Das ist die Härte

Eigentlich hat die Landesregierung in Erfurt Straßenausbaubeiträge abgeschafft - und doch sollen viele noch zahlen. Die Betroffenen sind wütend

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 7 Min.

Mit jedem Wort, das Undine Schirmer hervorpresst, wird sie lauter. Und aggressiver. Vermutlich will sie das gar nicht. Aber der Frust, der sich bei ihr in den vergangenen Jahren aufgestaut hat, bricht sich seine Bahn. Und es will einiges heißen, dass Schirmer in diesen Minuten immer wütender wird. Nun, da sie davon erzählt, wie sie gemeinsam mit anderen Anliegern einer Straße in Piesau gegen Gebührenbescheide kämpft. Denn schon als Schirmer zu dem Tisch gelaufen war, auf dem sie einen dicken Stapel Unterlagen ausgebreitet hat, hatte jeder ihrer Schritte ungewöhnlich schwer, fast schon trotzig gewirkt. So als stampfe sie mit jedem Schritt auf dem Papier herum, das ihr sagt, dass sie etwa 6000 Euro an den Staat bezahlen soll. Ihr Wütend-und-Frustriert-Level war schon enorm hoch, noch ehe sie zu erzählen begonnen hatte.

Auf dem Höhepunkt ihrer Tirade brechen diese Worte aus Schirmer hervor: »Das ist eine Frechheit sondergleichen, was die da in Erfurt abziehen. Die interessieren sich doch überhaupt nicht für die Leute. Die brauchen sich nicht wundern … Die werden schon sehen, was sie davon haben …« Nach dem Einwurf eines anderen Anliegers, der mit am Tisch sitzt, Schirmer solle sich ein bisschen beruhigen, schiebt sie nach: »Da kann man doch nicht runterfahren.« Einige Augenblicke lang darf man den Eindruck gewinnen, sie würde gerne noch ein paar mehr Worte sagen, die zu benutzen ihr allerdings offenkundig ihr Anstand verbietet.

Pläne für einen Härtefallfonds

Die vorliegenden Pläne zur Einrichtung eines Thüringer Härtefallfonds im Zusammenhang mit der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge orientieren sich an einem bayerischen Modell. Danach könnten Menschen Geld vom Staat erhalten, die nach dem 1. Januar 2019 einen entsprechenden Bescheid erhalten haben, der sich auf Arbeiten bezieht, für die die Beitragspflicht zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember 2018 entstanden ist.

Sollten sie bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten - die nur für Besserverdiener relevant wären -, würden diese Menschen den Plänen nach 2000 Euro der ihnen in Rechnung gestellten Straßenausbaubeiträge selbst zahlen müssen und jeden Euro darüber erstattet bekommen. sh

Dass Schirmer und etwa ein Dutzend andere Anlieger dieser Straße - die ebenso wie Piesau inmitten des Thüringer Schiefergebirges liegt - mit ganz viel Unverständnis ins politische Erfurt schauen, hat einerseits mit einem schönen, glatten Stück Asphalt zu tun. Andererseits mit den Hoffnungen, die in der Thüringer Landeshauptstadt geweckt wurden, seit dort entschieden worden war, dass auch im Freistaat die Straßenausbaubeiträge abgeschafft werden. Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 müssen in Thüringen diese Abgaben nämlich nicht mehr erhoben werden. Einem entsprechenden Beschluss des Landtages war ein gefühlt mehrere Jahrhunderte dauernder Streit um Sinn und Unsinn dieser Beiträge, um Gerechtigkeit und Ungerechtigkeiten, um Geld und Kein-Geld in der Landeskasse vorausgegangen.

Doch trotz der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gibt es nach Schätzungen eben immer noch etwa 7000 Menschen im Land, denen nach dem 1. Januar 2019 Bescheide zugestellt worden sind, in denen sie aufgefordert werden, viel oder sehr viel Geld für den Ausbau von Straßen zu zahlen, die vor ihren Grundstücken verlaufen. Das wiederum hat mit den Details der Abschaffung zu tun, die es erforderlich machen, dass die Kommunen noch bis Ende 2022 Straßenausbaubeiträge für solche Straßenarbeiten eintreiben, die zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember 2018 abgeschlossen wurden oder in diesem Zeitraum für abgeschlossen erklärt worden sind. Und diese Details wiederum haben dazu geführt, dass seit Jahren auch über einen Härtefallfonds des Landes diskutiert wird, mit dem Menschen unterstützt werden könnten, die trotz der beschlossenen Abschaffung dieser Beiträge immer noch zahlen sollen.

Schirmer sagt, schon als sie im Januar 2019 ihren Gebührenbescheid in der Hand gehalten habe, habe sie von diesem Fonds gehört. Eine Mitarbeiterin der für sie zuständigen Kommunalverwaltung habe ihr damals davon erzählt, dass sie eine Zuarbeit für das Thüringer Innenministerium vorbereite, um diesen Fonds auf den Weg zu bringen. Auch viele der anderen Dokumente, die Schirmer vor sich ausgebreitet hat, zeichnen die Debatten und Diskussionen darum nach. Schirmer - eine eigentlich freundliche und gar nicht wütende ältere Frau - hat Plenarsitzungen des Thüringer Landtages verfolgt, in denen es um den Härtefallfonds ging. Sie hat vor allem mit Abgeordneten der CDU- und Linke-Fraktion dazu hin und her geschrieben. Sie hatte - gemeinsam mit anderen Anliegern der Straße - einen Termin bei Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) und einem Abteilungsleiter seines Hauses.

Nur hat all das und auch das Drängen etwa des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer oder der Thüringer Bürgerallianz für sozial gerechte Kommunalabgaben nichts daran geändert, dass es diesen Härtefallfonds immer noch nicht gibt.

Dabei ist es nicht so, dass Schirmer und die anderen Anlieger der schönen, glatten, tiefschwarzen Straße in Piesau gar nichts zahlen wollen. »Dass wir jetzt eine neue Straße haben, neues Wasser- und Abwasser, das steht außer Frage und dafür wollen wir auch etwas bezahlen«, sagt auch zum Beispiel Martina Roth. Ihr Beitragsbescheid beläuft sich auf etwa 11 000 Euro, enorm viel Geld für eine Kindergärtnerin wie sie. Später, als sie, Schirmer und andere Anlieger - darunter Rentner - gemeinsam auf der Fahrbahn stehen, sagt auch Schirmer: »Wir wollten, das gebaut wird.« Der Straßenbelag vorher sei, sagen sie alle, eigentlich »nur Dreck« gewesen, der in den Sommermonaten in die Häuser gezogen sei, wenn Autos vorübergefahren seien. Was sie alle aber stört, sind eben erstens die enormen Summen, die sie zahlen sollen, und von denen sie sich völlig überfordert sehen. Zweitens ist es die Ungerechtigkeit, die sich aus ihrer Sicht daraus ergibt, dass einige Menschen nur deshalb noch hohe Beträge überweisen sollen, weil bei ihnen früher gebaut wurde als bei anderen. Und drittens und vor allem ist es nichts anderes als die Tatsache, dass über den Härtefallfonds zwar immer wieder geredet, dass er immer wieder in Aussicht gestellt worden ist. Dass diesem Reden aber keine Taten folgten.

Für Letzteres ist vor allem das Schwarze-Peter-Spiel verantwortlich, an dem sich verschiedene Akteure im politischen Erfurt seit Langem beteiligen. So ist zwar im Landeshaushalt für das laufende Jahr das Geld eingestellt, mit dem der Härtefallfonds ausgestattet werden könnte. Das räumt auch das Thüringer Innenministerium ein. Es sei »wie bereits im Landeshaushalt 2020 auch im Landeshaushalt des aktuellen Jahres Vorsorge für den Fall getroffen, dass ein Härtefallfonds eingerichtet wird«, sagt ein Ministeriumssprecher. Vermutlich würde eine einstellige Millionensumme reichen, um ihn zu finanzieren. Eingestellt in den Haushalt haben die Fraktionen von Linken, SPD, Grünen und CDU diese Mittel gemeinsam, indem sie den Landeshaushalt 2021 beschlossen haben.

Allerdings argumentiert das Innenministerium gleichzeitig, man brauche einen weiteren Landtagsbeschluss, um dieses Geld auch über einen Härtefallfonds auszahlen zu können; falls es diesen Fonds tatsächlich geben sollte, von dem Maiers Ressort jedoch nicht viel hält, wie der Sprecher nicht nur zwischen den Zeilen auch deutlich macht. Immerhin, sagt er, habe das Ministerium auf einen entsprechenden Auftrag des Parlaments hin einen Prüfbericht zu einem Härtefallfonds vorgelegt. Im Sommer 2020. »Dabei wurde im Ergebnis weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen die Einrichtung eines Härtefallfonds als erforderlich angesehen.« Im Einzelfall auftretende Härten könnten durch die schon bestehenden gesetzlichen Billigkeitsregelungen abgemildert werden.

Vor allem bei den Thüringer Linken, die seit Langem vehement für einen Härtefallfonds streiten, sieht man die Sache allerdings ganz anders. Indem eine Landtagsmehr als Haushaltsgesetzgeber das Geld für den Fonds bereits zur Verfügung gestellt habe, hätten die Abgeordneten dem Ministerium gegenüber doch ausreichend deutlich gemacht, dass sie wollten, dass die Mittel auch über diesen Fonds abflössen, sagt der kommunalpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Sascha Bilay. Aus seiner Perspektive weigert sich das Innenministerium schlicht und ergreifend, den Willen der Landtagsmehrheit umzusetzen - unterstützt von der SPD-Landtagsfraktion, die ihren Innenminister, der auch noch SPD-Landesvorsitzender ist, nicht beschädigen will.

Dafür, dass in absehbarer Zukunft noch ein Härtefallfonds eingerichtet wird, scheinen deshalb derzeit drei Wege gangbar, wobei sich im politischen Erfurt derzeit niemand eine seriöse Prognose dazu zutraut, welchen dieser Wege die Landespolitik gehen wird.

Erstens: Das Innenministerium gibt seinen Widerstand gegen den Fonds auf und richtet ihn über eine Verordnung ein.

Zweitens: Die Linken setzen sich innerhalb der Minderheitskoalition durch und sorgen dafür, dass Rot-Rot-Grün im Parlament einen Gesetzesentwurf einbringt und - gemeinsam mit CDU beziehungsweise FDP - verabschiedet, der die Einrichtung eines solchen Topfs erzwingt.

Drittens: Die CDU kapert das Thema politisch und bringt einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Landtag ein, dem Rot-Rot-Grün sehr wahrscheinlich zustimmen müsste.

Oder könnte der Fonds - viertens - gänzlich scheitern? Eingedenk des Zorns von Schirmer und der anderen Anlieger der Straße in Piesau mag man sich das lieber nicht vorstellen. Schon gar nicht, weil es ihnen nicht leicht fällt, zwischen Abgeordneten und Ministern zu unterscheiden. Es wären mal wieder »die da oben«, die den Schaden hätten. Einen Schaden, der sich nicht in Euro und Cent beziffern ließe.

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