht man von den Rohren, darf man respektvoll von einer rüstigen Hundertjährigen erzählen. Zu Teilen sind sie so alt. Nach Auskunft der Berliner Wasserbetriebe sollen sie auch so lange dienen und funktionieren. Natürlich mit einem Lifting zwischendurch.

Pro Jahr werden 35 bis 40 Kilometer Zu- und Abwasserleitungen renoviert, erneuert, repariert, so dass die Rohre auf ein Durchschnittsalter von knapp 58 Jahren kommen. Das kostet reichlich, dafür gehen Millionen drauf. Allein im letzten Jahr flossen 60 Millionen Euro in die Rohrsanierung. Die Wasserbetriebe warten jedoch nicht darauf, dass das Kind – wie man so schön sagt – erst in den Brunnen fällt und sich irgendein ein Leck zeigt. Sie arbeiten mit der SEMA-Maschine. Ein kluges Modell, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz. Es wird gefüttert mit einer Menge von Daten, weiß genau, welches Rohr aus welchem Material und welchem Jahr wo liegt und wann es wahrscheinlich altersschwach sein wird. SEMA, dieses Simulationsalterungsmodell für Abwasserkanäle, spiegelt den Netzzustand und zeigt gleichzeitig die Sanierungsschwerpunkte an. Dafür gab es 2019 den Innovationspreis. Damit lassen sich – nun auch bundesweit – Investitionen exakt und langfristig planen. Wobei – und damit kommen wir noch einmal auf die »Hundertjährige« zu sprechen – nicht allein das Alter der Rohre ausschlaggebend ist, sondern eben auch das Material. Gemauert nämlich seien hundertjährige Kanäle nicht selten noch fast jugendlich, während 30-jährige Plastik-Greise auf ihre Erlösung warten.

Was in Berlin aus den Wasserhähnen fließt, ist ein sogenanntes Mischwasser. Die Trinkwasserversorgung basiert zu mehr als 60 Prozent auf Uferfiltrat, zu 30 Prozent auf natürlich gebildetem Grundwasser und zu etwa 10 Prozent auf Grundwasseranreicherung. Das Uferfiltrat ist Wasser aus der Spree und aus der Havel. Von Grundwasserbrunnen wird es angesaugt und versickert durch den Untergrund ins Grundwasser. Das allerdings ist kein Fass ohne Boden. Es muss geschont bzw. immer wieder angereichert werden. Das passiert über aufbereitetes Havelwasser, das versickert und den Grundwasserspeicher immer wieder auffüllt. Das funktioniert gut in guten Zeiten. Die ungewöhnlichen Trockenperioden der letzten Jahre aber machten auch dem Grundwasser in Berlin zu schaffen. Experten sind längst dabei, Resilienzkonzepte zu erarbeiten. Dazu gehört, wenn der Himmel wie in diesem Sommer plötzlich aufreißt und literweise Wasser auf die Erde schickt, dass dieses kostbare Regenwasser ins Grundwasser einsickern kann. Denn fließt es oberirdisch ab, verschwindet es am Ende in der Kanalisation und ist für das Grundwasser verloren. In einer so gnadenlos versiegelten Stadt wie Berlin ist das schwierig. Berlin braucht mehr unversiegelte Flächen, mehr Gründächer, mehr grüne Fassaden. Auch Rigolen, sogenannte Rinnen oder Mulden, um Wassermengen aufzufangen, zwischenzuspeichern und sie dem natürlichen Wasserkreislauf wieder zuzuführen. In Berlins Außenbezirken und dort, wo neue Wohnquartiere entstehen, werden solche Flächen von vornherein mitgeplant.

Wasser, einmal benutzt, verschwindet nicht einfach so auf Nimmerwiedersehen. Eigentlich ist es nie wirklich weg, sondern im Zweifel immer nur woanders, sagen die Wasserbetriebe. In sechs Klärwerken wird das gebrauchte Wasser wieder aufbereitet. Nur eine Anlage davon liegt direkt in der Stadt, die fünf anderen befinden sich im Land Brandenburg, reinigen dort auch das Abwasser der umliegenden Kommunen mit. Jährlich rauschen ca. 265 Millionen Kubikmeter Abwasser durch die Werke. Ost und West praktizierten übrigens schon in der Wendezeit eine »klärende Zusammenarbeit«. Die Netze waren nie vollkommen voneinander getrennt, immer schon bestanden Verbindungen auf technischer Ebene. Auch wenn die endgültige Zusammenführung noch einmal ein großer Kraftakt war. Auch finanziell. Größere wassernutzende Unternehmen schicken ihre Abwässer ebenfalls in die Kläranlagen. Zuvor behandeln sie in eigenen Kläranlagen das Abwasser so, dass es in denen der Berliner Wasserbetriebe problemlos gereinigt werden kann. Darüber wacht eine »Indirekteinleiterüberwachung«. Ein kompliziertes Bandwurmwort für eine Art »Umwelt- oder Kanalpolizei«. Sie überwacht, dass wirklich nur in den Kanal reinkommt, was da auch reindarf. Den Berliner Wasserbetrieben macht eher ein Problem aus frühen Vorzeiten Sorge. Immer noch gibt es Altlasten, die im Boden schlummern. Sie stammen beispielsweise aus alten Wäschereien, Elektrofabriken und von den Rieselfeldern, auf denen vor einhundert Jahren industrielles Abwasser ungeklärt versickerte. Damals war das alles noch jwd, also janz weit draußen. Heute sind diese Bodenbelastungen mittendrin. Zurzeit arbeiten die Wasserbetriebe an einer vierten Reinigungsstufe. Zu den drei ersten – die mechanische, biologische und chemische – kommt die vierte, um letzte Spurenelemente zu eliminieren. Deren Herkunft verursachen nicht zuletzt wir Verbraucher und Verbraucherinnen. Denn salopp gesagt: Nur der Po gehört aufs Klo. Farben, Lacke, Medikamente jeglicher Art haben nichts im Abwasser zu suchen. Auch keine Kosmetika, Reinigungs- und Haushaltsmittel.

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