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Parlamentswahlen gegen Korruption

Rund 25 Millionen Iraker dürfen ihre Stimme abgeben, Beobachter erwarten geringe Beteiligung

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Vorbereitungen zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag im Irak laufen auf Hochtouren. Wahlbeobachter von Arabischer Liga, Uno und Europäischer Union sollen einen fairen Ablauf gewährleisten. Ministerpräsident Mustafa Al-Kadhimi forderte am Donnerstag seine Landsleute über Twitter auf, zur Wahl zu gehen: »Schaffen Sie Veränderungen durch Ihren eigenen freien Willen.« Nur ist abzusehen, dass viele der 25 Millionen Wahlberechtigten gar nicht zur Wahl gehen werden oder diese sogar bewusst boykottieren. Ein Teil der jungen irakischen Protestbewegung, die die vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 2019 quasi auf der Straße erzwungen hat, will erklärtermaßen selbst keine Stimme abgeben. »Nichts wird sich ändern, egal wie die Wahl ausgeht«, sagt der 24-jährige Mustafa aus der südirakischen Stadt Nasiriya gegenüber Al-Jazeera. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand in der Regierung dieses Land in Ordnung bringen wird, also hat es keinen Sinn, dass ich zur Wahl gehe.«

Ähnlich sieht das Hussein Nadschar: Der politische Aktivist will am Sonntag keine Stimme abgeben. Seit Jahren zieht der 34-Jährige immer wieder mit Gleichgesinnten zu Protesten gegen die Mächtigen auf die Straße. »Es gibt im Irak eine umfassende und sich verschärfende strukturelle Krise«, sagt Nadschar gegenüber dpa. »Diese lässt sich nur lösen, wenn wir die herrschende Clique beseitigen.« Wegen der Krise säßen überall im Land gelangweilte junge Männer in Wasserpfeifencafés herum. »Die Verzweiflung ist groß«, sagt Nadschar. Wahlen, davon ist nicht nur der Aktivist überzeugt, können an der Malaise des Irak nichts ändern.

Viele Iraker geben die Schuld für die politische Krise des Landes und seine chronisch korrupten Strukturen einem Proporzsystem, das zurückgeht auf den Beginn der 1990er Jahre: Muhasasa Ta’ifia, zu Deutsch: die Aufteilung von Macht und Posten nach ethnisch-religiösen Gruppierungen. Der Irak weist eine heterogene Bevölkerungsstruktur auf, wenn man ethnisch-linguistische und religiöse Maßstäbe anlegt: Im Norden bilden die Kurden die Bevölkerungsmehrheit; in der Landesmitte wohnen vorrangig sunnitische Araber, die ehemalige Machtbasis von Ex-Machthaber Saddam Hussein; im eher armen Süden konzentrieren sich schiitische Araber. Dazu kommen weitere Minderheiten wie die Turkmenen, die rund um die Stadt Kirkuk siedeln, und auch Christen.

Die Idee, alle Gruppierungen an der Macht zu beteiligen, klingt eigentlich klug, um das fragile gesellschaftliche Gleichgewicht zu wahren und niemanden zu benachteiligen. Für viele, insbesondere jüngere Iraker ist das Proporzsystem jedoch gleichbedeutend mit Korruption, habe es doch einzelnen Politikern oder Gruppierungen ermöglicht, sich auf Kosten aller zu bereichern.

Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag der Irak 2020 denn auch nur auf Rang 160 (von 179 Ländern). »Der Begriff Muhasasa ist ein Synonym für das politische System und all seine Übel«, erklärte Fanar Al-Haddad von der Universität Singapur schon 2019 gegenüber Al-Jazeera. »Das System untermauert die Korruption, die geheimen Absprachen und die klientelistischen Netzwerke, die das öffentliche Leben im Irak kennzeichnen.«

Hinzu kommt: Das Muhasasa-System hat die Gegensätze entlang ethnisch-religiöser Gräben noch vertieft, die internen Machtkämpfe weiter angeheizt. Gerade aus diesem Grund war einer der populärsten Slogans der Protestbewegung: »Nicht Schiiten, nicht Sunniten, nicht Christen. Wir sind alle ein Irak!«

Wegen des Muhasasa-Systems »konzentriert sich keine der Parteien darauf, im Namen des Landes als Ganzes zu handeln«, erklärt Tallha Abdurazaq von der Universität Exeter gegenüber Al-Jazeera. »Viele dieser Parteien, insbesondere die schiitischen Islamisten, die heute die dominierende Kraft im Irak sind, wurden vom Iran ins Leben gerufen und finanziert.« Viele Beobachter werfen der Regierung in Teheran vor, im Irak wie in einem Satellitenstaat zu schalten und zu walten und auch den Ausgang der Parlamentswahlen beeinflussen zu wollen. »Der Iran hat starken Einfluss auf den Irak, und das schon seit Jahren«, sagte der Analyst Nicholas A. Heras vom Washingtoner Thinktank Newlines Institute for Strategy and Policy gegenüber der Nachrichtenwebseite »Middle East Eye«. Und einen Irak unter Kontrolle des Irans sei inakzeptabel für die sunnitischen arabischen Staaten der Region.

Einer der populärsten schiitischen Kandidaten, der sich um die 329 Parlamentssitze bewirbt, ist Muktada Al-Sadr, dessen Bewegung bereits bei der Wahl 2018 die meisten Sitze gewinnen konnte und auch jetzt als Favorit gilt. Seine Miliz bekämpfte die US-Besatzungstruppen. Heute gibt sich der 47-jährige Sohn eines bekannten Klerikers gemäßigter und tritt in einer Mischung aus Nationalist und Populist auf. Sein Schlagwort: Reformen. Die hat der Irak auch nötig: Die Wirtschaft liegt am Boden und die Arbeitslosigkeit trifft vor allem junge Menschen.

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