Ein schwieriges Verhältnis

Zwischen den Grünen und der Anti-Atom-Bewegung gab es von Beginn an Spannungen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Sehr gern verweisen Grünen-Politiker darauf, dass ihre Partei aus der Anti-Atom-Bewegung hervorgegangen sei. Das trifft nur bedingt zu. Allerdings wäre die Partei ohne die Existenz der Bewegung wohl nicht entstanden. Und wahr ist auch, dass zunächst viele Atomkraftgegnerinnen und –gegner in den sich Ende der 70er Jahre landauf, landab formierenden grünen oder bunten Listen, Vereinigungen und Wahlbündnissen mitarbeiteten.

Andere begleiteten die Entwicklung eher skeptisch. Sie befürchteten, dass die sich zuspitzende Auseinandersetzung um das Atomprogramm von der Straße in die Parlamente (zurück-) verlagert werden könnte, wo sie dem Zugriff der Bewegung entzogen bliebe. Und wo die Grünen, sofern sie überhaupt gewählt würden, als Minderheit praktisch nichts ausrichten könnten und den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken gewissermaßen demokratisch legitimieren müssten.

»Je höher die politische Ebene, desto bedeutender der Einfluss von Geld, Macht, Interessenverflechtung und Korruption, desto ausgeprägter die abgehobene, menschenverachtende Einstellung der am Entscheidungsverfahren beteiligten Personen«, schrieb 1978 die Bewegungszeitschrift »Atom Express«. »Jeder direkte Kontakt zur betroffenen Bevölkerung geht verloren, Verantwortlichkeiten sind beliebig austauschbar, und die Macht wird völlig unkontrollierbar, weil die Kontrollinstanzen selbst an der Macht beteiligt sind.«

Eigenverantwortliches Handeln, auf das sich die Bürgerinitiativen beriefen, würde durch – selbst ernannte oder gewählte – Stellvertreter in den Parlamenten infrage gestellt. Auch die notwendigerweise hierarchischen Strukturen einer Partei mit Vorstand, Leitungsgremien und Basis stünden in krassem Widerspruch zu den basisdemokratischen, dezentralen Organisationsmodellen der Anti-AKW-Bewegung. Dass es bei Konferenzen und Zusammenkünften von Bürgerinitiativen auch ohne die Anwesenheit von Parteien oder Kaderorganisationen längst nicht immer basisdemokratisch zuging, wurde ausgeklammert.

Jürgen Trittin als Reizfigur

Aufzuhalten waren die Entstehung und das Wachstum der Grünen nicht. Der Anti-AKW-Bewegung blieb also nichts anderes übrig, als sich in der Praxis mit der Partei auseinanderzusetzen. Die Initiativen handhabten den Umgang unterschiedlich. Das Spektrum reichte von politischem Kampf gegen die Grünen bis bin zur breiten Aktionseinheit. Dabei hing das Verhältnis oft von konkreten Personen ab. Vielfach waren immer noch Menschen sowohl bei den Grünen als auch in einer Anti-Atom-Gruppe aktiv – und sind es teilweise bis heute, prominentes Beispiel ist die langjährige Europa-Abgeordnete und Gorleben-Widerständlerin Rebecca Harms.

Heftiger Streit zwischen Grünen und Anti-AKW-Bewegung entbrannte um 1998, als SPD und Grüne die Bundestagswahl gewannen und Jürgen Trittin von den Grünen Bundesumweltminister wurde. In den Verhandlungen mit den Stromkonzernen um einen »Energiekonsens« knickte Trittin aus Bewegungssicht viel zu sehr ein, um die Beratungsergebnisse hinterher als großen Erfolg zu verkaufen. Als Trittin dann noch dazu aufforderte, auf Demonstrationen gegen Castortransporte nach Gorleben zu verzichten, war für viele Grünen-Mitglieder namentlich an den Atomstandorten das Maß voll: Sie traten aus der Partei aus, im Kreis Lüchow-Dannenberg und in der Region um das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad standen ganze Ortsvereine wegen des abrupten Mitgliederschwunds vor der Auflösung.

Unter denjenigen, die aus Protest gegen den Atomkurs der Führung die Partei verließen, war im Februar 2000 auch die Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Marianne Fritzen. »Der Eiertanz zwischen grüner Bundestagsfraktion mit ihrem Minister, der Koalitionspartei SPD und den Betreibern hat dazu geführt, dass Bündnis 90/Die Grünen zur Manövriermasse degradiert wurden«, sagte sie damals. Wenige Wochen später verließen auch sechs von sieben Mitgliedern der Grünen-Fraktion im Lüchow-Dannenberger Kreistag die Partei, unter ihnen der stellvertretende Landrat Kurt Herzog und der langjährige Gorleben-Aktivist Dieter Schaarschmidt.

Mittlerweile ist in das Verhältnis zwischen Anti-AKW-Bewegung und Grünen so etwas wie Normalität eingekehrt. Spannungsfrei ist es aber nicht. In mehreren Bundesländern mit AKW saßen oder sitzen Grünen-Umweltminister in den Regierungen. Während Stefan Wenzel in Niedersachsen aus Sicht vieler Anti-AKW-Bewegter einen guten Job machte und sich beispielsweise bei der Aufklärung des Asse-Skandals mächtig ins Zeug legte, hätten seine Amtskolleginnen und Amtskollegen in Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein ihre Befugnisse und Möglichkeiten bei der Atomaufsicht bei weitem nicht ausgeschöpft.

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