Unter Belagerung

Bei den russischen Kommunisten tobt ein Richtungskampf

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei (KPRF) griffen Moskaus Polizisten Ende September erstmals zu einem ungewöhnlichen Mittel: der Belagerung. Während der Vorbereitung einer KP-Protestaktion gegen die offensichtlich manipulierten Online-Ergebnisse der Dumawahl umzingelten die Beamten das Moskauer Stadtparlament und die hauptstädtische KP-Zentrale und blockierten die Zugänge. Ein KPRF-Mitglied soll eine ganze Woche ausgeharrt haben, um der Verhaftung oder einer Vorladung vor Gericht zu entgehen.

Wenige Tage darauf belagerten die Polizisten dann das Büro des KPRF-Dumasprechers, um die Übergabe einer Klage gegen die Wahlergebnisse zu verhindern, die in dem Gebäude vorbereitet wurde. Schon vorher hatten die Sicherheitskräfte ungewöhnlich rigoros gegen die Partei durchgegriffen: Im Umfeld der beiden KP-Proteste Ende September wurden mehr als 150 Aktivisten, Parteimitglieder und Lokalabgeordnete in Moskau festgenommen. Beobachter sprechen von einer neuen Härte im Verhältnis zur KPRF.

Während die Repressionswelle über die Partei rollte, blieb Gennadi Sjuganow auffallend zurückhaltend. Der seit 1993 amtierende KP-Chef, der an den Protesten seiner Partei nicht teilnahm, setzte sich weder für Festgenommene ein, noch kritisierte er vernehmbar das Durchgreifen der Polizei. Stattdessen rief Sjuganow die KP-Mitglieder zu »Zurückhaltung und Standhaftigkeit« auf – und traf sich zweimal mit Präsident Wladimir Putin zu Gesprächen über die Rolle der KPRF in der Duma. Erst nach anderthalb Wochen klagte der 77-Jährige in einem offenen Brief an Präsident Putin über den Druck auf die Partei. Der Präsident möge strenge Maßnahmen gegen Beamte ergreifen, die ihre Befugnisse bei den Verhaftungen überschritten hätten, bittet Sjuganow in dem Schreiben, dem eine Liste inhaftierter KPRF-Mitglieder angefügt ist. Im Übrigen unterstütze die KP als konstruktive Opposition alles, was den russischen Staat stärke, gegen den ein hybrider Krieg tobe.

Der bekannte Politologe Abbas Galjamow stuft das Schreiben als taktisches Manöver ein. Sjuganow versuche, gleichzeitig Loyalität gegenüber dem Kreml zu demonstrieren und die wachsende Empörung in der KP zu adressieren. Einfache Parteimitglieder würden sich wegen Wahlbetrug und Repressionen nämlich zunehmend radikalisieren.
Tatsächlich wächst an der Basis die Unzufriedenheit mit Sjuganows zahmen Kurs gegenüber dem Kreml. Jüngere und radikale Linke wünschen sich klarere Worte ihres Parteivorsitzenden und plädieren für einen härteren Kurs gegenüber dem Kreml. Vor allem die einflussreiche Moskauer Parteiorganisation unter Sjuganows elf Jahre jüngerem Gegenspieler Walerij Raschkin will wieder mehr Opposition wagen und raus aus der Rolle der Systempartei, die nur scheinbar um eine alternative Politik kämpft und sich nach der verlorenen Machtprobe bei der Präsidentschaftswahl 1996 bequem eingerichtet hat. Zwar konnte Sjuganow einen Putschversuch von Raschkin Anfang des Jahres verreiteln. Doch nach dem starken Abschneiden der KP bei der Dumawahl, bei der die Partei um 15 neue Mandate zulegte, flammt die Diskussion nun wieder auf. Für Sjuganow wird es zunehmend schwieriger, die KP zu steuern.

Einige Medien spekulieren bereits über seinen Rückzug, Journalisten erwarten eine Spaltung der Partei. Doch wie wahrscheinlich sind solche Szenarien? Bei der Antwort auf diese Frage stehen sich zwei Lager gegenüber: Analysten wie Andrej Kolesnikow halten einen freiwilligen Abtritt Sjuganows für unwahrscheinlich. »Ich denke, das ist unmöglich«, schreibt der Politologe vom Moskauer Carnegie-Zentrum. »Die Partei darf gerade deshalb existieren, weil sie sich an dieses Regime angepasst hat.« Das verdanke sie Sjuganow, der nach drei Jahrzehnten an der Parteispitze wisse, wie man mit dem Kreml Kompromisse finde. Andere Experten wie Iwan Preobraschenskij von der Nachrichtenagentur Rosbalt halten die Spaltung in einen radikalen und einen systemtreuen Flügel dagegen grundsätzlich für möglich. Die KP sei in der Krise, Sjuganow müsse schon aus Altersgründen abtreten, schreibt er. »Jetzt beginnt der Kampf um die Nachfolge.« Aussichtsreicher Anwärter auf den Vorsitz sei der 44-jährige Juri Afonin, der schon länger als Sjuganows Wunschnachfolger gilt, seit April Vize-Vorsitzender des KP-Zentralkomitees ist und mit seiner antiwestlichen Rhetorik dem Kreml als akzeptabel gilt. Doch auch Walerij Raschkin ist weiter im Rennen. Experten spekulieren auf ein hartes Duell bei der nächsten Sitzung des ZK-Plenums am 23. Oktober.

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