Perfekt persiflierte Hetero-Toxizität

Die Serie »You« auf Netflix romantisiert toxische Männlichkeit und reproduziert unnötig Gewalt gegen Frauen, findet Nadia Shehadeh

Der Serie »You«, die aktuell in mittlerweile dritter Staffel auf Netflix läuft, kann man in der Tat vieles vorwerfen: Das Romantisieren toxischer Männlichkeit, die unnötige Reproduktion der Darstellung von psychischer und physischer Gewalt gegen Frauen, sinnlose Gewaltexzesse mit fragwürdiger, schon fast bizarrer Storyline. Und mittendrin ein Hauptprotagonist (Joe Goldberg), der in seiner Rolle so ambivalent angelegt ist, dass einige Fans sich leider vom Fleck weg in ihn verliebt haben.

Selbst der Besetzung ist so viel Liebe anscheinend zu viel, denn auch Hauptdarsteller Penn Badgley sah sich in der Vergangenheit schon des Öfteren zu der pädagogischen Maßnahme verpflichtet, die »You«-Fangemeinde daran zu erinnern, was für ein manipulatives und gefährliches Arschloch er in der Serie spielt. O-Ton Badgley auf Twitter: »You`re not supposed to like Joe, he`s a stalker and murderer.« (Ihr solltet Jon nicht mögen, er ist ein Stalker und ein Mörder). Trotzdem ist die Serie ungemein fesselnd, und das liegt vielleicht auch daran, dass es »You« vor allem in der aktuellen Staffel gelingt, das typische »ride-or-die« und die merkwürdigen Obsessionen heterosexueller Menschen in romantischen Beziehungen auf eine komplett überspitzte Art zu persiflieren.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des "Missy Magazine", außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für "nd" schreibt sie die monatliche Kolumne "Pop-Richtfest".

Mit »Squidgame« und »Maid« gehört »You« zu den großen Netflix-Blockbustern im Oktober - und das, obwohl die drei Produktionen vermeintlich nicht unterschiedlicher sein könnten. Aber es gibt in der Verschränkung verschiedener Themen grundsätzliche Gemeinsamkeiten: Kritik an kapitalistischen Verhältnissen und die Thematisierung von Armut (»Squidgame« und »Maid«), Mord und Totschlag (»Squidgame« und »You«), die toxischen Elemente romantischer Liebe (»Maid« und »You«), das Leiden der Individuen in dysfunktionalen Familienzusammenhängen und überhaupt die Einsamkeit des Menschen in modernen Gesellschaften (»Squidgame«, »Maid« und »You«).

Netflix-Produktionen spielen mit unseren Ängsten, Hoffnungen und Wünschen – und, wie nd-Kolumnist Leo Fischer es treffend beschrieben hat, auch mit unseren Erinnerungen. Netflix-Produktionen, die sich mit sozialen Missständen befassen, vernebeln unsere Sinne, indem sie uns – während wir auf der Wohnzimmercouch vor dem Bildschirm hocken – vorführt, wie Scheiße die Welt ist, während draußen die Welt Scheiße ist. Und Netflix-Produktionen, die Beziehungsgewalt ausweiden, erinnern daran, wie schrecklich und gefährlich romantische Hetero-Verwicklungen vor allem für Frauen sein können – sei es in »You«, bei den unzähligen True-Crime-Formaten die sich im Genre »Frauenmorde« ansiedeln oder bei an realen Fällen angelehnte Stories wie »Dirty John«. Sie reproduzieren dabei genau diese Art von Gewalt, die es anzuprangern gilt.

Schon die ersten beiden Staffeln von »You« gingen seit ihrem Start Ende 2018 zuschauertechnisch so gut durch die Decke, dass direkt die Fortsetzungen eingetütet werden konnten. Dabei ist die Geschichte von »You« sehr platt und auch recht schnell erzählt: Der Buchhändler Joe (Badgley), der irgendwie ein bisschen süß, aber vor allem ein gefährlicher Krimineller ist, verliebt sich ab Staffel 1 ständig und sehr impulsiv in irgendeine Frau. De stalkt er dann massiv, wickelt sie um den Finger, manipuliert sie in eine Beziehung mit ihm, isoliert sie anschließend, spioniert sie auf, überwacht und wenn alle Stricke reißen greift er sie an oder bringt sie letzten Endes um (oder fast). Bei all diesen Scharmützeln gibt es auch noch andere Kollateralschäden, wie Ex-Freunde von Joes Partnerinnen oder deren beste Freundinnen, die dann und wann getötet werden müssen, weil sie Joes Pläne der Totalvereinnahmung einer Frau sabotieren könnten.

Tausendsassa Joe beherrscht dabei die Klaviatur aller problematischen Männer-Typen perfekt: Vom Incel bis hin zum romantischen und beharrlichen Mr. Nice Guy, der sich eine Frau »verdient«™ hat bis hin zum soziopathischen Lügner, der Gaslighting perfekt beherrscht – nix wird ausgelassen.

Das Gemetzel wurde spätestens ab der zweiten Staffel, in der Joe in seiner neuen Freundin Love (Victoria Pedretti) seine Seelenverwandte findet, die genauso abgedreht, mörderisch und gewalttätig ist wie er, fast schon herrlich bizarr, sodass man sich wie in einer Version von »Natural Born Killers« in pastelliger Romcom-Ästhetik fühlte. Daran hat nun auch die dritte Staffel nichts geändert: Ihren soziopathischen Impulsen hinterhereilend agieren Joe und Love wie gewohnt bedürfnisorientiert-egoistisch (also mörderisch-gewalttätig). Sie haben aber einige gemeinsame Verantwortungsachsen, zum Beispiel ein Baby und einen Mordfall, der ihnen bzw. Love im Liebeseifer unterlaufen ist, und den sie miteinander vertuschen wollen) und dazu einen fast schon Soprano-mäßigen Alltag (etwa, wenn sie bei der Paartherapeutin um ihre Beziehung kämpfen, allerdings nicht so richtig die Karten auf den Tisch legen können, was ihre sprichwörtlichen »Leichen im Keller« betrifft).

Und während Joe den sensiblen Psychopathen gibt, der in elaborierten Selbstgesprächen seine krude Weltsicht ausplaudert, wirkt Love wie eine chaotische Furie, die zwar toll backen kann (So toll, dass sie eine eigene Bäckerei aufmacht), aber nicht mal halb so wortgewandt oder durchdacht wie ihr Stalker-Partner ihr mörderisches Unwesen treibt. Und auch dieser Aspekt von »You« ist natürlich wieder problematisch.

Doch die – natürlich fragwürdige – Stärke der Serie liegt am Ende darin, die fürchterliche Komplexität von toxischer Maskulinität über mehrere Staffeln hinweg zu sezieren, weil einer Figur wie Joe so viel Raum gegeben wird. Natürlich ist Joe wortgewandt, aufmerksam, charmant und zuvorkommend – das muss er ja auch sein, damit er seine zukünftigen Liebesopfer um den Finger wickeln kann. Natürlich behandelt Joe seine Freundinnen zunächst wie den Mittelpunkt der Welt – das ist ja schließlich der Kernantrieb seiner Obsession. Und natürlich darf man am Innenleben des Protagonisten übermäßig viel teilhaben – so viel sogar, bis man sich fast schon auf ein Bier mit ihm verabreden will, weil man sich irgendwie mit seinem smart-süßen Hass auf Hipster und Glitzerstädte wie Los Angeles identifizieren kann.

Joe gibt sich damit die Klinke in die Hand mit Sean (Nick Robinson), dem toxischen Partner von Protagonistin Alex (Sarah Margaret Qualley) in »Maid« – einer Saga, die im Gegensatz zu »You« auf wahren Erlebnissen der »Maid«-Autorin Stephanie Land basiert. Sean kann sich, genau wie Joe, innerhalb von Sekunden vom fürsorglichen Freund in eine tickende Zeitbombe verwandeln – wenn auch nicht auf so hochgradig mörderische Art und Weise. Dass nun in der dritten Staffel nicht nur der toxische Mann, sondern auch die toxische Heten-Beziehung von Joe und Love im Vordergrund steht, zeigt am Ende, wie clever – bei aller Problematik – die ganze Produktion gestrickt ist.

Und auch die unverhohlenen Hiebe in Richtung Impfgegnertum durch eine Masern-Folge bei Staffel 3 zeigen, dass die Macher*innen hinter »You« tatsächlich ein bisschen eine Message haben, die durchaus beachtenswert ist. Und deswegen empfehle ich zwei Dinge: Erstens: »You« anschauen, falls man es bisher versäumt hat. Und zweitens: Die Serie als Lehrstück toxischer Hetero-Romantik vermarkten und umbenennen – und zwar in »Why straight people must be stopped« (Warum hetero Menschen gestoppt werden müssen).

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