• Berlin
  • Debatte um "Clankriminalität"

Gewerbekontrollen respektvoll gestalten

Die Neuköllner Linke-Politikerin Sarah Nagel über Ordnungspolitik, die weniger stigmatisierend ist

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.
Linke-Politikerin Sarah Nagel kennt die Nordneuköllner Kieze und seine Probleme.
Linke-Politikerin Sarah Nagel kennt die Nordneuköllner Kieze und seine Probleme.

Frau Nagel, es könnte sein, dass Sie am Donnerstag zur ersten Linke-Stadträtin in einem Westberliner Bezirk gewählt werden, wie fühlt sich das an?

Noch bin ich es ja nicht. Aber wenn ich es werde, dann freue ich mich natürlich. Wir hatten es uns als ein Ziel gesetzt, das Vorschlagsrecht für den Stadtratsposten zu erringen und das ist uns gelungen. Wir haben auch bei dieser Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung erneut zwei Sitze dazugewonnen. Dass es dann das Ordnungsamt wird, konnten wir vorher nicht wissen. Die Zählgemeinschaft der SPD und Grünen beansprucht vier der sechs möglichen Ressorts für sich, übrig blieben das Soziale und das Ordnungsamt. Letzteres wurde uns dann angetragen.

Wie wurde der Erfolg im Bezirksverband aufgenommen?

Von außen mag es überraschend sein, aber für uns war es das nicht. Wir haben hier jahrelang Aufbauarbeit geleistet, wir sind eine sehr aktive Partei mit einer sehr aktiven Basis. Wir sind gut verankert in den Kiezen und in den Initiativen, waren im Wahlkampf sehr viel auf der Straße präsent. Und deshalb haben wir in Berlin nicht nur im Wahlkreis 2 in Neukölln das beste Erststimmenergebnis für die Linke geholt, sondern haben in den drei Nord-Neuköllner Wahlkreisen zur Abgeordnetenhauswahl auch stark dazugewonnen.

Es hieß auch, Die Linke sei die einzige Partei, die den Rassismus, den viele Menschen in Neukölln erfahren, zum Thema gemacht hat. Im Zuge dessen ging es auch schon länger um die Gewerbekontrollen, die als Schwerpunkteinsätze von Polizei und Ordnungsamt durchgeführt wurden.

Das ist seit 2018 ein Thema, nicht erst seit Kurzem. Natürlich führt das Ordnungsamt Gewerbekontrollen durch, aber es gibt da meiner Ansicht nach einen gewissen Spielraum. Viele dieser Gewerbekontrollen werden aufgebauscht, sie finden oft abends statt, oft mit sehr viel Polizei, manchmal auch mit Pressebegleitung. Man macht eigentlich eine vollkommen übliche anlasslose Gewerbekontrolle, aber sie findet dann in einem Setting statt, wo der Anschein entstehen kann, dass es eher um Publicity geht als darum, organisierte Kriminalität zu bekämpfen, wie behauptet wird. Das finde ich schwierig. Dazu kommt, dass es sich vor allem um bestimmte Gewerbezweige handelt. Zum Beispiel Shisha-Bars, Spätis, Friseurläden - das heißt, viele, vor allem migrantische Gewerbetreibende, sind betroffen. Und das ist auf mehreren Ebenen problematisch.

Warum?

Weil bei dieser sogenannten Strategie der Nadelstiche viele Unbeteiligte ins Visier geraten. Neuköllns migrantische Communities geraten unter Generalverdacht. Leute sitzen einfach in einem Lokal und dann kommt plötzlich viel Polizei rein, sie werden kontrolliert, können dann auch manchmal nicht weg. Es gibt da viele Erfahrungsberichte.

Was würden Sie ändern?

Unser Ziel ist, dass man diese Gewerbekontrollen einfach anders gestaltet. Sie können tagsüber stattfinden und erst einmal ohne Polizei und auf eine respektvolle Art und Weise. Und wenn es dann einen Verdacht gibt, muss dem natürlich auch nachgegangen werden. Wenn man sich aber die Lageberichte zu sogenannter Clankriminalität anschaut und die Antworten auf parlamentarische Anfragen, dann geht daraus hervor, dass Aufwand und Ergebnisse nicht im Verhältnis zueinander stehen. Ich bin der Meinung, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Ich finde auch, dass alle Gewerbe in Neukölln in den Blick genommen werden müssen und nicht nur einzelne Gewerbezweige rausgepickt werden.

Warum lösen Ihre Aussagen, die ja das Ziel haben, bestimmte Stigmatisierungen und Klischees zu problematisieren, eine starke Debatte aus, in der es dann von Seiten der SPD und der CDU heißt, Sie seien nicht geeignet für das Amt?

Es reizt diejenigen, die befürworten, dass solche Einsätze auch auf diese Art und Weise ablaufen und die ein Interesse daran haben, dass eben auch bestimmte Bilder entstehen. Ich finde eine Versachlichung der Debatte wichtig. Im Jahr 2020 hat die Polizei insgesamt 240 Einsätze zur Bekämpfung von sogenannter Clankriminalität in ganz Berlin durchgeführt. Dabei wurden 525 Objekte kontrolliert, der Großteil davon Shisha-Bars und sonstige Cafés und Friseurläden. Die Polizei allein kommt auf mehr als 38 000 Einsatzstunden. Von den über 6000 Anzeigen muss man sagen, handelte es sich bei drei Vierteln um Verkehrsordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz. Wenn es Anhaltspunkte für Kriminalität gibt, sollte die Polizei dem nachgehen. Aber es andersherum zu machen, finde ich problematisch. Diese großen Verbundeinsätze werden aber laut der Anfragen häufig als anlasslose gewerbliche Kontrollen durchgeführt.

Haben Sie auch einen Überblick über andere Bereiche im Ordnungsamt?

Ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht, aber muss mich intensiv einarbeiten und mich interessiert auch die Perspektive der Mitarbeiter*innen sehr. Und ich möchte ausloten, welchen Spielraum es für eine linke Handschrift gibt. Es geht auch viel um Verkehr, zum Beispiel um gefährliche Hindernisse für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, wie Autos, die auf Radwegen parken. Man muss für alle Verkehrsteilnehmenden etwas verbessern, auch für diejenigen, die keine Autos haben. Dafür würde ich arbeiten. Müll ist ebenfalls ein großes Thema, da gibt es eine Teilzuständigkeit im Ordnungsamt. Wir brauchen hier dringend eine Weiterentwicklung von Konzepten wie den Sperrmüllaktionen, wo die Stadtreinigung an bestimmten Orten Sachen entgegennimmt. Es braucht Lösungen, die sich die Leute leisten können, Möglichkeiten, den Müll zu entsorgen, die nicht so kompliziert herauszufinden sind.

Sind bei Müll nicht auch oft Klischees im Spiel?

Es ist ein wichtiges Thema, das die Leute beschäftigt. Mir ist wichtig, wegzukommen von einer Individualisierung, bei der Leuten Schuld zugeschoben wird für dies und jenes. Stattdessen sollte man schauen: was braucht die Nachbarschaft, was braucht der Bezirk, damit sich diese Situation für alle entspannt?
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