- Sport
- Olympia 2022
Ein aseptisches Spektakel
In 100 Tagen beginnen die Winterspiele von Peking: Derzeit laufen streng kontrollierte Bob-Testwettbewerbe
Das vermeintlich so unpolitische Olympia ist das Fest der Rituale - und deswegen umso leichter angreifbar für jegliche politische Demonstration, ob im Stadion oder außerhalb. Als vor zehn Tagen in der antiken Stätte von Olympia auf der griechischen Halbinsel Peloponnes das Olympische Feuer für die Winterspiele von Peking 2022 entzündet wurde, versuchten drei Demonstranten, die internationale Aufmerksamkeit zu nutzen. Am Rand des Schauspiel-Spektakels mit Hohepriesterin, Hohlspiegel und Fackel schwenkten die Aktivisten die Tibet-Flagge und hielten ein Schild »No genocide games« (Keine Völkermord-Spiele) in die Luft, in Anspielung auf die dauerhafte Unterdrückung von Tibetern und Uiguren in China. In die internationale Fernsehübertragung schafften es die Störer nicht. Die Fotos ihrer Festnahme aber fanden im Westen weite Verbreitung.
Seit die Flamme vor sieben Tagen per Flugzeug in Peking eintraf und in Empfang genommen wurde vom städtischen Parteichef Cai Qi, der das Organisationskomitee der Spiele leitet, ist derlei öffentliches Protestieren und eine Berichterstattung darüber ausgeschlossen. Seit ein paar Wochen bereits steht fest, dass keine ausländischen Besucher einreisen dürfen zu den Spielen, die in genau 100 Tagen im Nationalstadion von Peking eröffnet werden.
Am Montag wurde die erste Version des Handbuchs (Playbook) für Athleten, Betreuer und andere Beteiligte wie Funktionäre, Techniker und Journalisten veröffentlicht. Auch von denen hat die Kommunistische Partei Chinas zumindest außerhalb der Wettkampfstätten keine unerwünschte Meinungsäußerung zu befürchten: Alle Beteiligten müssen sich wegen der Pandemievorbeugung in »geschlossen Kreisen« bewegen. Von Ankunft bis Abreise, vom Olympischen Dorf bis zu den Wettkampfstätten - niemand darf die hermetisch abgesperrten Transportkreisläufe verlassen. Die etwa 3000 Sportlerinnen und Sportler haben die Volksrepublik zudem innerhalb von 48 Stunden nach Beendigung ihres letztes Wettkampfes zu verlassen. »Beijing 2022« wird ein aseptisches Spektakel.
All das dient - trotz der politischen Nützlichkeit - natürlich in erster Linie der Seuchenabwehr. In China wird eine eiserne Anti-Covid-Strategie gefahren. Selbst bei kleineren Ausbrüchen werden Millionenstädte lahmgelegt: Am Dienstag waren landesweit 29 Neuinfektionen mit dem Coronavirus registriert worden, sechs davon in der Millionenstadt Lanzhou im Nordwesten des Landes. Lanzhou steht nun unter Quarantäne: Vier Millionen Menschen dürfen derzeit ihre Wohnhäuser nur noch verlassen, um sich lebenswichtige Güter zu besorgen oder zum Arzt zu gehen. In Peking selbst wurde am Montag der Peking-Marathon abgesagt, bei dem am 31. Oktober etwa 30 000 Läuferinnen und Läufer an den Start gehen wollten.
Wegen der Null-Toleranz-Strategie waren im Laufe dieses Jahres sämtliche internationalen Sportveranstaltungen gecancelt worden. Die Nationalspiele der Volksrepublik China sollten im September den Neuanfang von Sportgroßveranstaltungen in China bis hin zu Olympischen und Paralympischen Spielen darstellen. Zurzeit laufen die ersten großen Olympia-Testwettkämpfe, wozu dieser Tage insgesamt 2000 Sportler samt Trainern und Betreuern einreisen.
Während die niederländischen Eisschnellläufer noch das »schwere Eis« im Pekinger »Ice Ribbon« beklagen, rühmen die Bobpiloten die neue Bahn im Nationalen Schlittenzentrum Yanqing. Doppelolympiasieger Francesco Friedrich aus Oberbärenburg (Sachsen) hielt lobend fest, mit der komplett überdachten Bahn sei »ein neuer Superlativ« geschaffen worden. »Inmitten des Xiaohaituo-Gebirges ist sie sowohl fahrerisch als auch touristisch ein Highlight«, schwärmte Friedrich auf der Internetseite seines Bobteams. Heike Gruner, Pressesprecherin des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland (BSD) berichtet auf nd-Anfrage, dass sowohl die Bobsportlerinnen und Bobsportler als auch die Skeletoni sich ausnahmslos positiv über die Bedingungen geäußert hätten.
Die aktuellen Testwettkämpfe in Peking sind auch ein Probelauf für die geschlossenen »Blasen«, wie es sie bei den Winterspielen in gut drei Monaten geben soll. So sind beispielsweise die BSD-Bobsportler per Charterflug nach Peking eingereist. Am Flughafen stiegen sie direkt in die wartenden Busse, die sie zu dem weitläufigen Hotelkomplex brachten, den sie nun nicht verlassen dürfen, außer sie besteigen die Shutt-lebusse zur Bobbahn. Als touristisches Highlight durften die Sportler an einem freien Tag immerhin mit dem Bus einmal an die Chinesische Mauer heranfahren und die größte Attraktion der Volksrepublik zumindest durch das Busfenster fotografieren. Aussteigen war strengstens verboten.
Zudem konnten die Athletinnen und Athleten ihre Erlebnisse munter in den Sozialen Netzwerken teilen, obwohl in China der Zugang zu Facebook, Instagram, Twitter und Co. doch eigentlich geblockt ist. Insofern scheinen die Testwettkämpfe auch in Sachen Webzensur ein Probelauf zu sein. Für die Zeit der Olympischen und Paralympischen Winterspiele (4. bis 20. Februar 2022 beziehungsweise 4. bis 13. März 2022) in Peking ist allen Beteiligten der freie, unzensierte Zugang zum Internet versprochen. Bei den Sommerspielen 2008 in Peking hatte das Organisationskomitee erst nach Protesten internationaler Berichterstatter einen ungehinderten Zugang zum World Wide Web über das olympische Netzwerk realisiert.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.