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In Scherben zerfallen
Bei der Flut im August wurde auch das Stadtmuseum in Ahrweiler überschwemmt. In Mainz werden die Objekte jetzt gereinigt und restauriert
»Das dauert kurz einen Moment bis der Kleber sich löst und dann kann man die Häkchen hier entfernen«, sagt die Restauratorin Jasmin Harth. Sie sitzt an einem Schreibtisch in der Restaurierungswerkstatt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz (RGZM). Vor ihr liegt ein zerbrochenes römisches Trinkgefäß, daneben sind einzelne Scherben in einem Pappkarton zu sehen. Auf dem Schreibtisch liegen auch Pinzetten, Skalpelle, Wattestäbchen, kleine Plastikdöschen sowie ein Holzkasten voller Sand. In dem Raum stehen vier große Schreibtische, überall sind Lampen, Röhren, Mikroskope und Werkzeuge zu sehen. An der Wand steht ein Bücherregal.
Harth ist gerade dabei, das Gefäß mit einem Absauggerät zu bearbeiten. Sie hält das Gefäß unter eine weiße Röhre, aus der ein rauschendes Geräusch zu hören ist. Für ein paar Sekunden hält sie das Gefäß unter die Röhre. Diese löst den Kleber, so dass Harth die kleinen, silbernen Metallhäkchen entfernen kann. Diese wurden zuvor an dem Gefäß fixiert, um die Scherben festzuhalten, bis der Kleber endgültig trocknet. Nachdem die Häkchen entfernt sind, ist nur noch ein ganz kleiner Riss zu sehen. »Das hat vor allem mit dem Lichtbruch dieses Gefäßes zu tun«, sagt Harth. Das Trinkgefäß hat mehrere Wölbungen und Rillen, somit ist der Riss von Weitem jetzt nicht mehr zu erkennen.
Das Trinkgefäß ist eines von vielen Objekten, das in der Flut im nordrhein-westfälischen Ahrtal beschädigt wurde. Der Katastrophe fielen nicht nur Menschen und Häuser zum Opfer, sondern auch Museen und Depots. Darunter auch das Stadtmuseum in Ahrweiler. Dort standen mehr als zehn Tage Überreste von Gräbern, ein mittelalterliches Kirchenportal, Gemälde und Drucke sowie Hunderte weiterer Kulturgüter in der Tiefgarage unter Wasser. Die Rettung von Menschenleben hatte natürlich Priorität.
Insgesamt etwa 2800 Objekte sind im Stadtmuseum in Ahrweiler gelagert. Um sie zu retten, organisierte der Museumsverband Rheinland-Pfalz eine Hilfsaktion. So wurden die beschädigten Objekte in verschiedene Museen deutschlandweit gebracht. Ein Teil musste bereits vor Ort entsorgt werden. Das Stadtmuseum Simeonstift Trier nahm mehr als 50 Gemälde auf. Das Zentrum für Kunst und Medien sowie das Landesmuseum in Karlsruhe bekam etwa 60 Gemälde. Und das Römisch-Germanische Zentralmuseum, eine weltweit tätige Forschungseinrichtung für Archäologie, übernahm das gesamte archäologische Material des Stadtmuseums. Die etwa 500 Objekte kamen Mitte August in 90 Kisten in Mainz an. Darunter waren Keramik, Gläser, Fossilien, mittelalterliche Alltagsgegenstände und vieles mehr. Ein Teil wurde bereits gereinigt und restauriert, der Rest wird gerade noch von Jasmin Harth und ihrem Team bearbeitet.
Es muss schnell gehen
Die Kisten waren teilweise voll mit Wasser und Schlamm. Deshalb befreite man sie in einem ersten und wichtigsten Schritt vom Schmutz und reinigte sie. Dabei musste das fünfköpfige Team des Mainzer Museums schnell agieren. Denn je länger die Objekte feucht gewesen wären, desto mehr langfristige Schäden wie Schimmel, Risse oder Verformungen hätten sie davontragen können. Innerhalb von zwei Wochen reinigte das Team deshalb so schnell wie möglich die Objekte. Im Anschluss legte sie diese im naheliegenden Museum für Schifffahrt zum Trocknen aus. Dort lagern viele der Kulturgüter noch immer.
In der Restaurierungswerkstatt des Römisch-Germanischen Museums werden vor allem die stark beschädigten Objekte wieder zusammengesetzt. Doch nicht alle können versorgt werden, da die Arbeit sehr zeitaufwendig ist. So werden vor allem jene Objekte restauriert, bei denen eine Reparatur nötig ist, um diese für die Lagerung vorzubereiten. Denn nur restaurierte Objekte können langfristig stabil gelagert werden.
Diese Objekte landen bei Jasmin Harth und ihren Kolleg*innen in der Werkstatt. Vor der Restauratorin liegt jetzt ein Haufen mit dunkelbraunen Tonscherben in einem Pappkarton auf dem Schreibtisch. »Die Kisten haben die Objekte wohl vorm Schlimmsten bewahrt. Und jetzt müssen wir in die feineren Arbeiten einsteigen«, sagt sie. Eine große Lampe spendet Harth Licht. Dass es sich bei dem Scherbenhaufen um eine römische Urne handelt, lässt sich nur schwer erkennen. Neben den Scherben liegt ein kleiner Papierstreifen mit der Aufschrift »Gefäß zerfallen, bitte kleben«. Dieses Objekt ist bei der Flut völlig auseinander gefallen. Da die Urne schon mal restauriert wurde, befinden sich noch Reste von Klebstoffen an den Scherben. Harth bearbeitet die Scherben mit einem kleinen Pinsel und einem Lösungsmittel, um den alten Klebstoff zu entfernen. Nach der Reinigung kann sie das Gefäß wieder zusammensetzen. Das wird aber noch etwas dauern. Es ist eine kleinteilige Aufgabe, die viel Geduld fordert. »Ich habe einen sehr leisen Beruf«, sagt die Restauratorin schmunzelnd. »Deshalb hören wir hier in der Werkstatt auch immer den ganzen Tag Radio.«
Etwa zwei bis drei Monate wird das Team wohl noch beschäftigt sein. Doch sie sind zuversichtlich, dass fast alle Objekte restauriert werden können. Dass diese in Plastikkisten gelagert waren, kommt ihnen jetzt zugute. Aber es liegt auch an der Art der Objekte, dass sich die Schäden in Grenzen halten. Bei archäologischen Objekten gestaltet sich die Restaurierung etwas einfacher. Diese lagerten bereits schon einmal unter der Erde, dort waren sie schon einmal extremen Bedingungen ausgesetzt. Anders sieht es bei Gemälden oder Grafiken aus, die ihre meiste Zeit in Innenräumen verbracht haben. Da ist die Restaurierung etwas schwieriger. Aber selbst dort konnte einiges gerettet werden.
Das Wichtigste ist die Lagerung
Dass das Zentralmuseum das gesamte archäologische Material des Stadtmuseums aufgenommen hat, ist kein Zufall. »Wir beschäftigen uns prinzipiell mit archäologischen Objekten, um diese zu bewahren und die vergangenen Zeiten am Leben zu erhalten«, sagt Christiane Nowak-Lipps, die das Projekt betreut und koordiniert. »Deshalb wollten wir auch unbedingt helfen.« Die Archäologin stand während den Bergungsarbeiten mit dem Bergungsteam per Smartphone in Kontakt. Nach der Bergung landeten aber auch Objekte in Mainz, die das Team nicht selbst versorgen konnte, wie zum Beispiel Skelette. So ist der Schädel eines Skeletts zerbrochen, eine solche Restaurierung muss eine andere Werkstatt übernehmen. Und auch mit Fossilien und Mineralien kennt sich die Mainzer nicht so gut aus und möchten diese an andere Stellen abgeben.
Denn die Objekte, die nach der Flut in Mainz gelandet sind, sind teilweise Millionen von Jahren alt. So reichen einige bis in die paläontologische Zeit, wie beispielsweise die Fossilien. Aber es finden sich auch viele römische Objekte, da im Ahrtal vor langer Zeit ein römischer Gutshof angesiedelt war. Das »jüngste« Objekt ist eine mittelalterliche Wasserleitung. Dass die Objekte restauriert und ordentlich für die Lagerung vorbereitet werden, ist für die Projektkoordinatorin vor allem von kultureller Bedeutung. Jedes Objekt erzählt eine Geschichte. Dass diese Geschichten nach der Flutkatastrophe erhalten bleiben, sei vor allem wichtig für die Identität der Menschen im Ahrtal, so Nowak-Lipps.
»Machen, wovon wir immer sprechen« - Die Aktivisten Christian Stein und Horst Schöppner fuhren ins Flutgebiet nach Ahrweiler zur Unterstützung der Aufräumarbeiten
Neben den zahlreichen Kleinobjekten fanden auch einige Großobjekte ihren Weg nach Mainz. Dazu zählt unter anderem die mittelalterliche Wasserleitung sowie ein fränkisches Baumgrab. Diese wurden bereits gesäubert und liegen zum Trocknen aus. Vor ein paar Wochen kam die Museumsleiterin vom Stadtmuseum in Ahrweiler, Heike Wernz-Kaiser, zu Besuch. Sie sei wahnsinnig dankbar gewesen, dass so viel gerettet wurde, so Nowak-Lipps.
Nach der Säuberung und Trocknung müssen die Objekte jetzt vor allem dokumentiert werden. Sie werden einerseits für die Lagerung, aber andererseits auch für zukünftige Ausstellungen vorbereitet. So müssen die Objekte stabil genug sein, um weitertransportiert werden zu können. Wie es mit den Kulturgütern weitergeht, ist bisher noch unklar. Denn ob und wann das Stadtmuseum in Ahrweiler wiederaufgebaut wird, ist noch ungewiss. In Mainz können die Objekte jedenfalls erst einmal bleiben. Im Museum für Antike Schifffahrt ist genug Platz für sie.
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