- Politik
- Rojava
Türkische Invasionsdrohungen gegen Rojava
In der nordsyrischen Region verdichten sich Hinweise auf weitere Militäroperation
Vor sieben Jahren verteidigten die nordsyrischen Volksverteidigungseinheiten YPG und Frauenverteidigungseinheiten YPJ die Grenzstadt Kobane gegen die Milizen des »Islamischen Staates«. Die erbitterten und letztlich im Januar 2015 für die kurdischen Kräfte siegreichen Kämpfe leiteten den Niedergang der islamistischen Terrormiliz ein. Nun wird die Grenzstadt jedoch erneut bedroht – diesmal von der Türkei.
Verbale Drohungen der türkischen Regierung gegen die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien und kleinere Scharmützel an der Front zu den bereits von der Türkei besetzten nordsyrischen Gebieten gibt es zwar seit Jahren fast täglich. Die aktuelle Situation wird jedoch von Experten als bedrohlich angesehen. Verschiedene Anzeichen deuten demnach darauf hin, das eine erneute Invasion geplant ist. So kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Anfang Oktober eine »Säuberung von Terroristen« in Nordsyrien an. Ende Oktober hatte dann das türkische Parlament das Mandat für grenzüberschreitende Militäreinsätze in Syrien und dem Irak um weitere zwei Jahre verlängert.
Derzeit berichten ausländische Medien zudem über konkrete Verhandlungen zwischen der Türkei und Russland – die bestimmende Hegemonialmacht in Syrien, ohne deren Einverständnis eine neue Militäroffensive der türkischen Armee nicht möglich wäre. Nach Berichten des Onlinemagazins »Middle East Eye« steht dabei ein Gebietsaustausch zur Diskussion: Areale in der Region Idlib, unter Kontrolle von mit der Türkei verbündeten islamistischen Milizen, sollen demnach, unterstützt von Russland, an das syrische Regime übergehen. Die Türkei erhalte dafür die Möglichkeit, zwei bereits in Nordsyrien besetzte Gebiete miteinander zu verbinden – durch einen Angriff auf Kobane.
Den Berichten zufolge würde Russland die Besatzungsmacht in der Stadt selbst stellen, während die Türkei und mit ihr verbündete syrisch-arabische Milizen die anliegende Region kontrollieren sollen. Die Türkei könnte damit das seit 2017 besetzte Dscharābulus mit dem seit 2019 besetzten Tall Abyad verbinden – und mit der Einnahme von Kobane einen wichtigen symbolischen Sieg gegen die kurdische Bewegung erringen.
Eine unabhängige Prüfung der Berichte ist derzeit nicht möglich. Viele Beobachter, ausländische Politiker und Militärkräfte scheinen sie jedoch ernst zu nehmen. Journalisten berichten von verstärkten russischen Patrouillen und Aufklärungsflügen in Nordsyrien. Und Nadine Maenza, Vorsitzende der US-Kommission zur internationalen Religionsfreiheit, äußerte jüngst in sozialen Medien ihre Sorge vor einem erneuten Angriff auf Rojava. »Die bemerkenswerte religiöse Freiheit und Gleichstellung in der Religion ist derzeit aufgrund einer drohenden türkischen Invasion gefährdet. Die US-Regierung sollte daran arbeiten, einen Angriff zu verhindern«, sagte die Staatsbedienstete.
Die USA sind Garantiemacht für die kurdisch-arabische Allianz der Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) in Nord- und Ostsyrien. Bei vorherigen türkischen Invasionen waren sie jedoch nicht eingeschritten. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte am Montag, man arbeite mit der SDF weiter im Kampf gegen die Reste des IS zusammen. Über die Absichten der Türkei könne er nichts sagen.
In Rojava fanden derweil in den vergangenen Tagen Demonstrationen gegen einen erneuten Einmarsch der Türkei statt. Ankara hatte in den zurückliegenden fünf Jahren drei Angriffskriege in Nordsyrien begonnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.