Stimmungstest für Joe Biden und die Demokraten

Die Partei des Präsidenten muss bei den Wahlen in Virginia eine Niederlage fürchten – trotz erfolgreicher Arbeit vor Ort

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wahlen in Virginia gelten in den USA als Stimmungstest für die Partei des Präsidenten, weil sie ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl stattfinden. In den vergangenen Jahrzehnten gewann meist die Opposition im ehemaligen Konföderiertenstaat. Doch einer brach 2013 diesen Trend: Terry McAuliffe. Der Demokrat eroberte zwölf Monate nach der Wiederwahl von Barack Obama den Gouverneursposten, den er von 2014 bis 2018 innehatte und dann abtreten musste, weil eine Wiederwahl von Gouverneuren im Staat nicht erlaubt ist.

In der diesjährigen Vorwahl entschieden sich die Demokraten-Wähler mit 62 Prozent ganz ähnlich wie im Fall von Joe Biden für die vermeintlich sichere Wahl. McAuliffe ist ein bekannter, weißer und moderater Mann. Mehrere progressive Kandidaten und Frauen konnten sich im Wahlkampf nicht durchsetzen.

Seit zehn Jahren haben die Republikaner keine Wahlen mehr zu staatsweiten Posten in Virginia gewonnen. Aber aktuell ist die Wahl am 2. November unerwartet knapp geworden. Laut aktuellem Umfragendurchschnitt der Datenjournalisten von FiveThirtyEight liegt McAuliffe mit 47,0 Prozent 0,6 Prozentpunkte hinter dem Republikaner Glenn Youngkin, der demzufolge im Mittel auf 47,6 Prozent aller Stimmen hoffen kann. Der Republikaner hat seine Werte seit Anfang August kontinuierlich steigern können, McAuliffe dagegen kaum. Doch schon 2013 war es knapp. Jedoch: Sein Nachfolger, der Demokrat Ralph Northam, gewann 2017 mit rund 9 Prozentpunkten Vorsprung. Joe Biden gewann den Staat 2020 mit einem Vorsprung von 9,9 Prozentpunkten.

Die Demokraten versuchen, Youngkin als Trump-Loyalisten darzustellen, der tatsächlich aber relativ erfolgreich den Seiltanz meistert, weder die Trump-Basis noch moderate und gebildete Republikaner sowie Wechselwähler in den Vorstädten zu verschrecken. Der Ex-Investmentbanker mobilisiert gleichzeitig die Basis der Republikaner mit einem Kulturkampf, den er etwa um die vermeintlich für eine Behandlung im Schulunterricht zu sexuell explizite Novelle »Beloved« der Schriftstellerin Toni Morrison führt. Die Partei stellt auch Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und dabei besonders Schulschließungen in das Zentrum ihres Wahlkampfs. Laut Umfragen sind Bildungsthemen das zweitwichtigste Thema, nach der Wirtschaft und Arbeitsplätzen.

Zwar wächst die Wirtschaft in den USA wieder, doch auch die Inflation. Auch wenn die Wirtschaftsberater des Weißen Hauses recht haben und die Inflation nur vorübergehend ist: Umfragen zeigen, dass die Inflationsangst parteiübergreifend real ist. Im Fernsehen wird wegen Problemen in der Lieferkette vor Engpässen im Weihnachtsgeschenkeinkauf gewarnt und die Benzinpreise steigen – alles Gift für Parteien an der Macht. Auch deswegen liegt der Zustimmungswert zu Joe Biden nur noch bei 43 Prozent.

Dass sich die Demokraten im Kongress seit Monaten über das Herzstück seiner Agenda – zwei Infrastrukturpakete – uneinig sind, hilft ebenfalls wenig. Schwarze Demokraten-Wähler sind enttäuscht, dass Biden und die Partei im Kongress trotz Versprechen keine gesetzgeberischen Ergebnisse bei den Top-Themen der Community, nämlich Polizeirassismus und Wählerunterdrückung, vorweisen können. Das sorgt dafür, dass laut Umfragen die Republikaner-Wähler motivierter sind, für ihre Partei zu stimmen als die der Demokraten. Mit bangem Blick fragen sich viele in der Partei, ob Obama-Auftritte und eindringliche Warnungen nationaler Demokraten an die eigene Basis reichen, um etwa junge Schwarze Wähler zu überzeugen, die denken, es ändere sich nichts durch Wahlen.

Einerseits haben die Demokraten in Virginia und viele Mandatsträger landesweit akzeptiert, dass ihr Schicksal dieses und nächstes Jahr bei Wahlen an die Beliebtheit von Biden gekoppelt ist. Sie wollen, dass er erfolgreich ist, weshalb der Druck auf den Kongress groß ist vor der Wahl in Virginia, noch eine Einigung bei den Infrastrukturpaketen zu verkünden. Andererseits versucht die Partei, vor Ort mit der eigenen Arbeit zu werben.

Seit sie 2019 die Mehrheit in beiden Parlamentskammern errungen hat, wurde eine eher linksliberale Agenda durchgesetzt: Polizeireform und Marihuana-Legalisierung, Klimaschutzgesetzgebung und niedrigere Beiträge zur staatlichen Armen-Krankenversicherung Medicaid, Wahlrechtsreform und eine Erhöhung des Mindestlohns sowie Bürgerrechtsgesetzgebung. Doch nun könnte neben dem Gouverneursposten auch die eher enge Mehrheit von vier Sitzen im Staatsparlament verloren gehen. Mit fieberhaftem Haustürwahlkampf versucht man gegenzuhalten.

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