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Radfahrers Traumschiff
Eine Fahrrad-Kreuzfahrt von Amsterdam nach Brügge: Tagsüber wird geradelt, während das Hotelzimmer im luxuriös ausgebauten ehemaligen Lastkahn an den Zielort voraustuckert
Eine Kreuzfahrt, oje, und dann noch auf dem Fluss? In so »aufregenden« Regionen wie den Niederlanden und Belgien? Kann eine solche Plattlandtour überhaupt Spaß machen, wenn das Pensionistenalter zum Glück noch in einiger Entfernung liegt? Andererseits: Amsterdam! Grachten! Brügge! Kanäle! Und zudem eine kombinierte Fahrrad-Schiffsreise: Jeden Tag wird geradelt, während das Schiff den nächsten Hafen anläuft - den Zielpunkt der täglichen Radtour. Das Hotelzimmer reist quasi immer schon voraus.
Buchung: Die Reisen mit den Schiffen der »Magnifique«-Flotte werden von Ende April bis Mitte Oktober angeboten. Allgemeine Infos und Details über diese Reise und andere Radkreuzfahrten gibt es auf der deutschen Website von Boat Bike Tours: www.radundschiffsreisen.de
Die Recherche wurde unterstützt von Boat Bike Tours.
Nun, irgendwann ist immer das erste Mal. Also los: Zeit für einen Kreuzfahrt-Selbstversuch in einer sonnigen Septemberwoche.
Die beiden Länder
Die höchste Erhebung der Niederlande ragt ganze 322 Meter über Meeresspiegelhöhe hinaus, Belgiens höchster Berg misst sogar 694 Meter - doch diese Rad-Schiff-Tour macht einen weiten Bogen um derlei beeindruckende Höhenzüge. Stattdessen geht es entlang des Amsterdam-Rhein-Kanals ins Delta von Maas, Rhein und Schelde und später an den Gent-Brügge-Kanal. Überall verzweigen sich die Flüsse, vielerorts gehen Kanäle und kleine Grachten ab. Ihr Netz ist so dicht, dass in den Niederlanden die Gesamtlänge aller Wasserwege nicht genau zu bestimmen ist.
Dass wir im neu erschlossenen Amsterdamer Osthafen gen Brügge ablegen, hat zur Folge, dass auf dem Rad »sehr häufig Rückenwind herrschen« wird, wie Reiseleiterin Hester van Vliet verrät. Die Rad-Schiff-Kombi wird in beide Richtungen angeboten. Wer von Brügge aus losradelt, lernt mit Sicherheit den steifen Gegenwind kennen, in dem etliche belgische Straßenradsportler zu Weltklasseprofis reiften. Doch es kann natürlich auch genau andersherum kommen: Wind ist Wind, weswegen der Startpunkt nicht entscheidend ist, zumal ja Belgien und Holland wahre Fahrradparadiese sind - mit jeweils etwa 50 000 Kilometern spiegelglatten »Fietspaden«, also Radwegen oder wenigstens Radspuren.
Der Kapitän
Kapitän Walter van Beckum ist ein blondgelockter Friese, dem nicht nur die »Magnifique IV« gehört, sondern auch deren Schwesterschiffe mit den niedrigeren Ziffern drauf. Unser Schiff Nummer vier ist das bestausgestattete. Die Crew wird von Kellnerin Damaris, Matrose Marnick und Smutje Bas komplettiert. Alle sprechen Deutsch und Englisch. An Bord ist allgemein Duzen angesagt, der Umgang mit den Gästen ist ebenso freundlich wie zwischen Crew und Kapitän, dem sein Job erkennbar Spaß macht: Mit einem Lächeln im Gesicht sitzt er tagsüber am Gashebel und steuert das Schiff mit seinen 800 PS durch die Kanäle und Flüsse. Manchmal hilft er abends noch am Tresen aus, zapft belgisches Bier und erzählt mit sonorem Bass von seinen Erlebnissen auf See. Walter ist immer gut gelaunt. Beim Captains Dinner auf dem Oberdeck ist er es, der sich am Grill postiert und für die Gäste Steaks, Lachs und grüne Spargelstangen auflegt. »Am Ende der acht Tage merkt manch einer, dass er kaum Schiff gefahren ist sondern fast ausschließlich Fahrrad«, sagt er lachend. »Genauso ist es gedacht.«
Das Schiff
Nur von außen betrachtet kommt die »Magnifique IV« unscheinbar daher. 1964 gebaut, transportierte sie in ihrem ersten Leben vor allem Schüttgut: Kies, Sand, Steinkohle. Am ersten Abend an Bord zeigt Kapitän Walter Fotos vom Umbau des 800-PS-Frachtkahns zum luxuriös ausgestatteten schwimmenden Hotel im Jahr 2019. Drei Millionen Euro hat es gekostet, in den 67 Meter langen Stahlrumpf 18 schmucke Kabinen einzupassen, jede mit eigenem Bad ausgestattet. Die Decks sind mit Teakholz beplankt, die Flure mit Eiche parkettiert. Auf dem Oberdeck wird bei schönem Wetter der Whirlpool angeworfen.
Wer an einem Tag mal keine Lust hat zu radeln, kann auf dem Schiff bleiben und beispielsweise im dampfenden Whirlpool-Geblubber bei 18 Knoten die Flusslandschaften vorbeiziehen lassen: grüne Flussauen, pappelgesäumte Uferwege, malerische kleine Städte und weites Marschland, auf dem muskulöse belgische Rinder weiden. Idyllisch.
»Vor Corona waren wir stets ausgebucht«, erzählt Walter, »vor allem von Gästen aus Übersee: den USA, Australien, Brasilien oder Kanada.« Doch seit März 2020 sind diese zahlungsfreudigen Gäste aus der Ferne Mangelware. Der Anbieter Boat Bike Tours, der die Reisen vertreibt, setzt seither auf europäische Gäste. Die Angebote sind seither günstiger geworden: Für den Achttagestörn durch Zeeland, Nord-Brabant und Flandern im »Premium-Schiff« zahlt man im Jahr 2022 ab 1229 Euro samt Halbpension, Lunchpaket, Rädern, Helmen und allerlei Eintrittsgeldern.
Die täglichen Radtouren
Jeden Morgen nach dem Frühstück geht es aufs Rad: Matrose Marnick schiebt die Tourenräder und E-Bikes vom Deck, Reiseleiterin Hester verteilt die Tagesrouten: Ausgedruckte A4-Seiten in einer durchsichtigen Hülle, die am Lenker befestigt wird. Meist stehen zwei begleitete Routen zur Auswahl, etwa 30 oder 50 Kilometer lang. Wer will, kann sich ohne große Angst vorm Verirren auch allein auf den Weg machen.
Denn sich zurechtzufinden ist in den Niederlanden und Belgien kinderleicht - dank der »Knooppunten« (Knotenpunkte). So heißen die Radwegkreuzungen, von denen jede eine eigene Nummer hat. An jedem dieser Knotenpunkte weisen Schilder den Weg zu den jeweils nächstgelegenen Knotenpunkten.
Die Tagesrouten, die morgens an die Lenker geheftet werden, bestehen somit aus schlichten Zahlenreihen: Hinter »17 - 3 - 19 - 84 - 58 - 56 - 57 - 13 - 36 - 29 - 27« kann sich beispielsweise so eine hübsche Tour wie die fünfte Etappe verbergen, die von Sint-Amands nach Gent durch Flandern führt. Eine leichte 40-Kilometer-Partie durch Belgiens Blumenregion, wo der Anbau einigen ein erkennbar gutes Auskommen beschert hat: Massenhaft Herrenhäuser und prunkvolle Villen, manche von Parks mit alten Bäumen umgeben.
Der Duft der Blumenfelder liegt über allem - fast bis zur Ankunft im mittelalterlichen Stadtzentrum von Gent, wo die Räder abgestellt werden. Mit einer elektrogetriebenen Barke geht es auf eine Rundfahrt auf den Kanälen der Universitätsstadt, vorbei an etlichen kleinen Schlauchbooten, in denen sich Studenten Wein trinkend übers Wasser treiben lassen. Nach einem Besuch des berühmten Genter Altars mit dem Gemälde »Anbetung des Lamm Gottes« der Gebrüder van Eyck geht es zurück auf die »Magnifique IV«. Schnell duschen und ab in den Speisesaal, wo Schiffskoch Bas ein Drei-Gänge-Menü vorbereitet hat und nun wie jeden Abend mit einer Rede das üppige Dinner ankündigt: vorneweg Tomatensuppe mit Gin, im Hauptgang Coq au Vin, danach Himbeer-Cheesecake mit Karamell: Applaus! Wie jeden Abend.
Die Anführerin auf dem Bike
Boat Bike Tours organisiert bereits seit mehr als 40 Jahren derlei Kombikreuzfahrten, anfangs waren es eher spartanische Touren auf einfachen Schiffen, nicht solche Verwöhnreisen wie anno 2021. Seit nunmehr sieben Jahren ist Hester van Vliet als Radreiseleiterin dabei, neben dem Kapitän die wichtigste Frau dieser Tour: Sie bestimmt die Routen, sie hat Flickzeug und Werkzeugtasche dabei, sie kennt die spannendsten Dorfkirchen, die besten Rastplätze unterwegs und die hübschesten Cafés in jeder noch so kleinen Kleinstadt. Eigentlich ist sie Oboistin, vor ihrer Zeit als Rad-Guide leitete sie gleich zwei Orchester. Doch der Stress wurde ihr zu groß: »Irgendwann hatte ich genug, ich hab was Neues gesucht, und das hier gefunden. Ich liebe es, Rad zu fahren. Und zudem kann ich machen, was ich gut kann: Ich manage wieder eine größere Gruppe von Menschen.«
Das Fazit
Als das Schiff eines Abends in der hübschen Kleinstadt Bergen op Zoom nur einen hässlichen Liegeplatz neben zwei Frachtkähnen zugewiesen bekommen hat, sorgt Hester mit ihrer Oboe für ein unerwartetes Highlight an Bord: Sie kündigt ein kleines Konzert für 20 Uhr an. Alle Passagiere kommen: Draußen geht der Mond auf, drinnen lümmeln sich die Radlerinnen und Radler erschöpft und zufrieden auf gemütlichen Sesseln der Schiffsbar und hören mit einem Glas in der Hand ergriffen zu, wie Hester Stücke von Henry Purcell intoniert. Nach ein paar Tagen haben alle den Rhythmus der Fahrradkreuzfahrt lieben gelernt: Morgens mit den Rädern in die Landschaft ausschwärmen, abends zurückkehren ins schwimmende Daheim, zu Walter, Bas, Damaris, Marnick und Hester. Hach, Flusskreuzfahrt! Es könnte ewig so weitergehen.
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