- Berlin
- BVG
Bei der U-Bahn wird jongliert
Abstellung überalterter Wagen führt zu Rochaden zwischen den Linien
Auf der Kreuzberger Hochbahn ist der Wagenpark so bunt zusammengewürfelt wie schon lange nicht mehr. Vom ältesten bis zum neuesten Modell, Züge mit vier, sechs oder acht Wagen - auf U1 und U3 fährt, was gerade verfügbar ist. Was das Herz von Nahverkehrsfreunden höher schlagen lässt, ist für die täglichen Nutzerinnen und Nutzer ein Ärgernis. Denn Züge mit vier Wagen bieten für den Fahrgastandrang nicht genug Kapazität - dort herrscht im Berufsverkehr oft drangvolle Enge. Dass das Wintersemester an den Universitäten inzwischen begonnen hat und auch wieder Präsenzveranstaltungen stattfinden, verschärft das Problem noch. Denn die U3 bindet die Freie Universität in Dahlem an.
Grund für die unterschiedlich langen Züge ist die Ausmusterung der Baureihe A3L71. Das L steht für Leichtmetall, also Aluminium, die zwei Ziffern dahinter weisen auf das erste Auslieferungsjahr hin: 1971. Am Sonntag gab es eine Abschiedsfahrt für die Baureihe. Zuletzt waren noch zehn der 1971 bis 1973 hergestellten 138 Wagen im Fahrgasteinsatz. Bis zu 3,8 Millionen Kilometer haben die Wagen im bis zu fünf Jahrzehnte währenden Einsatz auf dem wegen schmalerer Tunnel und Wagen so genannten Kleinprofil der Linien U1 bis U4 zurückgelegt.
2008 sind die Fahrzeuge noch einmal aufwendig saniert worden, doch das ist nun zu vertretbaren Kosten nicht mehr möglich. Denn Aluminium wird über die Jahrzehnte mürbe, und Schweißen an einer Stelle verschiebt das Problem nur an eine andere Stelle. Noch in Betrieb sind wesentlich ältere Wagen des Typs A3 aus den 60er Jahren, deren Wagenkasten aus Stahl besteht. Dieser Werkstoff lässt sich problemlos schweißen.
»Wir haben aber trotzdem keinen systematischen Wagenmangel«, sagt BVG-Sprecherin Petra Nelken auf nd-Anfrage zu den vielen Vier-Wagen-Zügen. Für 100 ausgemusterte Fahrzeuge der Baureihe A3L71 seien 108 Fahrzeuge des neuesten Modells IK beschafft worden. Doch der Teufel steckt im Detail - denn dieses Modell besteht aus vier Wagen, die fest verbunden sind. Die bisher üblichen Sechs-Wagen-Züge auf U1 und U3 und die Zwei-Wagen-Züge auf der U4 konnten nur mit den großteils ausgemusterten älteren Typen gebildet werden.
»Wir haben auch eine Lösung für das Problem«, sagt Nelken: »Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember werden auf der U1 planmäßig Acht-Wagen-Züge fahren.« Die dafür nötigen zusätzlichen Züge kommen von der sogenannten Großprofillinie U5. Vier Einheiten der Baureihe IK mit zusammen 16 Wagen werden derzeit für das Kleinprofil zurückgebaut. Dazu wird unter anderem der Wagenkasten tiefer gelegt, denn die Bahnsteige auf U1 bis U4 sind niedriger. auch müssen die seitlichen Ausgleichsprofile demontiert werden, die auf der U5 die ansonsten große Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante schlossen. Kleinprofilzüge sind 2,30 Meter breit, im Großprofil der Linien U5 bis U9 liegt die Breite bei 2,65 Metern.
»Auf das Fahrtangebot und die Kapazität der U5 hat das keine Auswirkungen«, verspricht Petra Nelken. Im Jahr 2017 ist der erste Zug der Baureihe IK auf der Linie nach Hönow zum Einsatz gekommen. Es ist eine Notlösung, weil durch die viele Jahre von Berlin verschleppte Bestellung von Neufahrzeugen ein erheblicher Wagenmangel drohte. Die Not war so groß, dass die BVG auch einen langwierigen Rechtsstreit für eine juristisch zweifelhafte Nachbestellung weiterer Züge ohne reguläre Ausschreibung in Kauf nahm. Trotzdem musste der Takt auf mehreren Linien ausgedünnt werden, um ein stabiles Angebot fahren zu können.
Inzwischen ist eine Großbestellung der neuen Baureihen J und JK für alle U-Bahn-Linien in Auftrag gegeben. Die ersten Vorserienzüge werden Ende 2022 erwartet. Die prekäre Lage beim Fuhrpark der U-Bahn bleibt wohl bis Mitte der 2020er Jahre bestehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.