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Ankaras Blick nach Asien
Streit mit der Türkei ist in der EU beinahe zum Alltagszustand geworden. Auf eine gemeinsame Linie dabei kann sich Brüssel nicht einigen.
Nach dem Streit ist vor dem Streit: Kaum hat sich der Konflikt um die zehn westlichen Botschafter in der Türkei gelegt, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes hatte ausweisen lassen wollen, da zeichnen sich schon die nächsten Auseinandersetzungen mit Ankara ab. Diesmal geht es um ein Stromkabel – genauer: um ein Unterwasserkabel, das Griechenland, Zypern und Ägypten durch das östliche Mittelmeer verlegen wollen, um aus Sonnen- und Windenergie gewonnenen Strom aus Ägypten nach Zypern und weiter nach Kreta zu leiten. Das Projekt ist kein Klacks: Es kostet Milliarden, und es gilt als technisch anspruchsvoll. Vor allem aber kollidiert es mit Vorstellungen der türkischen Regierung: Es führt durch Seegebiete, auf die Ankara Anspruch erhebt.
Streit mit der Türkei: Das ist im Westen allgemein wie auch in der EU im Besonderen fast zum Alltagszustand geworden. Ankara nutzt Flüchtlinge als Druckmittel, um von Brüssel Zugeständnisse zu bekommen; es steckt deutsche Journalisten in den Knast und piesackt westliche Menschenrechtsorganisationen; es stört sich nicht daran, dass sich in Europa zuweilen Empörung wegen seiner Kriegführung gegen die Kurden regt; und es kauft seine Waffen immer öfter nicht mehr bei Nato-Verbündeten, sondern beim russischen Rivalen. Die Türkei mischt sich durch allerlei Auslandsorganisationen in innere Angelegenheiten von Ländern ein, in denen sich türkischsprachige Minderheiten niedergelassen haben. Sie erhebt immense Territorialansprüche im Mittelmeer, die mit griechischen Ansprüchen kollidieren: Erdoğan, lautet eine weithin übliche Erklärung, ist eben ein Machtmensch, der kein Halten kennt.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Beobachtung mag stimmen, als Erklärung jedoch greift sie zu kurz. Die Türkei profitiert zurzeit vor allem von der Schwäche der EU. Dazu zählt nicht zuletzt deren Uneinigkeit. Ankara kann sich fest auf die widersprüchlichen Interessen der EU-Mitgliedstaaten verlassen: Wehrt sich Griechenland, zurzeit unterstützt von Frankreich, gegen türkische Übergriffe im Mittelmeer, so ist Deutschland vor allem um die geostrategische Funktion der Türkei als Türsteher gegen Flüchtlinge und als Landbrücke nach Nah- und Mittelost besorgt – und verhindert deshalb scharfe Sanktionen aus Brüssel. Hinzu kommt, dass die EU an Einfluss verliert und immer weniger in der Lage ist, die außenpolitischen Ziele, die sie lauthals verkündet, durchzusetzen. Beispiele? Das europäische Staatenkartell verspricht schon seit sieben Jahren, den Konflikt in der Ukraine beizulegen – ohne Erfolg. In Libyen Frieden stiften, in Mali die Jihadisten besiegen: Auch das gelingt nicht. Hatten vor allem deutsche Strategen vor Jahren das Ziel ausgegeben, die EU solle in Zukunft von einem Ring friedlicher, kooperationswilliger Staaten umgeben sein, so ist sie inzwischen von immer mehr Krisenherden umringt. Kaum etwas gelingt.
In Ankara wird das sorgfältig registriert. Dort habe sich die Ansicht »längst etabliert«, dass der Westen sich »in einem unaufhaltbaren Niedergang« befinde, berichtete kürzlich die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Man müsse seine »Erwartungen« daher »nicht (länger) erfüllen«. Vor zwei Wochen schilderte Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), wie er bei einem Besuch in der Türkei eine Landkarte an der Wand entdeckt habe, auf der »Ankara als das Zentrum der Welt und Europa allenfalls in Randlage dargestellt« gewesen sei. De Maizière resümierte: »Der eurozentrierte Blick nimmt ab.« Stattdessen orientiert sich die Türkei, wie die SWP konstatiert, »mittel- und langfristig nach Asien«: in der Hoffnung, sich in der künftigen Welt einen eigenständigen Platz unabhängig vom Westen sichern zu können. Dabei kooperiert sie in Syrien, in Libyen und im Südkaukasus – dort, wo der EU nichts gelingt – erfolgreich mit Russland. Und ökonomisch arbeitet sie zunehmend mit China zusammen. Regelmäßige Konflikte mit dem Westen kann sie sich inzwischen leisten: Die reaktionären AKP-Eliten gewinnen rasch an außenpolitischer Eigenständigkeit.
Jörg Kronauer ist Journalist und Redaktionsmitglied bei www.german-foreign-policy.com.
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