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Auf Untergrund folgte Unterwanderung
Der »NSU-Schock« hat die Gesellschaft nicht geheilt. Militante Rechte nutzen zunehmend legale Strukturen
Am 4. November 2011 fand die Polizei in Eisenach zwei männliche Leichen in einem brennenden Wohnmobil. Alsbald wusste man, bei den Toten – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – handelte es sich nicht nur um Bankräuber, sondern um Serienmörder mit neofaschistischen Motiven. Mindestens elf Jahre lang töteten sie mit Unterstützung durch Beate Zschäpe - und mutmaßlich zahlreicher weiterer Rechtsradikaler – bundesweit. Unerkannt. Ihre Opfer: acht Kleinunternehmer türkischer Herkunft, der Mitinhaber eines Schlüsseldienstes mit griechischen Wurzeln sowie eine Polizistin. Dazu kamen zahlreiche durch Bombenanschläge Verletzte. Obwohl es genügend Anzeichen gab, waren die für Sicherheit Zuständigen unfähig oder nicht willens, die rechtsterroristischen Hintergründe der Taten zu erkennen.
Thomas Haldenwang ist Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und damit der zweite neue Behördenleiter seit der Selbstenttarnung des NSU. Er folgte auf Hans-Georg Maaßen (CDU), der die Gefährlichkeit der Naziszene leugnet – und der seit seinem erzwungenen Abgang bestrebt ist, Brücken zwischen Rechtskonservativen und intellektuell fähigen Rechtsradikalen zu bauen.
Die Gesellschaft zehn Jahre nach dem Ende der NSU-Kernzelle ist keinesfalls wehrhafter gegenüber radikalen Angriffen auf die Demokratie geworden. Selbst das Bundesinnenministerium hat inzwischen eingeräumt, »Rechtsextremismus«, Rassismus und Antisemitismus seien die »größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland«. Das BfV rechnet dem rechtsradikalen Spektrum 33 300 Personen zu, mehr als ein Drittel von ihnen werden als »gewaltorientiert« eingestuft, ein Anwachsen der Szene wird registriert.Allein die Etablierung der »Alternative für Deutschland« zeigt: Der Schock über die Existenz der lange als »drei Thüringer Bombenleger« verharmlosten Terrorgruppe ist verflogen. Dies, obwohl mittlerweile sogar konservative Politiker wie der 2019 ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke zum Kreis der Zielpersonen von Rechtsterroristen gehören.
BfV-Chef Haldenwang schätzte ein, bei militanten Rechten handele es sich »vermehrt« um »Einzelgänger und Kleinstgruppen, die sich selbst radikalisiert haben«. Das ist eine erneute Verharmlosung der Lage. Denn es gibt zahlreiche Indizien und Belege dafür, dass Rechtsradikale auch heute in Netzwerken agieren – und zwar deutlich professioneller als das NSU-Trio und seine Unterstützer. Sie unterwandern staatliche Institutionen, haben also exklusiven Zugang zu brisanten Informationen und häufig ganz legal Zugang zu Waffen. Im Umgang mit Kriegsgerät sind etliche von ihnen bestens ausgebildet. Berufs- und Zeitsoldaten arbeiten Terrorpläne aus, stehlen Waffen, horten Munition und Sprengstoff.
Der »Phänomenbereich Rechtsextremismus« sei auch der wichtigste Arbeitsbereich des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), sagt dessen Präsidentin Martina Rosenberg. Über 80 Prozent der Fälle im Bereich »Extremismus« seien diesem Komplex zuzuordnen, so die Chefin der für die Streitkräfte zuständigen Überwachungsbehörde. Sie spüre jedoch in der Truppe einen »spürbaren Sensibilisierungseffekt« im Umgang damit.
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von Sebastian Bähr
Doch natürlich weiß Rosenberg auch, dass das Auffliegen von Staatsfeinden in Uniform vor allem dem Umstand zu verdanken ist, dass Recherchekollektive rechte Netzwerke in Polizei und Militär aufgedeckt haben. Von staatlicher Seite werden »Vorfälle« wie die um die Offiziere Franco A., Marko G. oder »Hannibal« als bedauerliche Einzelfälle dargestellt. Doch wenn man, wie jüngst geschehen, bei der KSK-Elite eine ganze Kompanie auflösen muss, weil deren Angehörige wenig Ehrfurcht vor dem Grundgesetz und dem Soldateneid haben, wird das Ausmaß rechter Umtriebe erahnbar.
Der Verfassungsschutz hält in einem erstmals erstellten Lagebild zu radikal Rechten in den Sicherheitsbehörden mehr als 350 Verdachtsfälle aus dem Zeitraum von 2017 bis Anfang 2020 fest. Derzeit werden 29 gerichtliche Disziplinarverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten mit Bezug zur sogenannten Reichsbürgerszene geführt. Bei der Bundespolizei sind zwölf und beim Zoll fünf entsprechende Disziplinarverfahren im Gange.
Über die Verbindungen von Neofaschisten in Behörden zu »Kameraden« im Ausland gibt es keine offiziellen Erkenntnisse. Etwas mehr ist über das Umfeld von Sicherheitsdienstleistern mit rechtsradikalem Führungspersonal bekannt. Hier existieren – ähnlich wie bei den Wehrsportgruppen der 1960er und 1970er Jahre gut vernetzte, hierarchisch aufgebaute Strukturen, Reservisten und Zivilisten können hier ganz legal militärische Fähigkeiten trainieren. Und was sie geheim halten wollen, kommt in der Regel nicht ans Licht. Selbst die bisher bekannten rechtsradikalen Chatgruppen von Polizisten sind meist eher durch Zufall aufgeflogen.
Sozialforscher meinen, die Skinhead-Neonaziszene, aus der der NSU hervorging, sei heute viel weniger gefestigt als damals.In den 1990er Jahren war die Organisierung Jugendlicher in rechtsradikalen Gruppierungen auch eine Reaktion auf soziale Verwerfungen im Umfeld des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, auf Frust und Perspektivlosigkeit. Ein solcher Nährboden für Radikalisierung ist derzeit nicht gegeben. Doch einerseits kann sich die soziale Lage gerade jederzeit wieder zuspitzen, andererseits finden und fanden Neofaschisten, die nach einem »Tag X« ein brutales, autoritäres Regime errichten wollen, auch sonst und gerade jetzt Anhänger.
Gleichwohl haben rechtsradikale Parteien und Gruppierungen es bislang nicht geschafft, die Macht zu übernehmen. Das gelänge nur, wenn demokratische Institutionen Milieu kollaborierten, Konservative also mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache machen. Die Gefahr, dass dergleichen geschehen könnte, ist durchaus real. Gerade aktuell machen sich Rechtspopulisten Verunsicherungen angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der Grundrechtseinschränkungen im Zuge der Pandemiebekämpfung teils erfolgreich zunutze.
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