- Wirtschaft und Umwelt
- Inflationsrate
Der Aufschwung nach dem strengen Winter
Erdgas ist im September für die privaten Haushalte um 5,7 Prozent teurer geworden. Mehrere Faktoren sind für den Preisanstieg verantwortlich
»Putin lässt seine Muskeln spielen« – das ist eine Sicht auf die international rasant steigenden Gaspreise. In nur einem Jahr verdoppelte sich laut Commerzbank der langfristige Preis. Will Russlands Staatspräsident Wladimir Putin also nicht mehr Gas liefern? Oder können die staatlich kontrollierten Konzerne nicht? Gazprom, der wichtigste Lieferant für Deutschland und Westeuropa, liefert zwar die in den Verträgen ausgehandelten Mengen, hat aber nach Medienberichten anders als früher seine eigenen Gasspeicher noch längst nicht ausreichend für den Winter gefüllt. Daher bietet der Konzern derzeit kaum Gas auf den Spotmärkten an, auf denen kurzfristige Lieferungen abgewickelt werden. Das niedrige Angebot treibt die Preise in schwindelerregende Höhen. Diese Preisexplosion zeigt die Abhängigkeit des Westens.
Der Erdgasverbrauch in Europa steigt seit Jahren. Nur ein kleiner Teil stammt aus heimischer Produktion. Die EU-Staaten sind immer stärker auf Importe angewiesen. Hier spielen Lieferungen aus Russland eine zentrale Rolle: Der Anteil des russischen Erdgases wird 2021 in der EU bei etwa 30 Prozent liegen. In Deutschland dürfte er noch deutlich höher ausfallen.
Es sind mehrere Faktoren, die den Gaspreis treiben. Darauf weist die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris hin. Der ungewöhnlich lange und kalte Winter in vielen Regionen der Welt führte dazu, dass die Lagerbestände relativ niedrig sind. Viele Versorger haben dann monatelang auf sinkende Preise spekuliert. Nun müssen sie sich eindecken, da der Winter naht.
Generell ist der Preis neben Witterungsbedingungen abhängig von geopolitischen Krisen. So trieb der rasante Wiederaufschwung nach der Coronakrise den Bedarf nach Energie deutlich an. Vor allem verflüssigtes Gas (LNG) wurde aber kaum noch nach Europa geliefert, es ging vorwiegend nach Südkorea und Japan, weil dort mehr gezahlt wurde. »Zusätzlich ist das Angebot an Erdgas in Europa zurückgegangen«, hat Claudia Wellenreuther vom Weltwirtschaftsinstitut HHWI festgestellt. Insbesondere die Niederlande, ein wichtiger Produzent in der EU, mussten ihr Angebot aufgrund von Erdbebengefahr stark einschränken. Und auch Algerien liefert aufgrund eines Konfliktes mit Marokko wenig Gas nach Europa.
In dieser Gemengelage sitzen die Lieferanten am längeren Hebel – was die Preise an den Energiebörsen zusätzlich steigen lässt. Auf diesen Spotmärkten kostete der Kubikmeter zeitweilig fast zehnmal mehr als zu Jahresbeginn. Diesen Preisanstieg spüren mittlerweile auch die privaten Haushalte. Erdgas war für sie laut dem Statistischen Bundesamt im September um 5,7 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Neben den Preisschwankungen an der Börse spüren sie die Folgen der neuen CO2-Steuer und der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer.
Zwar planen die meisten Versorger hierzulande langfristig. Auch stehen die Beschaffungskosten für weniger als die Hälfte des Gesamtpreises, den private Haushalte zahlen. Rund ein Viertel entfällt laut Bundesnetzagentur jeweils auf Steuern und Entgelte für die Netzbetreiber. Doch früher oder später geben die Versorger die höheren Beschaffungskosten immer an die Endverbraucher weiter und schlagen dann häufig noch eine Marge für sich oben drauf. Verbrauchern bleibt dann nur der Wechsel zu einem günstigeren Anbieter.
Zu den Profiteuren des Preisanstiegs gehören jetzt schon global operierende Konzerne wie Exxon Mobil und Chevron (beide USA), Royal Dutch Shell, BP und Total (alle Europa). Deren integriertes Geschäftsmodell reicht von der Förderung bis zum Vertrieb an den Endkunden. Bedeutende Marktpositionen besetzen nach einer Studie der NordLB auch nationale Gaskonzerne wie Saudi Aramco aus Saudi-Arabien, Petrobras aus Brasilien und eben auch Gazprom.
Auch längerfristig dürfte Gas – wie auch Erdöl – knapp und teuer bleiben. Damit kalkuliert Klaus-Dieter Maubach, Chef des deutschen Energiekonzerns Uniper. Das Unternehmen ist Gazproms größter Kunde und zugleich Deutschlands größter Erdgasimporteur. »Die Russen liefern wie in den letzten 50 Jahren zuverlässig«, sagte er jüngst vor Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf. Insgesamt geht der Uniper-Chef davon aus, dass die Energiepreise noch länger auf hohem Niveau verharren, nicht zuletzt wegen der wachsenden Nachfrage aus Asien. Auch China werde stärker als Kunde für russisches Erdgas auftreten.
Die neue Gaspipeline »Nord Stream 2«, ein erster Test lief kürzlich erfolgreich, könnte sich vor diesem Hintergrund bald als Glücksfall für Westeuropa erweisen. Noch vergangene Woche kannten die Preise am Gasmarkt kein Halten. Dann kippte die Stimmung, nachdem Russlands Präsident Putin zusätzliche Gaslieferungen via Ukraine in Aussicht stellte. Nicht ohne anzumerken, dass langfristige Verträge, wie sie früher in der EU weiter verbreitet waren als heute, solche Preisspitzen verhindert hätten. Man habe den Europäern immer zu erklären versucht, Börsenhandel mit Gas sei riskant. »Weil das keine Uhren, Unterhosen oder Autos sind, nicht einmal Öl, das man produzieren und dann überall lagern kann.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.