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Angela Davis in Hellersdorf
Die Ausstellung »Neues Deutschland« in der Station urbaner Kulturen erinnert an alte Solidaritätsrituale
Reichlich roten Fahnenstoff gibt es derzeit in Berlin-Hellersdorf. Die in Halle geborene Performancekünstlerin Elske Rosenfeld setzt das mit Arbeiterkämpfen aufgeladene Textil im Rahmen der Ausstellung »Neues Deutschland« in der von der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) betriebenen Station urbaner Kulturen üppig ein. Sie beschäftigt sich mit einem ganz besonderen Kapitel der DDR-Geschichte.
1972 besuchte die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis die DDR. Eine Solidaritätskampagne, unterstützt auch von der DDR, hatte zu ihrer Befreiung aus dem Gefängnis beigetragen. Sie war in den USA wegen Terrorismusvorwurf inhaftiert. Das Verfahren wurde später eingestellt.
Als Davis - damals in der weltweiten Linken mit einem Heldenstatus auf Höhe der bereits verstorbenen Ikonen Che Guevara und Ho Chi Minh sowie des inhaftierten Nelson Mandela - die DDR besuchte, schälte sich aus dem Spalier der klatschenden FDJ-Mitglieder die schmale Gestalt einer jungen Frau heraus. Sie umarmte Davis stürmisch. Es handelte sich im Erika Berthold. Die Tochter eines hohen Parteifunktionärs der SED war eine Mitgründerin der ostdeutschen Kommune 1. Sie wollte gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Frank Havemann, ein Sohn des Dissidenten Robert Havemann, und anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern den Geist der 68er auch in die DDR tragen.
Bertholds Geschichte ist im Buch »Die 68erinnen« von Ute Kätzel enthalten. Insgesamt 14 Frauen aus Ost und West, die meisten, trotz wichtiger Rollen seinerzeit, heute eher unbekannt, werden darin vorgestellt. Das Buch, in rotes Leinen gebunden, ist Teil von Rosenfelds Installation.
Diese wird eröffnet mit einem wandgroßen Foto, das eine rote Fahne an einer Wäscheleine auf der Wiese vor einem Neubaublock zeigt. In einem solchen Areal befindet sich auch der Galerieraum der Station urbaner Kulturen. In ihrer auf Video festgehaltenen Performance legt Rosenfeld rote Farbschichten über Vergrößerungen des Fotos. der Begegnung. Sie beschreibt, wie sie auf dieses historische Dokument stieß. In das auf zwei Monitoren präsentierte Video integriert die Künstlerin Fernsehaufnahmen vom Davis-Besuch.
Die Vergangenheit wird lebendig. Bertholds spontane Umarmungsaktion wird im Rückblick als Ausbruch aus dem ritualisierten Empfang gefeiert. Schon Spontaneität ist hier ein Zeichen von Dissidenz. Die Auffassung kann man teilen. Schade ist lediglich, dass Bertholds wohl wichtigere Aktionen - eben die Mitgründung der ostdeutschen Kommune 1 oder ihr Protest gegen den Einmarsch sowjetischer Panzer in der ČSSR 1968, der ihr, wie auch Frank Havemann, eine Gefängnisstrafe einbrachte - bei Installation und Performance unter den Tisch fallen.
Der zweite Teil der Ausstellung wird vom aus Nigeria stammenden, seit längerer Zeit in Berlin lebenden Fotografen Akinbode Akinbiyi bestritten. Akinbiyi pflegt längere Wanderungen zu Fuß durch urbane und weniger urbane Räume zu unternehmen und kreiert dabei seine Fotoserien. Für die Ausstellung wanderte er vom Frankfurter Tor nach Hellersdorf. Man sieht den Wandel der Bebauung, von den klassischen Stalinbauten hin zu den abstrakteren Neubaukästen am Stadtrand. Akinbiyi fängt auch Graffiti und Schilderübermalungen ein. Besondere Hingucker sind Fassadenkletterer, die sich am Tage seiner Wanderung von einem Hochhaus abseilten.
Insgesamt sind die Bilder allerdings wenig spektakulär. Sie entfalten ihren Reiz für viele Besucher wohl erst aus der Distanz, einer zeitlichen oder räumlichen. Frühere Serien von Akinbiyi aus Lagos oder auch Berlin, die letztes Jahr in einer umfassenden Ausstellung im Gropius-Bau zu sehen waren, besaßen jedenfalls größere Strahlkraft.
Die Unscheinbarkeit des Alltags ist indes Konzept dieser Ausstellung. Der Titel »Neues Deutschland« will zum einen auf den Unterschied der Hellersdorfer Peripherie zum vielfach abgelichteten Zentrum Berlins hinweisen. Ein »Neues Deutschland« entsteht hier tatsächlich durch Zuwanderung, wie nicht zuletzt die Präsenz des Flüchtlingsheims unweit der Station urbaner Kulturen belegt. Um den Unterschied zu bemerken, müssten sich allerdings auch Personen aus dem Zentrum an die Peripherie begeben - Peripheriebewohner selbst kennen ihr Umfeld schließlich recht genau. »Neues Deutschland« spielt natürlich auch auf diese Zeitung sowie deren Vorgänger »Alemania Libre« und »Nueva Alemania« als Exilzeitschriften an. Themen wie Migration, Freiheit und Solidarität werden dadurch aufgerufen.
Angesichts des auslaufenden Mietvertrags der nGbK in der Kreuzberger Oranienstraße könnte die Dependance in Hellersdorf bis zum Beziehen der Räume in den neu zu bauenden Pavillons in der Karl-Marx-Allee zum neuen wichtigen Standort werden. Reizvoll ist auch, dass sich die nGbK eine große Freifläche im unmittelbaren Umfeld zur künstlerischen Bespielung sicherte. Hier lässt sich zum Thema urbane Kulturen sicher viel entwickeln.
Stadtpolitisch ist das auch nötig. Trotz aller Wohnungsmisere darf nicht vergessen werden: Leben ist mehr als nur Wohnen. Und selbst hier gibt es Probleme. Die Arbeiten zum 14-stöckigen Wohnturm, den Projektentwickler Haberent für die kommunale Gesobau in der Stollberger Straße entwickelt, stagnieren seit Längerem. Das Geld scheint knapp, Handwerker klagen über nicht bezahlte Rechnungen. Baufortschritt ist nicht zu erkennen. Erstbezug sollte aber eigentlich in diesem Frühjahr sein. Das »neue Deutschland«, das hier in Beton gegossen wird, wirkt nicht nur einfallslos. Es will noch nicht einmal entstehen.
»Neues Deutschland«, Station urbaner Kulturen, Auerbacher Ring 41, 12619 Berlin, bis 4. Dezember, geöffnet Do und Sa 15 bis 19 Uhr.
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