- Berlin
- Transidentität
Zwangsouting im Studium
Die Humboldt-Universität pflegt einen unsensiblen Umgang mit Transpersonen
»In wenigen anderen Bereichen meines Lebens ist es so kompliziert, meinen gelebten Namen verwenden zu können, wie an der Universität. Die Uni ist da weit hinter anderen Behörden zurück«, sagt Evelin, die in diesem Jahr ihre Promotion an der Humboldt-Universität abgeschlossen hat.
Seit 2020 lebt sie mit dem Namen Evelin als Frau. Da sie jedoch den Prozess der amtlichen Personenstandsänderung noch nicht abgeschlossen hat, war sie in allen Dokumenten der Universität unter ihrem abgelegten Geburtsnamen verzeichnet. Das bedeutet zum Beispiel, dass Evelin beim Bahnfahren mit ihrem Semesterticket ständig in Angst vor einer Fahrkartenkontrolle leben musste, da der Name auf dem Ticket nicht mehr ihrem Erscheinungsbild entsprach. »Das ist eine ziemliche Stresssituation, die einer Diskriminierung gleichkommt«, sagt sie dazu. Evelin hat während der Zeit ihrer Promotion versucht, mit der Universität in Kontakt zu treten, um ihren Vornamen zu ändern. Denn eine ständige Konfrontation mit dem abgelegten Namen kann sehr belastend sein. Sie berichtet, dass es von der Uni wenig Unterstützung gab. »Teilweise waren die Leute an der Universität zu den Themen gar nicht informiert und wenig bereit zu helfen. Ich habe viel Zeit in diese Kämpfe investiert, das ist sehr kräftezehrend«, erklärt sie.
Eine Änderung des Vornamens für transgeschlechtliche Studierende an der Humboldt Universität ist momentan nur möglich, wenn eine Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz stattgefunden hat. Dieser Prozess dauert jedoch zumeist mehrere Jahre, ist sehr kostspielig und kann psychisch belastend sein. Das Gesetz steht deshalb seit Jahren in der Kritik. Gerade junge Student*innen haben den Prozess oft nicht durchlaufen und der Universitätsalltag ist für sie deshalb mit großen Hürden verbunden.
Die Studierenden müssen sich vor Seminaren und Vorlesungen einzeln an jede Lehrperson wenden und um eine Namensänderung in der Teilnehmendenliste bitten. »Sie müssen sich also vor fremden Leuten outen und hoffen, dass diese das akzeptieren«, sagt Lola Fischer, die Transberaterin des Referent*innenrats der Humboldt-Universität. Auch in Prüfungen wird oft der falsche Name aufgerufen. »Diese Umstände werden von trans Student*innen teilweise als so unaushaltbar empfunden, dass es zu vermehrten Studienabbrüchen und Urlaubssemestern kommt«, so die Beraterin weiter.
Die rechtliche Lage zu der Änderung des Vornamens von transgeschlechtlichen Studierenden an Universitäten ist nicht ganz eindeutig. Es gibt verschiedene Gutachten, die eine rechtliche Unbedenklichkeit für eine Vornamensänderung bescheinigen, doch die Umsetzung hängt von der Universität ab. An verschiedenen Berliner Hochschulen, wie der Freien Universität und der Alice-Salomon-Hochschule gibt es die Möglichkeit zumindest in internen Belangen den Vornamen von Studierenden zu ändern. »Es handelt sich dabei eben nicht nur um eine rechtliche Angelegenheit, sondern um eine politische Frage, bei der es auch auf den Willen der Universität ankommt«, sagt Lola Fischer.
Auch die Humboldt Universität fasste bereits Anfang 2020 den Beschluss, eine Vornamensänderung in hochschulinternen Plattformen wie dem Kommunikationsprogramm Zoom oder dem Studierendenportal Moodle möglich machen. Diese Plattformen haben gerade im Kontext der Online-Lehre noch einmal an Bedeutung gewonnen, und eine Namensänderung würde eine kleine Vereinfachung des universitären Lebens für transgeschlechtliche Studierende bedeuten.
Zu diesem Wintersemester sollte der Schritt möglich gemacht werden, doch es scheiterte an bürokratischen Hürden und einer fehlenden technischen Umsetzung, berichtet Lola Fischer. »Ich erhalte momentan mehrere Anfragen pro Woche von Studierenden dazu, wie sie ihren Namen ändern können. Die fallen aus allen Wolken, wenn ich ihnen mitteilen muss, dass das immer noch nicht geht«, sagt sie.
Die Pressestelle der Humboldt-Universität kündigte auf Anfrage an, dass die Möglichkeit zur Änderung des Vornamens bis zum Ende dieses Semesters geplant sei.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!