Eine neue Mauer für den Osten

Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union diskutiert über effektiven Grenzschutz

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel treffen, befindet sich die belgische Hauptstadt im Ausnahmezustand. Viele Straßen sind gesperrt, immer wieder rasen Fahrzeugkolonnen durch die Stadt, Sirenengeheul liegt in der Luft, und die Polizei ist überall präsent. Während in Brüssel der zeitweilige Ausnahmezustand schon Routine ist, herrscht an den östlichen Außengrenzen der EU eine ganz andere Art von Ausnahmezustand. Diesmal kommen die Verzweifelten nicht über das Mittelmeer, sondern über die Ostgrenze. Der von der EU mit Sanktionen belegte belarussische Autokrat Alexander Lukaschenko spielt einen seiner wenigen Trümpfe, um Druck auf die Union aufzubauen, und hat seine Grenze für Flüchtlinge geöffnet. Tausende Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak sind bereits über die weitgehend unbefestigte Grenze nach Polen, Litauen und Lettland gelangt.

Am Freitag diskutierte der EU-Gipfel in Brüssel über die Situation an der östlichen EU-Außengrenze. Litauens Präsident Gitanas Nausėda machte vor den Gesprächen klar: »Wir sollten über eine Befestigung der Grenze reden.« Litauen will seine Grenze zu Weißrussland sichern und dafür Geld aus Brüssel. Österreichs neuer Bundeskanzler Alexander Schallenberg zeigte für diese Forderung Verständnis und plädierte ebenfalls für einen »starken, robusten Außengrenzschutz«. Die Nachfrage eines Journalisten, ob die EU plane, eine Mauer an der Grenze zu errichten, wies Schallenberg empört zurück. Allerdings kann sich der Konservative vorstellen, dass die EU diese Mauer bezahlt: »Wenn Litauen das macht, was notwendig ist, um die nationale Souveränität zu gewährleisten, nämlich einen Zaun zu bauen, warum sollten dann diese finanzielle Last nur die litauischen Steuerzahler tragen?« Soviel zur Ehrlichkeit in der Debatte.

Ehrlicher, weil direkter, war da ein Brief an die Kommission, in dem gefordert wurde, »physische Barrieren« für einen effektiven Grenzschutz aus EU-Mitteln zu finanzieren. Insgesamt zwölf Staaten, darunter Dänemark, Tschechien und Bulgarien, hatten den Aufruf zum Mauerbau vor zwei Wochen unterschrieben. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson wollte sich den Forderungen aber nicht anschließen.

Am Freitag wurde nicht nur über die Grenzsicherung verhandelt, sondern auch über weitere Sanktionen gegen Belarus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Donnerstag solche Sanktionen ins Spiel gebracht und betont, »dass wir diese Art des Menschenhandels (...) von staatlicher Seite verurteilen«. Dabei hatte Merkel einst den Flüchtlingsdeal mit der Türkei eingefädelt, dessen zentraler Baustein ja der Menschenhandel ist. Zumindest hat der schmutzige Deal allen EU-Anrainern demonstriert, wie man erfolgreich Druck aufbaut, um der Union Zugeständnisse abzupressen. Lukaschenko hatte drohenden Wirtschaftssanktionen schon im Vorfeld des Gipfels gekontert und kurzerhand die Liste der Länder erweitert, deren Bürger ohne Visum einreisen dürfen: Iran, Pakistan und Jordanien sind jetzt mit dabei, meldet das Online-Portal »Politico«.

Zentraler Akteur in der Krise ist derzeit Polen mit seiner etwa 400 Kilometer langen Grenze zu Weißrussland. Weil man bei der Flüchtlingsabwehr auf die Hilfe Polens angewiesen ist, hält sich Deutschland auch im derzeitigen Streit um die Rechtsstaatlichkeit zwischen Polen und der EU vornehm zurück. Wie wenig rechtsstaatliche Grundsätze in Polen noch zählen, erweist sich an der Grenze. Dort hat die Regierung eine mehrere Kilometer breite Sperrzone errichtet, die auch Journalist*innen nicht betreten dürfen. Der polnische Grenzschutz verweigert zudem auch Hilfsorganisationen den Zutritt, die Geflüchtete mit lebenswichtigen Gütern versorgen wollen. Innenkommissarin Johansson zeigte sich am Mittwoch zudem besorgt über eine geplante Änderung des polnischen Ausländerrechts, wonach »Grenzschützer entscheiden könnten, ob Personen Zugang zu einem Asylverfahren erhielten«, wie die »Tagesschau« berichtet.

Dabei harren in den Wäldern dort Tausende Menschen aus. Viele von ihnen sind ohne warme Winterkleidung, während es nachts schon empfindlich kalt wird. In den vergangenen Wochen kamen bereits acht Menschen ums Leben. Letztes Todesopfer war ein 19-jähriger Syrer, den polnische Beamte tot aus dem Grenzfluss Bug holten, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP am Donnerstag meldete.

Doch die Menschenrechtslage in Polen spielte bei den Diskussionen um die Grenzsicherung auf dem Gipfel wohl kaum eine Rolle. Zumindest drang nichts davon nach außen. Auch eine gemeinsame Linie in Sachen Mauerbau ist nicht in Sicht. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel betonte am Freitag, »die Maßnahmen müssten im Einklang mit Menschenrechten stehen«. Einen gemeinsamen Nenner fanden die 27 Staaten also auch bei der Grenzsicherung nicht. Derweil geht das Sterben weiter.

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