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Differenzen in der Energiepolitik
SPD, Grüne und FDP diskutieren, wie sie mit steigenden Preisen und Gasexporten aus Russland umgehen
SPD, Grüne und FDP haben sich einen straffen Zeitplan vorgenommen. Am Mittwoch werden Arbeitsgruppen aus den drei Parteien über Details des geplanten gemeinsamen Koalitionsvertrags verhandeln. Dieser soll Ende November fertig sein. Die neue Regierung unter Führung des SPD-Politikers Olaf Scholz würde dann in der zweiten Dezemberwoche stehen. Doch bis dahin müssen noch einige offene Fragen geklärt werden.
Die Grünen stellen wegen der stark steigenden Energiepreise soziale Forderungen. Nach den Worten des früheren Umweltministers Jürgen Trittin müssten das Wohngeld und das steuerfreie Existenzminimum erhöht werden. Im Jahr 2019 hatten 504 411 Haushalte in der Bundesrepublik Wohngeld erhalten. Dieser Zuschuss zu den Wohnkosten wird einkommensschwächeren Menschen gewährt, damit sie die Wohnkosten für einen »angemessenen Wohnraum« tragen können. Trittin sagte dem Sender Bild TV: Sollte es gelingen, bis Anfang Dezember eine rot-grün-gelbe Koalition zu bilden, könnten die Hilfen zum 1. Januar 2022 in Kraft treten. Trittin ging davon aus, dass allein durch eine Wohngelderhöhung »für viele übers Jahr gerechnet wahrscheinlich mehr als 100 Euro« rauskommen.
Unterstützung für diesen Vorstoß könnte aus der SPD kommen. Die Sozialdemokraten wollen in Mecklenburg-Vorpommern mit der Linkspartei die neue Landesregierung bilden. Linksfraktionschefin Simone Oldenburg hatte kürzlich angekündigt, dass eine rot-rote Landesregierung unter Führung der SPD-Politikerin Manuela Schwesig eine Bundesratsinitiative für mehr Wohngeld starten werde. »Heizen kann nicht mehr nur was für Reiche sein«, erklärte Oldenburg.
Es wird sich noch zeigen, was die FDP von der Idee hält, das Wohngeld anzuheben. Die Freien Demokraten sind keine Verfechter von höheren Sozialleistungen, sondern wollten in der Vergangenheit das Wohngeld mit weiteren steuerfinanzierten Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft und Heizung sowie dem Kinderzuschlag zu einer einheitlichen Sozialleistung zusammenzuführen. Beim Steuerfreibetrag könnten die Gespräche mit der FDP hingegen einfacher werden.
Drohender Streit um Nord Stream 2
Die Äußerungen von Trittin werfen jedoch einmal mehr die Frage auf, wie SPD, Grüne und FDP ihre Vorhaben überhaupt finanzieren wollen. Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende haben die drei Parteien in ihrem Sondierungspapier ausgeschlossen und damit dem Willen der FDP entsprochen. Die Chancen für eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen sind gering. Olaf Scholz und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck erklärten am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will«, dass eine entsprechende Steuerreform nur möglich sei, wenn die Steuereinnahmen insgesamt steigen würden.
Konflikte drohen hingegen zwischen den Parteien bei der Frage, wie mit Nord Stream 2 umgegangen werden soll. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte sich zuletzt gegen eine Betriebserlaubnis für die Pipeline ausgesprochen, die Gas unter der Ostsee von Russland nach Deutschland transportieren soll. Die Bundesnetzagentur muss noch prüfen, ob der Betrieb der Pipeline im Einklang mit EU-Recht steht. Nach dem europäischen Energierecht müsse der Betreiber der Gaspipeline ein anderer sein, als der, der das Gas durchleite, hatte Baerbock den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt. Bei Nord Stream 2 sei aber alles in der Hand eines Konzerns. Es handelt sich dabei um den russischen Energieriesen Gazprom, der eng mit dem russischen Staat verbunden ist.
Hinter der Debatte um die Ostseepipeline stehen auch geopolitische Interessen. Die Grünen haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Gegner der russischen Regierung von Präsident Wladimir Putin sind. Die SPD bewertet Moskau zwar ebenfalls als geostrategischen Konkurrenten, der geschwächt werden muss, sieht aber bei Nord Stream 2 auch Vorteile für die beteiligten deutschen Konzerne und will nicht komplett auf das russische Erdgas verzichten.
Die deutsche Debatte wird nun durch die steigenden Energiepreise befeuert. Baerbock warf Russland kürzlich ein »Pokerspiel« mit den Energiepreisen vor. Die FDP steht der Gaspipeline zumindest skeptisch gegenüber.
Die Bundesnetzagentur hat noch bis Anfang Januar Zeit, über eine Betriebserlaubnis für die Röhren zu entscheiden, die jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland liefern soll.
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