- Politik
- Ampel-Gespräche
Soziale Dimension völlig ausgespart
Grünen, SPD und FDP-Spitzen stellen auf IG BCE-Treffen Energie-Pläne vor – scharfe Kritik von Linkspartei
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sowie mittels Videoübertragung der FDP-Chef Christian Lindner haben am Mittwoch auf dem Bundeskongress der Gewerkschaft IG BCE in Hannover einige ihrer zukünftigen Politikvorstellungen grob umrissen. Vor allem die Frage der Energiewende stand für die Ampel-Koalitionäre dabei im Fokus.
Mit Blick auf anstehende Transformationsprozesse der Industrie in Deutschland hin zur Klimaneutralität hatte Baerbock für europäische Lösungen geworben. »Nichts anderes ist unser Anspruch: Europa als ersten klimaneutralen Kontinent in den nächsten Jahren zu gestalten und damit den Wohlstand und auch den Industriestandort Europa zu sichern«, sagte die Politikerin.
Beim »Green Deal« als neuer Wachstumsstrategie für die EU müsse Deutschland treibende Kraft werden, fügte Baerbock hinzu. »Weil wir eben nicht nur alleine aus unserer nationalen Brille schauen können, was die anderen machen, sondern die Energiewende, die Chemiewende, die Automobilwende – all das gelingt nur gemeinsam europäisch und daher müssen wir Europa endlich stärken«.
Die Grünenchefin betonte dabei, dass die anstehenden »Reformjahre« keine »ganz einfachen Jahre sein« würden. Das Ampel-Bündnis wolle aber »den Modernisierungsstau« auflösen. Zur Lösungssuche bei besonders kontroversen Themen verwies Baerbock auf die Erfahrungen mit der Kohlekommission, die den Kohleausstieg verhandelt hatte. Auf dieser Idee »kann man aufbauen«, urteilte die Grünen-Chefin: Unterschiedliche Akteure würden an einen Tisch gebracht.
Beim Umbau der Industrie in Deutschland hatte auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz Tempo versprochen. »Die neue Regierung wird im ersten Jahr alle gesetzlichen Veränderungen auf den Weg bringen, alle Weichen stellen, damit Deutschland nicht eine Stromlücke hat, sondern genügend Strom produzieren kann für die Industrie der Zukunft und für die Arbeitsplätze der Zukunft«, sagte Scholz auf dem Kongress.
Überall müsse in neue Technologien und Fähigkeiten investiert werden, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, so der Politiker. Deutschland könne diesen Wandel schaffen und »ein führendes Land in der industriellen Welt der Zukunft« werden, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Exportmöglichkeiten könnten aufrecht erhalten und gute Arbeitsplätze gesichert werden.
Klar sei, dass dazu Strom in großer Menge zur Verfügung stehen müsse. »Diese Aufgabe muss mit neuem Tempo, mit neuer Geschwindigkeit und mit großer Präzision angepackt werden, damit der Wandel gelingen kann«, sagte Scholz. In diesem Zusammenhang seien auch die fortgesetzte Nutzung von Gas zur Stromerzeugung und der Bau neuer Gaskraftwerke erforderlich, fügte der Politiker hinzu. Das sei als »Übergangstechnologie« unverzichtbar.
SPD, Grüne und FDP hatten am Mittwoch mit den inhaltlichen Koalitionsverhandlungen begonnen. In 22 Arbeitsgruppen sollen in den nächsten Wochen die Inhalte für einen Koalitionsvertrag verhandelt werden, der Ende November stehen soll. In der ersten Dezemberhälfte soll die neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen. Ein zentrales Konfliktthema in den Koalitionsverhandlungen ist, wie die Klimapläne finanziert werden und auch sozial abgefedert werden sollen. Denn die FDP lehnt Steuererhöhungen kategorisch ab.
Unkonkret bei der Verkehrswende
Die bisherigen Überlegungen im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP zur Energiewende stoßen derweil bei der oppositionellen Linkspartei auf scharfe Kritik. »Wir haben im Wahlkampf immer gewarnt, dass SPD und Grüne selbst ihre relativ bescheidenen sozial- und umweltpolitischen Programme mit der FDP niemals umsetzen könnten«, erklärte die Linke-Kovorsitzende Janine Wissler gegenüber »nd«. Dass die FDP sich in den Verhandlungen nun weitgehend durchsetze, übertreffe die eigenen Befürchtungen noch. »Das Sondierungspapier ist eine Absage an die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und auch an jegliche ambitionierten Projekte.« Mutige Investitionen und eine neue Sozialpolitik würden da kaum möglich sein. »Insofern ist es traurig, aber auch konsequent, dass die Verhandlungsteams von SPD und Grünen viele Forderungen mit der Akzeptanz der Schuldenbremse schnell aufgegeben haben.«
»Zu den bemerkenswerten Punkten des Sondierungspapiers gehört, dass die Ampel-Koalition, obwohl sie sich selbst den Geldhahn zudreht und viele Projekte daran scheitern lässt, dennoch zusätzliches Geld für Aufrüstung bereitstellen will«, fügte die Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hinzu. Eine sehr große Gefahr sehe die Politikerin zudem in der erklärten Absicht, zunehmend staatliche Aufgaben über private Investitionen zu finanzieren. »Die Erfahrung zeigt, dass die privaten Investoren der einzige Gewinner einer solchen Politik sind.« Die Leistungen würden in der Regel teurer und unzuverlässiger, Arbeitsbedingungen seien von Lohndumping und Arbeitsverdichtung geprägt.
Ein »nd« vorliegender Beschluss des Geschäftsführenden Linke-Parteivorstandes setzt sich kritisch mit dem Ampel-Sondierungspapier auseinander. »Ein klar definierter Ausstiegspfad [aus der Kohleverstromung, Anmerkung der Red.] ist nicht erkennbar, dabei wäre dies sowohl für Beschäftigte, die betroffenen Regionen und Unternehmen wichtig«, heißt es in dem Papier. Die Absicht wasserstoffkraftfähige Gaskraftwerke zu bauen, konterkariere zudem die Klimaschutzziele – allein schon wegen der langen Abschreibungszeiträume. »Die Nutzung von Wasserstoff muss unter dem Gesichtspunkt der Energieeffizienz auf das absolute Minimum begrenzt werden«, so der Beschluss.
Details zur Bahnpolitik spare das Sondierungspapier aus, wie auch zu anderen Themen zentralen Themen der Verkehrswende. »Das schwache Klimaschutzgesetz der Großen Koalition wird noch mal aufgeweicht, wenn – wie im Papier vereinbart – die Nichterfüllung von Zielen in einem Sektor durch Übererfüllung in anderen Sektoren kompensiert werden kann«, heißt es in der Erklärung. Die soziale Dimension der Klimapolitik werde zudem im Papier »nahezu völlig ausgespart«. Und wie ohne Reform der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen die notwendigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur finanziert werden sollen, bleibe »rätselhaft«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.