• Berlin
  • Koalitionsverhandlungen

Grüne Feierlaune

Rot-grün-rote Koalitionsverhandlungen in Berlin sollen noch in dieser Woche beginnen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Aufnahme von rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin noch in dieser Woche dürfte nichts mehr im Weg stehen. Am Dienstagabend, nach Redaktionsschluss dieser Seite, kommt Die Linke als letzte der drei alten und neuen Regierungspartnerinnen zusammen. Beobachter gehen davon aus, dass auch sie nach dem Sondierungsmarathon der vergangenen Wochen den Verhandlungen mehrheitlich zustimmen wird - trotz aller Kritik am Sondierungspapier im Vorfeld.

Im Laufe des Montags hatten bereits SPD und Grüne der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ihren Segen gegeben. In ausgesprochener Feierlaune zeigte sich dabei vor allem das Sondierteam der Grünen. »Wir haben das historisch beste Ergebnis in Berlin eingefahren, und das können wir auch mal feiern«, rief Grünen-Landeschef Werner Graf am Montagabend den Delegierten des Landesausschusses seiner Partei zu. Und tatsächlich glichen die Reden der Sondiererinnen und Sondierer auf dem »kleinen« Grünen-Parteitag denen auf einer heiter bis überdrehten Betriebsfeier.

»Heute sind wir an einer entscheidenden Weggabelung angekommen«, warb Fraktionschefin Bettina Jarasch in ihrer etwas atemlosen Rede um Zustimmung für die Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken. Wie alle anderen Rednerinnen und Redner auch, weshalb das Ergebnis am Ende wenig überrascht: Der entsprechende Antrag der Grünen-Spitze wurde mit nur einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen angenommen.

Nicht ganz so beschwingt wie die Wortbeiträge im Saal war die Stimmung vor dem Eingang des Tagungshotels, wo rund 60 Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen die eintreffenden Delegierten lautstark an das Ergebnis des gleichnamigen Volksentscheids erinnerten. Für Unmut sorgt vor allem die im Sondierungspapier vorgesehene Einsetzung einer Expertenkommission, die ein Jahr Zeit haben soll, die Umsetzung des Volksentscheids zu prüfen. Etliche Gutachten hätten die Rechtmäßigkeit der Vergesellschaftung großer Immobilienbestände bereits bestätigt: »Dass jetzt noch einmal ein Jahr prüfen zu lassen, halten wir für eine Verzögerungstaktik, die nicht dem demokratischen Willen der Berliner*innen entspricht«, sagt Lisa Bogert, eine Aktivistin von Deutsche Wohnen & Co enteignen, am Rande der Kundgebung zu »nd«.

Auf dem »kleinen« Parteitag selbst versuchte Grünen-Frontfrau Bettina Jarasch derweil, den Delegierten das ebenfalls im Sondierungspapier verankerte »Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen« unter Einschluss der privaten Immobilienkonzerne schmackhaft zu machen. »Ihr werdet hier viele Parallelen zu unserem grünen Mietenschutzschirm erkennen, und das ist kein Zufall«, so Jarasch. Den Druck, der durch den Volksentscheid entstanden sei, wolle sie dabei für ebenjenen Schutzschirm »nutzen«. Sollte der Pakt aufgehen und Private im großen Umfang bezahlbaren Wohnraum schaffen - »dann können wir das Vergesellschaftungsgesetz vom Tisch nehmen«.

Bei weitem nicht alle Delegierten waren freilich so zufrieden mit dem gefundenen Formelkompromiss zum Volksentscheid wie Jarasch. So stellte die wohnungs- und mietenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, nochmals klar, dass der Volksentscheid vor drei Wochen »das beste Wahlergebnis von allen« hatte. Mit fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen sei das »ein Votum, von dem wir Parteien nur träumen« könnten. Es sei daher doch auch »logisch«, dass man ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten muss. »Was soll denn diese Expertenkommission sonst machen? Rechtliche Gutachten gibt es mittlerweile genug. Den Volksentscheid ernst nehmen, heißt umsetzen, und umsetzen muss Gesetz heißen«, so Schmidberger. Es dürfe »nicht passieren, dass wir den Volksentscheid auf die lange Bank schieben lassen«.

Auch Enad Altaweel mahnte mit Blick auf den Umgang mit dem Volksentscheid Nachbesserungsbedarf an. Ihm sei bewusst, »dass das mit Franziska Giffey schwer ist«, sagte der Delegierte des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Aber: »Das muss sich ganz klar wiederfinden in dem Koalitionspapier, viel mehr als in dem Sondierungspapier.« Und das sei nicht der einzige Punkt, den Altaweel in den sechs Seiten mit seinen 19 Unterpunkten vermisse. Dennoch machte auch er sich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stark - froh, dass sich die Grünen einer Koalition unter Einbeziehung der FDP verweigert haben, »dem neoliberalen Schwachsinn«, wie er es nannte.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.