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Sozialistin gegen das Establishment
India Walton versucht, Bürgermeisterin von Buffalo zu werden, doch ihr Gegner kämpft schmutzig
»Wenn die Leute mich an der Haustür erkennen, finden sie das merkwürdig. Aber ich sage nur: Hier ist ihr Essen. Die Leute in Buffalo sind beeindruckt, dass ich ganz normale Dinge mache«, hat India Walton der Lokalpresse erzählt. Sie berichtete den Journalisten von ihrer Arbeit als Fahrerin für den Essenslieferdienst DoorDash und den vom Bürgermeisterwahlkampf. Tatsächlich ist die demokratische Sozialistin in den letzten Wochen so etwas wie eine kleine Berühmtheit geworden, nicht nur in der 260 000-Einwohnerstadt am Eriesee ganz im Norden des Bundesstaats New York.
Sie hat vor allem mit dem Thema Mieten Wahlkampf gemacht, will mehr Genossenschaftswohnungen. Die Schwarze Aktivistin hat vergangenes Jahr klar die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützt und versprochen, sieben Millionen Dollar aus dem Polizeibudget in nicht-gewalttätige Konfliktlösung umzuwidmen. Sie vermeidet Aktivistensprache und die Parole »Defund the Police«. Stattdessen spricht sie viel über mehr Geld für öffentlichen Dienst, Schulen und Infrastruktur, will Schlaglöcher füllen und Gehwege reparieren. Es geht auch um die Frage, ob die Schwarze Demokratenbasis - Buffalo ist zu 36 Prozent afroamerikanisch - linke Politiker*innen unterstützt. Eine weitere Frage: Kann die Linke auch abseits ihrer Hochburgen wie New York City oder außerhalb von Universitätsstädten wie Berkeley an der Wahlurne erfolgreich sein, und ob sie eine »postindustrielle, mittelgroße Stadt verwalten kann, von denen es in den USA so viele gibt«, wie es Marianela D`Aprile, scheidendes Mitglied im Nationalen Politischen Komitee der DSA, im August gegenüber »nd« ausdrückte.
Das wäre nun möglich, dank des Überraschungssieges von Walton bei den Vorwahlen der Demokraten Ende Juni, wo die 39-Jährige 51 Prozent der Stimmen holte gegenüber den 46 Prozent, die an den amtierenden Bürgermeister Byron Brown gingen. Dieser hatte offenbar geglaubt, ohne ernsthaften Wahlkampf zur Wiederwahl in eine fünfte Amtszeit gleiten zu können. So hatte er sich geweigert, mit Walton zu debattieren. Und er weigert sich, sein Amt aufzugeben. In den letzten Monaten hat der 63-Jährige eine wütende und ausdauernde juristische Kampagne vor New Yorker Gerichten gefahren, gar versucht, eine eigene Partei zu gründen oder als Unabhängiger anzutreten, um seinen Namen auf den Stimmzettel für die Bürgermeisterwahl am 2. November zu bekommen.
Rund 80 000 Dollar gab der Demokrat mit guten Verbindungen in die Business Community der Stadt dafür aus, die Walton-Kampagne musste fast ebenso viel an Anwaltskosten ausgeben. Als klar war, dass Brown nicht auf dem Wahlzettel auftauchen würde, begann er eine »write-in«-Kampagne, forderte seine Wähler auf, seinen Namen per Hand in ein leeres Feld auf dem Stimmzettel einzutragen, was in New York möglich ist. Unterstützt wird der langjährige Politiker von Immobilienentwicklern, Polizeivertretern und einigen Gewerkschaften, Teilen der lokalen Maschine der Demokraten und den Republikanern vor Ort, die früher zwar gegen den Schwarzen-Politiker Brown gestimmt haben, aber nun »eine Sozialistin« verhindern wollen.
Eigentlich sollte die Vorwahlsiegerin Walton in der Demokraten-Hochburg Buffalo - Joe Biden gewann hier im vergangenen November 77 Prozent der Stimmen - die Wahl ins Bürgermeisteramt in der Tasche haben. Zumindest war es früher so. Doch dieses Jahr könnte es anders kommen: Wenn viele Republikaner-Wähler für Brown stimmen und dieser seine Anhänger für sich mobilisieren kann. Er argumentiert, Walton habe die Vorwahl nur dank der niedrigen Wahlbeteiligung gewonnen. Nur rund 25 000 Demokraten-Wählerinnen hatten sich im Juni beteiligt.
Die Bürgermeisterwahl in Buffalo ist das neueste der vielen Kapitel im Richtungskampf bei den Demokraten. Partei-Einigkeit ist Tradition und wird durchgesetzt. Das Demokratenestablishment in Stadt und Staat hätte die Reihen geschlossen hinter jeder anderen Vorwahlsiegerin, aber nicht hinter einem DSA-Mitglied. Die Partei im Landkreis unterstützt zwar Walton, aber viele gewählte Demokraten-Politiker der Region und auch Interims-Gouverneurin Katie Hochul weigern sich, dies zu tun. Sie wollen keine der beiden unterstützen, obwohl man in der Vergangenheit selbstverständlich Vorwahlsiegern ein »Endorsement« ausgesprochen hatte. Walton wiederum wird von Progressiven und von Bernie Sanders unterstützt, der Tausende Anhänger über seine E-Mailliste um Spenden für sie bat, sowie von der DSA-Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, die Wahlkampf in Buffalo für Brown machte.
Laut einer aktuellen Umfrage sieht es nicht gut aus für Walton. 36 Prozent wollen für Walton stimmen, 54 Prozent den Namen Brown auf den Stimmzettel schreiben. Ein wahrscheinlicher Grund dafür: Brown dominiert mit seinen Anzeigen das Lokalfernsehen, hämmert seinen eingängigen Kampagnenreim in Köpfe: »Write Down Byron Brown« (etwa: »Schreibt Byron Brown rein«). Über 200 000 Dollar hat seine Kampagne für Fernsehanzeigen ausgegeben, die von Walton dagegen bis Ende September nur 16 000. Die Working Families Party pusht Walton nun in letzter Minute mit Fernsehanzeigen im Umfang von 100 000 Euro.
Walton und ihre Unterstützer aus mehreren DSA-Ortsgruppen sowie der Working Families Party setzen mit ihrem »ground game« dagegen, dem Haustürwahlkampf und der persönlichen Wähler*innenansprache. Man baut darauf, dass die Wähler*innen in einer Stadt genug haben vom Status quo und der ungleichen »Buffalo Renaissance«. Die ehemalige Industriestadt hat schon bessere Zeiten gesehen, ist die drittärmste mittelgroße Stadt in den USA; von den oft einfachen Holzhäusern blättert mancherorts Farbe ab.
Seit einigen Jahren gibt es wieder Wirtschaftswachstum vor Ort, aber dieser kommt nicht überall an. Walton kommt aus der armen East Side von Buffalo, kennt als Community-Aktivistin die Probleme der Stadt und ist selbst unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen: Schon mit zwölf Jahren nahm ihre Mutter sie zu Protesten mit, mit 14 wurde sie Mutter. Nachdem sie ihren Schulabschluss nachholte, wurde sie Krankenschwester und später Direktorin eines lokalen Community Land Trust, vergleichbar mit deutschen Wohnungsgenossenschaften. Brown, der sich im öffentlichen Dienst und im Staatsparlament hochgedient hat, stellt Walton als zu unerfahren dar.
Anfang Oktober wurde das Auto von Walton abgeschleppt, wegen nicht gezahlter Strafzettel für Falschparken und einem abgelaufenen Inspektionssticker. Die Sozialistin sagt, sie habe nicht immer Geld, um die Strafzettel zu zahlen, und vermittelt es als Problem zahlreicher Menschen aus der »working class«. Browns Unterstützer machen damit schmutzigen Klatsch-und-Tratsch-Wahlkampf, versuchen mit Enthüllungen über Browns Leben, sie als ungeeignet und unzuverlässig darzustellen, gerade bei älteren Wähler*innen. So könnte es wie bei der Präsidentschaftsvorwahl 2020 erneut eine Generationenfrage sein, könnten sich ältere Demokratenwähler*innen für einen erfahrenen Politiker entscheiden.
Sollte Walton gewählt werden, würde sie an eine mittlerweile fast vergessene Tradition anknüpfen: eine Reihe sozialistischer Bürgermeister in mehreren Industriestädten in der Region rund um die großen Seen im Norden. Der letzte war Frank Paul Zeidler. Der Politiker der Socialist Party of America hatte die Stadt Milwaukee in drei Amtszeiten von 1948 bis 1960 geführt.
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