Weitverbreitete Impfskepsis

In Rumänien ist die Quote so niedrig wie in keinem anderen EU-Land. Eine Mitschuld trägt die Kirche

  • Silviu Mihai
  • Lesedauer: 4 Min.

In Rumänien gibt es derzeit täglich neue Rekordzahlen bei den Covid-Infektionen. Allein am Mittwoch wurden über 16 000 neue Fälle registriert, die Inzidenz stieg auf 531,2, womit das Land in der EU derzeit hinter vier anderen osteuropäischen Ländern auf Rang fünf liegt. In der Hauptstadt Bukarest liegt die Inzidenz sogar bei 800, Tendenz steigend. Hier sind die Krankenhäuser überfordert, fast nirgendwo mehr gibt es freie Betten, in den vergangenen Wochen baten die Behörden sogar die Nachbarländer um Hilfe. Über 90 Prozent der Covid-Patienten sind nicht geimpft, wie in den täglichen Berichten des Krisenstabs zu lesen ist. Die Impfquote liegt aktuell nur bei knapp über 30 Prozent der Gesamtbevölkerung - der niedrigste Wert in der EU.

Staatspräsident Klaus Johannis, der im Sommer die Pandemie für beendet erklären wollte, kündigte jetzt die Wiedereinführung von Einschränkungen des öffentlichen Lebens an. So müssen Clubs und Bars wieder schließen, Restaurants dürfen nur noch bis 21 Uhr Kunden empfangen, und Schulen stellen weitgehend auf Onlineunterricht um. Des Weiteren sollen diverse Kategorien von Geschäften und Veranstaltungen nur noch für geimpfte Besucher zugänglich sein, was sich allerdings in der Praxis schwer durchsetzen lässt, weil Inhaber und Veranstalter nur selten streng kontrollieren.

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Im Mai und Juni war offiziell noch von einer erfolgreichen Impfkampagne die Rede. Mit der gemeinsamen EU-Beschaffung waren ausreichend Vakzine vorhanden. Tatsächlich lief es in den Impfzentren in den urbanen Gegenden, allen voran in Bukarest und den siebenbürgischen Städten, unkompliziert. Die urbane Mittelschicht drängte sich, um einen Platz auf den digitalen Wartelisten zu ergattern, nicht selten wurden Mitarbeitern der Impfzentren »Aufmerksamkeiten« angeboten. Doch blickt man auf das ländliche und kleinstädtische Milieu, so ändert sich das Bild dramatisch. Dort werden jetzt immer mehr Menschen dabei erwischt, sich mit gefälschten Impfnachweisen Zugang zu Veranstaltungen oder Lokalen zu verschaffen.

Die weit verbreitete Skepsis gegenüber der Impfung - teils wird sogar die Corona-Pandemie geleugnet - liefert die zentrale Erklärung der aktuellen Krise. Seit Monaten lassen sich in dem 19-Millionen-Einwohner-Land täglich kaum noch 10 000 Menschen impfen, in manchen Gebieten wartete das Personal an manchen Tagen vergeblich auf Impfwillige. Und das, obwohl Gesundheitsbehörden, Medien und Regierungsvertreter wieder und wieder an die Bevölkerung appellierten, Statistiken präsentierten und die bekannten Fakten über den Erreger erläuterten.

Wie kann es sein, dass diese Bemühungen anders als fast überall sonst in der EU in Rumänien nicht erfolgreich waren? Manche Publizisten und Kommentatoren geben der einflussreichen orthodoxen Kirche und anderen ultrakonservativen Gruppen die Schuld. Tatsächlich war die Position der Kirche von Anfang an ambivalent. So wettert etwa Erzbischof Teodosie von Constanta regelmäßig gegen die Impfung und gegen jede politische Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie. Als die Regierung 2020 in der Lockdown-Phase die Ostergottesdienste verbieten wollte, erteilte der Geistliche den Behörden öffentlich eine Absage: »Was werdet ihr tun? Eure Polizei und Gendarmen hierherschicken, um uns Bischöfe, Priester und Gläubige zu verhaften und zusammenzuschlagen?« Die Regierung ließ daraufhin die eigentlich gesetzwidrigen religiösen Veranstaltungen einfach laufen. Zwar fielen die offiziellen Stellungnahmen des Bukarester Patriarchats weniger kämpferisch aus, doch eine klare Positionierung der Kirche für die Impfung gibt es bis heute nicht. Dabei wäre gerade die Hilfe der orthodoxen Geistlichen von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Impfkampagne in jenen ländlichen Gebieten, wo nur das zählt, was der Priester sagt.

Andere Stimmen meinen, das Problem liege tiefer. »Wir haben es nicht unbedingt mit einer Skepsis gegenüber der Impfung zu tun, sondern vielmehr mit einer Krise des Vertrauens in die Politik und in den Staat«, sagt der linke Publizist Costi Rogozanu. Die Kirche wie auch diverse Verschwörungstheoretiker seien nur deshalb so einflussreich, weil der rumänische Staat in den letzten Jahren so oft versagt habe. Da er seit den 1990er Jahren vor allem in ländlichen und kleinstädtischen Regionen immer weniger Präsenz zeigt und seine sozialen Aufgaben kaum noch erledigt, scheint die Theorie plausibel.

Zumal die Politik gerade in dieser Gesundheitskrise einen erbärmlichen Eindruck macht. Die Nationalliberale Partei (PNL) um Staatschef Johannis, die die Parlamentswahlen im Dezember 2020 gewann, versagt selbst in den Augen der bürgerlichen Stammwählerschaft. Nach nicht einmal einem Jahr zerbrach die Regierungskoalition, weil die ebenfalls liberale, etwas progressivere Union Rettet Rumänien (USR) die Vetternwirtschaft und den Klientelismus auf allen Staatsebenen nicht (mehr) mittragen wollte. Dabei war das zentrale Wahlversprechen der PNL die Bekämpfung der Korruption gewesen. Auch der jüngste Versuch scheiterte, eine Regierung unter einem neuen, von Johannis nominierten Premier-Kandidaten, dem Ex- Generalstabschef Nicolae Ciucă, zu bilden. Die Gesundheitskrise läuft derweil weiter.

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