- Politik
- Mafia in Italien
Das Elend hat System
Mafiaorganisationen sind auch an der Ausbeutung von Landarbeiter*innen beteiligt
Dass die italienische Mafia auch in der Bundesrepublik Deutschland aktiv ist mit allen möglichen illegalen Geschäften wie Drogen, Geldwäsche und Schutzgelderpressung, wissen einige vielleicht. Sie findet aber noch auf eine andere Weise Zugang nach Deutschland - über die vielen italienischen Lebensmittel, die importiert werden. Die Menschen, die in Italien die Lebensmittel ernten, werden häufig als moderne Sklaven bezeichnet. Es sind mafiöse Strukturen, die die Landarbeiter*innen ausbeuten und in die die italienische Mafia unentwirrbar verwickelt ist. Der Verein Mafianeindanke leistet Aufklärungsarbeit und setzt sich dafür ein, dass in Deutschland und auf EU-Ebene besser gegen Organisierte Kriminalität vorgegangen wird. Zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte er kürzlich die erste deutschsprachige Veranstaltung zu dem Thema in Berlin.
Die Art, wie heutzutage Lebensmittel hergestellt werden, bedeutet nicht nur eine Ausbeutung der Umwelt, sondern auch eine menschenverachtende Ausbeutung von Arbeiter*innen. Die Veranstaltung zeigte die Missstände in Italien auf, berichtete aber auch von der gewerkschaftlichen Organisierung der Landarbeiter*innen, die sich auf diese Weise gegen die elendigen Zustände wehren. Außerdem diente der Abend zur Vorstellung des Buches »Der Kampf der Landarbeiter*innen in Italien«, das von dem Gewerkschaftsaktivisten Kone Brah Hema verfasst und dem Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben wurde.
Die geladenen Gäste, Expert*innen und Aktivist*innen auf dem Gebiet, von denen einige aus Italien kamen, betonten, dass Deutschland und die EU für diese Zustände mit Verantwortung trügen und noch einiges getan werden müsse, um gegen die mafiösen Strukturen in der italienischen Landwirtschaft vorzugehen. Mafianeindanke schlägt zum Beispiel eine bessere Kontrolle von Lieferketten vor, um gegen die Agromafias vorzugehen, wie die mafiösen landwirtschaftlichen Strukturen von Seiten des Vereins genannt werden.
Ein Begriff, der an dem Abend immer wieder fiel, ist Caporalato - die Ausbeutung von zum Großteil eingewanderten Saisonarbeiter*innen, die durch Zeitarbeitsfirmen auf die Felder vermittelt und ausgebeutet werden und unter schlimmen hygienischen Bedingungen in Slums wohnen. Oft haben die Betroffenen keine Papiere und akzeptieren deswegen alle möglichen Bedingungen, sind getrieben von der Angst, auch den kärglichen Lohn, den sie für die Arbeit auf den Feldern bekommen, noch zu verlieren. Oft verdienen sie nur drei bis vier Euro pro Stunde, für den Transport zu den Feldern müssen sie selbst aufkommen.
In Apulien im Süden Italiens etwa, einer großen Tomatenproduktionsregion, liegt Torretta Antonacci, eine Siedlung von Landarbeiter*innen, etwa 15 Kilometer von der Stadt Foggia entfernt. Die Lebensbedingungen dort sind extrem prekär. Es gibt kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Toiletten. Viele Arbeiter*innen haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus oder sind illegal im Land. Doch es gibt auch Leute, die wohnen bereits seit 20 Jahren in Torre Antonacci und haben sogar italienische Papiere.
Die mafiösen Strukturen sind nicht auf den ärmeren Süden Italiens beschränkt, wo die Mafia lokal verankert ist und Rückzugsorte hat, sie finden sich auch im Norden. Allerdings sind sie im Süden mehr verbreitet. Bootsflüchtlinge aus den afrikanischen Ländern kommen hier an. Der Europäische Ethnologe Gilles Reckinger bezeichnete den Süden Italiens als »abgehängte Region«, deren Selbstwert allzu häufig rassistisch auf die Ausgrenzung der noch Prekäreren baut.
Die Journalistin Sara Manisera stellte dar, wie die italienische Mafia, beziehungsweise die italienischen Mafiaorganisationen, wie es richtigerweise heißt, in alle Schritte der landwirtschaftlichen Produktion einbezogen sind: in die Transporte von Obst und Gemüse, durch Strohfirmen, als Besitzer von Supermärkten, indem sie Olivenöl oder Büffelmozzarella panschen oder sich europäische Fördermittel unter den Nagel reißen.
Italiens Regierung hat sich dem Phänomen des Caporalatos erst 2016 angenommen, verändert hat sich seitdem fast nichts. Denn das Elend hat System. Die Preise, die für Lebensmittel gezahlt werden, sind so niedrig, dass, wer im kapitalistischen System bestehen will, nur an den Kosten der Arbeitskraft drehen kann - dem schwächsten Glied der Produktionskette. Die großen Supermarktketten haben eine enorme Wirtschaftsmacht und können die Bedingungen vorgeben. Die Ausbeutung »unsichtbarer Körper«, nennt dies die Aktivistin und Forscherin Diletta Bellotti. Bekannt ist sie für ihre Performances, bei denen sie ab 2019 auf öffentlichen Plätzen Obst und Gemüse mit Blut zermatschte und auf eine italienische Flagge, die sie selbst am Körper trug, tropfte.
Die mafiösen Strukturen leben davon, dass trotz der illegalen Ausbeutung das Produkt, das am Ende dabei herauskommt - also etwa die Tomate - legal ist. »Der Caporalato trägt Anzug und Krawatte«, sagte der italienische Gewerkschafter Stefano Gianandrea De Angelis. Auch wenn die italienischen Mafiaorganisationen eng mit der Ausbeutung der Landabeiter*innen verbunden sind, sind es neoliberale Wirtschaftsformen, die den kriminellen Strukturen Räume eröffnen. »Die westlich-imperiale Lebensweise hat als integralen Bestandteil diese Ausbeutung der Migrant*innen«, fasst Gilles Reckinger die Problematik zusammen. »Die Dominanzverhältnisse des Marktes wiegen dabei schwerer als die Mafien.« Die geladenen Gäste sind sich einig, um gegen die Ausbeutung vorzugehen, brauche es eine starke europäische Politik, gegen das System könne nicht national oder von Seiten der Konsument*innen vorgegangen werden.
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