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Eine froh stimmende Zukunftsvision

Walter Ötsch und Nina Horaczek fordern die Rückkehr der Fantasie in die Politik und echte gesellschaftliche Partizipation

  • Pia Sophie Roy
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist ja mal was ganz Neues: Überraschend machen Walter Ötsch und Nina Horaczek als Schlüsseljahr für die Krise in der Politik das Jahr 1989 aus, ebenjenes, das gemeinhin, landauf, landab, als ein Annus mirabilis, ein Wunderjahr, gefeiert und umjubelt wird, weil es den Fall der Berliner Mauer und des «Eisernen Vorhangs», das Ende der Ost-West-Konfrontation brachte. Wie kommen die beiden Autoren darauf?

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Walter Ötsch/Nina Horaczek: Wir wollen unsere Zukunft zurück! Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik.
Westend, 256 S., br., 18 €.

Sie beziehen sich auf die unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Staatssozialismus verkündete These des US-amerikanischen Politologen Francis Fukuyama vom «Ende der Geschichte», mit dem sukzessive die Fantasie aus der Politik verschwand, Alternativen nicht mehr gedacht wurden, der Kapitalismus, wie er war und ist, als gegeben, als bestmögliche Gesellschaft hingenommen wurde. Was zu fatalem Stillstand führte. Der «freie Westen» habe in der «Konkurrenz der Systeme» gesiegt. Da es sich aber in dieser Gesellschaft für Millionen bei Weitem nicht besser leben ließ und sie keine Antwort auf drängende Fragen der Gegenwart und Zukunft zu bieten hat, wuchsen Frustration, Politikskepsis und Politikabstinenz.

Nicht als Politik-Bashing verstehen die Autoren ihre Streitschrift. «Wir sind keine Wutbürgerinnen und Wutbürger. Wir verstehen den Zorn, wollen aber unsere Energie nicht damit vergeuden.» Ihr kritischer Blick gilt konkret der neoliberalen Politik, dem aktuellen Zustand der Parteiendemokratie. Es geht den Autoren um eine neue, partizipativere Politik. Nicht eine Abwendung von der Politik, sondern ein neuer Schritt zu einer besseren Politik ist ihr Ziel. «Nicht von oben, sondern von unten», betonen Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte, und Co-Autorin Horaczek, Journalistin und Politikwissenschaftlerin.

Die Zeit sei reif für eine bessere Zukunft für alle, deklarieren und begründen die Autoren denn auch bereits in ihrem ersten Kapitel. «Eine Zukunft, in der wir viel weniger von der Ausbeutung anderer - seien es Menschen, Tiere oder die Umwelt - profitieren. In der nicht mehr der Profit der Maßstab aller Dinge ist, sondern der Mensch mit seinem Recht auf eine saubere, intakte Umwelt und ein besseres Leben.» Das Autorenduo entzaubert den Mythos «Markt», zeigt, dass Politik stets Abbild herrschender Machtverhältnisse und also letztlich immer eine Machtfrage ist, entlarvt die «ökonomisierte Gesellschaft», kritisiert imaginäre Freiheiten und entblößt den «imaginativen Menschen». Das alles wird auf hohem intellektuellen und argumentativen Niveau diskutiert und mit reichlich Beispielen aus der politischen Praxis und dem Alltag der Menschen unterfüttert.

Abschließend offerieren die Autoren einen kühnen persönlichen Ausblick in die Welt in 30 oder 50 Jahren: «Wir sehen große Erleichterung. Die Menschheit hat den Turnaround geschafft. Mit vereinten Kräften ist es gelungen, die Klimakatastrophe abzuwenden. Wir bauen Häuser, die nachhaltig sind, und Plätze zum Wohlfühlen. Wir leben in Städten, die ruhig und sauber sind ... Wir leben in einer Welt, in der Wohlstand gerecht verteilt ist. Die großen Banken sind in kleinere Einheiten aufgeteilt, das Schattenbankensystem unter Kontrolle gebracht und die Steueroasen sind trockengelegt. Jeder Mensch hat das Recht auf ein sicheres, gutes Leben.» Und zwar nicht nur im Globalen Norden. Was für ein schönes Zukunftsbild, was für eine verlockende Utopie. Man wird ja wohl auch träumen dürfen. Nein, man muss träumen können! Dazu laden Ötsch und Horaczek ein, nicht mehr und nicht weniger.

Dieses Buch richtet sich, so die Autoren eingangs, an alle Menschen, die angesichts des aktuellen Zustands der Umwelt und Mitwelt besorgt sind und auch wegen drohender schrecklicher Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten, wenn diesen nicht jetzt vorgebeugt wird. «Unser Buch richtet sich an Menschen, die darüber besorgt sind, wie die Gesellschaft immer mehr auseinanderdriftet, und die es als Skandal empfinden, dass ein Prozent der Bevölkerung gut vierzig Prozent des Vermögens kontrolliert.»

Ihr Buch sei adressiert an all jene, die sich eine Neubelebung der Demokratie wünschen, die mit Engagement «beherzt und mutig» jeden Tag daran arbeiten, eine Antwort auf die anstehenden Herausforderungen zum Überleben der Menschheit zu finden«. Kurzum: »An die vielen, vielen auf der Welt, die den Traum von einer besseren Welt für alle nicht aufgegeben haben.«

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