- Politik
- Fridays for Future
Politik sieht noch keinen Klimanotstand
Streik von Fridays for Future erhöht Druck auf verhandelnde Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP
Zumindest in der Außendarstellung bemüht sich die künftige Koalition darum, es sich mit der Klimabewegung nicht zu verscherzen. So löst der designierte neue Kanzler Olaf Scholz seine vor der Wahl gegebene Zusage ein und trifft sich am 12. November mit Lea Bonasera und Henning Jeschke, den beiden Klimaaktivisten, die das Treffen mit ihrem wochenlangen Hunger- und Durststreik im September erzwangen. Der Termin des geplanten anderthalbstündigen Treffens, das online übertragen wird, sei auf Wunsch der beiden Aktivisten so vereinbart worden, wusste die SPD mitzuteilen. Denn eigentlich lautete die ursprüngliche Zusage, dass das Treffen vier Wochen nach der Bundestagswahl stattfinden sollte, also bis Ende Oktober.
Thema des Gesprächs mit Scholz soll nach Vorstellung der Aktivisten der Klimanotstand sein. »Die diskutierten politischen Programme führen uns in den Klimazusammenbruch - denn sie sind langsam, wirtschaftshörig und scheinheilig«, meint Aktivist Jeschke. »Mit weiterem politischen Klein-Klein werden Kipppunkte im Klimasystem erreicht. Wir müssen schon in den nächsten Jahren aus dem fossilen System aussteigen.«
Dass die drei künftigen Koalitionäre SPD, Grüne und FDP die Klimalage deutlich anders bewerten, lassen ihr Sondierungspapier und die dazu gemachten Äußerungen unschwer erkennen. Ihre Rolle als Klimaschutzpartei konnten die Grünen in den bisherigen Gesprächen nicht zur Geltung bringen. Über die Gründe dafür schweigen sie sich bisher aus. Lieber heben sie Erfolge wie den beabsichtigten früheren Kohleausstieg, die ausgeweitete Solarpflicht und das Lösen der Ausbaubremsen bei den erneuerbaren Energien hervor. Auf dieser Grundlage sei es noch möglich, auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaabkommens zu kommen, versuchen grüne Parteispitzen vorzurechnen.
Aber selbst eine der wenigen belastbaren Zusagen aus dem Sondierungspapier - künftig sollen zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft reserviert werden - ist im Kern wohlfeil. Denn der Bund hat derzeit gar nicht die Gesetzgebungskompetenz, um den Ländern so eine Quote vorzuschreiben. Und selbst wenn eine Bundesregierung das wollte, würden die Länder sie spätestens im Bundesrat auflaufen lassen.
Wie das mit den zwei Prozent und den anderen klimapolitischen Absichtserklärungen genau gehen soll - da müssen die drei Parteien nun in den Koalitionsverhandlungen Farbe bekennen. Die Gespräche werden zudem von der Explosion der Energiepreise belastet. Deren soziale und wirtschaftliche Folgen können die Koalitionäre nicht ignorieren, aber auch nicht zulasten der Klimapolitik lösen. Zumal diese für die aktuellen Preisanstiege nicht verantwortlich ist.
In dieser Gemengelage verstärkt nun die Klimabewegung ihren Druck auf die Verhandlungen. Das sei auch erklärtes Ziel, gab das »Klima-Bündnis« bekannt, das den von Fridays for Future für diesen Freitag in Berlin ausgerufenen Klimastreik unterstützt. Bisher hätten die Parteien keine echte Antwort auf die Klimakrise geliefert, heißt es aus dem Koordinierungskreis des Bündnisses von 80 Organisationen. Die neue Regierung müsse umfassende Maßnahmen für konsequenten Klimaschutz im Koalitionsvertrag festschreiben und auch durchsetzen, bevor es zu spät sei.
Was die Klimabewegung für nötig hält, um dem Pariser 1,5-Grad-Ziel gerecht zu werden, kann selbst in den Augen künftiger grüner Koalitionäre Erschrecken auslösen: Kohleausstieg und 80 Prozent Erneuerbare im Stromsektor bis 2030, Stopp aller neuen Autobahnprojekte, verbindliches Datum für das Ende der Neuzulassungen von Pkw mit fossilem Verbrennungsmotor. Fridays for Future selbst geht in einigen Punkten noch weiter und verlangt von der künftigen Dreier-Koalition die Festlegung eines verbindlichen CO2-Restbudgets, den Erdgasausstieg bis 2035, das Ende aller fossilen Subventionen, den Abschied vom Verbrenner schon 2025 sowie eine deutliche Aufstockung der globalen Klimafinanzierung auf jährlich 14 Milliarden Euro.
Für Fridays-for-Future-Sprecherin Christina Schliesky zeigen die Ergebnisse der Sondierungen, dass eine Ampel-Koalition die 1,5-Grad-Grenze ohne »massiven Druck« aus der Gesellschaft nicht einhalten wird. »Mit ihren bisherigen Kompromissen entscheiden sich die drei Parteien klar gegen den radikalen Politikwechsel, der für das Abwenden der Klimakatastrophe notwendig wäre«, kritisiert Schliesky.
Auch der »Bürgerrat Klima« ist unzufrieden. Zwar hätten sich die Parteien darauf verständigt, schon zu Beginn der Regierungsarbeit ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg zu bringen. Nach Ansicht des Bürgerrats, der sich als Pilotprojekt partizipativer Demokratie sieht, ist aber mehr Engagement nötig. Man werde die künftige Regierung an ihrem Versprechen messen, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, betont Sprecherin Rabea Koss. »Dass die Bürgerinnen und Bürger für ambitionierten Klimaschutz längst bereit sind, haben die Empfehlungen des Bürgerrats Klima gezeigt.« Diese könnten als Vorlage für das Sofortprogramm genutzt werden, meint Koss. Und setzt noch einen drauf: Mit der Berücksichtigung der Empfehlungen des Bürgerrats im Koalitionsvertrag könnten die Parteien auch beweisen, dass ein moderner Politikstil und neue Prozesse der Entscheidungsfindung von Anfang an gelebt werden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.