Räumung im politischen Vakuum

Der »Köpi«-Wagenplatz in Mitte ist Geschichte: Mit einem Großaufgebot setzt die Polizei am Freitag einen Räumungstitel um

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 6 Min.

Pünktlich um 10 Uhr taucht am Freitagvormittag die Gerichtsvollzieherin mit dem Räumungsbescheid in der polizeilich abgeriegelten »roten Zone« rund um die Köpenicker Straße 134-136 in Mitte auf. Bestimmt ist der Bescheid für die Bewohner*innen des zum linken Hausprojekt »Köpi« gehörenden Wagenplatzes. Allein: Bis die Gerichtsvollzieherin das Schreiben den Empfänger*innen zustellen kann, sollen noch einige Stunden vergehen. Erst gegen 13.30 Uhr kann sie den Platz in Polizeibegleitung betreten, obwohl noch immer zwei Aktivistinnen in den Bäumen ausharren.

Das 1990 besetzte und 1991 legalisierte »Köpi«-Gelände ist seit 2007 im Besitz der Briefkastenfirma Startezia GmbH, hinter der sich die Sanus AG des Immobilieninvestors Siegfried Nehls verbirgt. Während die »Köpi« selbst noch Verträge bis 2037 hat, kann der Wagenplatz nach einem im Juni gefällten Gerichtsurteil geräumt werden. Und genau das passiert an diesem Freitagmittag.

Die Polizei hat dabei alles aufgefahren, was der Apparat so hergibt: 2000 Beamt*innen, Wasserwerfer, Räumpanzer, Klettertrupps, Sondereinsatzkommando und Hundestaffel. Schließlich wird ein Gerüst an den mit Metallplatten verstärkten Zaun angebaut, bis sich die Polizei dann doch auf den Einsatz eher mittelalterlich anmutender Brechstangen verlegt, um aufs Gelände vorzudringen. Auch mithilfe eines Räumpanzers brechen sie langsam, aber medienwirksam von der Köpenicker Straße aus ein. Vereinzelt fliegen Flaschen und Böller vom »Köpi«-Gelände auf die Straße. Der Anwalt des Wagenplatzes, Moritz Heusinger, erklärt, die Bewohner*innen stünden »am Rande des Nervenzusammenbruchs« und fürchteten um ihre Lebensgrundlage.

Eine Polizeisprecherin berichtet von Angriffen mit Flaschen und Feuerlöschern, Polizist*innen seien jedoch nicht verletzt worden. Die Beamt*innen wirken dabei relativ entspannt, was angesichts ihrer erdrückenden Übermacht auch nicht wirklich verwundert. Trotzdem ist die Stimmung unter den Bewohner*innen und ihren Unterstützer*innen kämpferisch. Auf mehreren Kundgebungen rund um die »Köpi« haben sich ab 5 Uhr Hunderte Menschen versammelt und protestierten lautstark, vereinzelt kommt es zu Rangeleien mit der Polizei und Festnahmen - allein bis zum Mittag sind es 21. Zwischen einigen Demonstrant*innen und Beamt*innen der 35. Einsatzhundertschaft entwickelt sich zwischenzeitlich eine wüste Keilerei, die Polizei setzt Pfefferspray ein. Auch hier folgen Festnahmen.

Bereits in den Tagen zuvor war die Stimmung in der Innenstadt angespannt. Mehrere Hundertschaften fuhren auf Dauerstreife die Straßen im Umfeld ab, Nacht für Nacht drehte ein Polizeihubschrauber seine Kreise. Auf der anderen Seite brannten vereinzelt Autos. Am Donnerstagvormittag wurden in der Nähe der »Köpi« zwei kleinere Barrikaden in Brand gesetzt, auch eine Bauruine direkt neben dem linken Haus- und Wagenplatzprojekt wurde kurzzeitig besetzt. Am Abend zog eine von der Initiative Reclaim Club Culture organisierte Demonstration - Motto: »Technopunk gegen unhaltbare Zustände« - mit etwa 500 Menschen zu hartem Techno von Neukölln bis zur Schillingbrücke und weiter zur Jannowitzbrücke. In der Nacht wurden schließlich Häuser und Fahrzeuge am Rand einer Spontandemonstration in der Kreuzberger Ritterstraße beschädigt.

Die Bewohner hatten erklärt, sie würden am »Tag X« nicht »kampflos« aufgeben. Das Wagencamp präsentierten sie als autonomen, von Profitgier bedrohten Freiraum und als Zuhause für Dutzende Menschen. Die angekündigte große Mobilisierung bleibt am Freitag dennoch aus, die Lage vor Ort wirkt bisweilen gespenstisch. Dabei war der Räumungstermin spätestens seit Mittwoch besiegelt, als das Berliner Kammergericht einen Eilantrag des »Köpi«-Anwalts Moritz Heusinger für nichtig erklärte. Einem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge sei es »unstreitig, dass die Eigentümerseite in der ersten Instanz zwei gefälschte Unterschriften vorgelegt hat«, sagte der Anwalt am Rand der Räumung. Das Gericht hätte die Zwangsvollstreckung aussetzen können. Tat es aber nicht. Stattdessen beschied es ihm, dass auch das laufende Berufungsverfahren gegen die Räumung keine Aussicht auf Erfolg haben werde.

Klar scheint, dass die Räumung hätte abgewendet werden können: Seit Monaten wurden Verhandlungen zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge, dem Bezirksamt Mitte, Vertreter*innen des »Köpi«-Wagenplatzes und dem Eigentümer geführt. »Lange zeigte sich der Eigentümer bereit, das Grundstück an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen«, teilte die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag mit. »Damit hätte der Wagenplatz zwar einen Teil seiner Fläche abgeben müssen, hätte aber als Projekt mit langfristigem Pachtvertrag auf einer Teilfläche gesichert werden können.« Eine polizeiliche Räumung wäre so vom Tisch gewesen. Sogar Kaufpreis, Kaufvertrag und Notartermin hätten bereits festgestanden. »Dann ließ der Eigentümer die Verhandlungen platzen. Der Linke-Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel, hat sich persönlich dafür eingesetzt, den Eigentümer zurück an den Verhandlungstisch zu bringen, leider ohne Ergebnis«, heißt es weiter in der Stellungnahme.

Auch »Köpi«-Anwalt Heusinger bestätigt, dass die Howoge und Mittes Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) »alles in ihrer Macht stehende getan« hätten, um eine Verhandlungslösung zu erzielen. »Eine Zwangsvollstreckung geht normalerweise nicht so schnell«, kritisiert Heusinger. Für ihn steht fest: Es habe auch keinen politischen Willen im Haus von Innensenator Andreas Geisel (SPD) gegeben, die Räumung zu stoppen. »Die Senatsverwaltung hat eine außerordentlich schnelle Räumung veranlasst, genau in einem Augenblick, in dem die Regierung wechselt, so dass keiner Verantwortung übernehmen muss«, so Heusinger.

Der Anwalt bezeichnet die Situation als »Tragödie«. Die Unternehmensgruppe Siegfried Nehls habe in Zossen über zehn Millionen Euro Rückstände an öffentlichen Abgaben. Die Investmentgruppe, deren Hauptinhaber Nehls selbst sei, habe das Gelände für eine Million Euro gekauft und könne jetzt damit 20 Millionen verdienen: »Ein Mensch verkauft für 20 Millionen, steckt das Geld steuerfrei ein und Menschen landen in der Obdachlosigkeit. Dabei hätte man einen Kompromiss finden können.« Tatsächlich spricht nichts dafür, dass die Startezia GmbH wirklich bauen will, wie sie behauptet. Wahrscheinlicher ist, dass sich Siegfried Nehls von einem geräumten Grundstück eine wesentlich höhere Rendite verspricht.

Um 15.30 Uhr ist das komplette Wagenplatzgelände am Freitag geräumt. Insgesamt 42 Personen hat die Polizei bis dahin auf dem Areal festgenommen, die nach ihrer Personalienfeststellung aber wieder freigelassen wurden. Für die Polizei ist der Tag gut gelaufen. Juristisch betrachtet wirkt der Polizeieinsatz dabei mindestens fragwürdig: Gefälschte Unterschriften vor Gericht, ein Strohmann, den es nicht gibt, und trotzdem wird ein Räumungstitel erteilt. Die Gelegenheit schien gleichwohl günstig, um Fakten zu schaffen und ein unbequemes linkes Projekt aus dem Weg zu räumen. Noch-Innensenator Geisel duckt sich derweil weg.

Für den Freitagabend haben linke Gruppen erneut zu einer »Tag X«-Demonstration durch Neukölln und Kreuzberg aufgerufen. »Jede Räumung hat ihren Preis, heute Abend knallt’s!«, kündigen die »Köpi«-Bewohner am Nachmittag über Twitter schon einmal an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.