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Klimakrise in der Zementindustrie
Baustoffhersteller versprechen CO2-Neutralität mittels neuer Technologien. Es bleiben Zweifel
Der Dax-Konzern Heidelberg Cement möchte seine Fabrik in Slite auf der schwedischen Insel Gotland zum ersten klimaneutralen Zementwerk der Welt ausbauen. Dies soll dadurch gelingen, dass dort ab 2030 bis zu 1,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich abgeschieden werden. Was den Gesamtemissionen des Werks entspricht. Eine Anlage zur CO2-Abscheidung soll neben dem bestehenden Betrieb errichtet werden. Mit dem »bahnbrechenden Projekt«, so ein Firmensprecher, unterstütze man auch die ehrgeizigen Klimaziele der schwedischen Regierung.
Allerdings liegt der Konzern aus Heidelberg ausgerechnet mit Stockholm im Clinch. Die schwedische Tochtergesellschaft Cementa, einziger Zementhersteller des Landes, hat wegen der unklaren Rechtslage Produktionskürzungen ab Dezember angekündigt. »Es ist derzeit sehr unsicher, ob das Werk Slite die notwendige Erlaubnis für die weitere Produktion erhalten wird«, erklärte das Unternehmen der Nachrichtenagentur Reuters.
Über die Produktionsstätte wird seit Längerem gestritten. Ein Gericht hatte im Juli verfügt, der Zementhersteller müsse den Abbau von Kalkstein bis Ende Oktober stoppen, weil das Grundwasser gefährdet sei. Auf der Ostseeinsel gibt es wenig Süßwasser. Es wird erwartet, dass Cementa von der Regierung acht zusätzliche Monate Zeit bekommt, um das ursprünglich genehmigte Kalksteinvolumen abzubauen. Doch die Genehmigung für Cementa auf Gotland würde dann kurz vor der Wahl im Herbst 2022 auslaufen. Danach könnte in Slite endgültig Schluss sein.
Kaum ein Beobachter rechnet aber damit, dass es wirklich so weit kommt. Ob Wohnungsbau, Grubenindustrie oder neue Windkraftanlagen: Müsste Cementa auf Gotland seine Aktivitäten einstellen, wären zahlreiche Wirtschaftszweige in ganz Schweden massiv betroffen. Das Werk deckt 75 Prozent des Zementbedarfs des Landes. Nach einem Bericht der Regierung wären 150 000 Arbeitsplätze allein im Bausektor gefährdet, würden die Zementlieferungen stoppen.
Doch Cementa ist nicht allein ein wasserhungriger Betrieb, sondern gehört auch zu den Top-Klimasündern des Landes. Kalkstein wie der auf Gotland ist der wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Zement. Hinzu kommen noch Ton und Mergel. »Sie werden in Steinbrüchen durch Sprengen oder mit schwerem Gerät durch Reißen gewonnen«, erklärt das Informationszentrum Beton. Riesige Radlader und Muldenkipper transportieren die Rohmaterialien dann zu den sogenannten Brecher-Anlagen. Dort wird das Gestein grob auf die Größe von Straßenschotter zerkleinert. Dieser sogenannte Rohschotter wird im Zementwerk mit Zuschlagstoffen wie Quarzsand und Eisenerz gemischt und mehlfein gemahlen. Abschließend wird das Gemisch in Öfen bei 1450 Grad Celsius zu Zementklinker gebrannt. In Mühlen wird der Klinker später unter Zusatz von Gips und weiteren Stoffen zermahlen. Dieses Zementpulver ist dann die Grundlage für Beton. Dem wird nur noch eine Gesteinskörnung (Sand, Kies) und schließlich Wasser hinzugefügt. Wasser und Zement bilden zusammen den Leim, der die Gesteinskörnung zusammenhält und ein hartes Gestein, den Beton, entstehen lässt.
Vor allem die extrem hohe Hitze, die für die Produktion notwendig ist, verschlingt Unmengen an Energie. Für jede Tonne Zement fällt daher bei dessen Herstellung etwa eine Tonne CO2 an, analysiert das Fachportal »Chemie Technik«. Je nach Rechenweg und einbezogenen Produktionsprozessen ist allein die Zementindustrie so für vier bis acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wäre die Zementindustrie ein Staat, sie läge beim Treibhausgasausstoß an dritter Stelle, nur von China und den USA übertroffen.
Dabei haben viele der großen Zementhersteller in den vergangenen Jahren in energieeffizientere Brennöfen investiert und fossile Energieträger teilweise ersetzt. Doch solche Maßnahmen gehen auch wegen der gleichzeitig stark gewachsenen Nachfrage geradewegs unter: In den vergangenen 30 Jahren ist die weltweite Jahresproduktion von Zement von einer auf über vier Milliarden Tonnen angestiegen. Ein Trend, der sich nach Angaben der in London ansässigen Zement- und Betonherstellervereinigung GCCA fortsetzen dürfte. Allein schon wegen der zunehmenden Verstädterung - besonders in Afrika und Asien - werde der Bedarf künftig weiter rasant wachsen, heißt es dort.
Gleichzeitig wären die Pariser Klimaziele ohne einen erheblichen Beitrag der Zementindustrie kaum zu erreichen. Die GCCA, der die schwergewichtigen Zementkonzerne aus aller Welt angehören, verspricht daher »Netto-Null« bis 2050. Und Dominik von Achten, Vorstandsvorsitzender von Heidelberg Cement, kündigt an, sein Unternehmen werde »innerhalb der globalen Zementindustrie die führende Rolle bei der Transformation hin zur Klimaneutralität übernehmen«. Der Schlüssel dazu seien technische Lösungen für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2. In Norwegen habe man erste Erfahrungen gesammelt.
In großem Stil erprobt ist diese Technologie allerdings nicht. So verweist etwa das Umweltbundesamt auf erhebliche Risiken, etwa wenn im Falle von Leckagen das gespeicherte CO2 dann doch freigesetzt wird. Und so gilt für die Zementindustrie wie für die Klimapolitik insgesamt: Allein mit Ankündigungen werden die Pariser Ziele nicht zu realisieren sein.
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