- Politik
- Nicaragua
Die Stille vor der Wahl
In Nicaragua hat der Autokrat Daniel Ortega seine Konkurrenten vor dem Urnengang entsorgt
Über Managua kündigt sich ein Wolkenbruch an. Der abendliche Berufsverkehr fließt zäh über den Kreisverkehr Jean-Paul Genie, auf dem Polizisten mit Maschinengewehren Wache halten. Vor einigen Jahren hatte die Regierung hier 20 Meter hohe, bunte Metallstrukturen installieren lassen, so genannte »Lebensbäume«. Doch bei Aufständen gegen das autoritäre Regime von Daniel Ortega wurden diese Lebensbäume 2018 gefällt, an ihre Stelle setzten die Demonstranten Holzkreuze zur Erinnerung an getötete Mitstreiter. Der Aufstand ab April 2018 währte nur kurz, die Polizei schlug ihn nieder und besetzte den Platz Jean-Paul Genie wieder. Seitdem herrscht Ruhe, und nichts deutet darauf hin, dass in dem Land Wahlkampf herrscht - oder herrschen müsste.
Am morgigen Sonntag wird in Nicaragua gewählt. Der ehemalige Revolutionsführer Daniel Ortega, der von 1979 bis 1990 regierte und 2007 erneut an die Macht gelangte, hofft auf eine vierte Amtszeit, es wäre die zweite mit seiner Frau Rosario Murillo als Vizepräsidentin. Der Urnengang wird unter Ausschluss unabhängiger internationaler Beobachter stattfinden.
»Wer in diesen Tagen nach Nicaragua kommt, wird - von dem selbst für hiesige Verhältnisse beachtlichen Polizeiaufgebot abgesehen - kaum Hinweise dafür finden, dass Wahlen unmittelbar bevorstehen«, schildert Cesar Mora. In seiner Jugend war er Teil der sandinistischen Revolutionsbewegung und geriet unter der Familiendiktatur der Somozas zweieinhalb Jahre lang in Haft. »Die Ruhe im Land ist auch wenig überraschend«, sagt Mora, » denn jeder, der im Zuge der vergangenen Monate verlautbart oder bloß angedeutet hat, dass er oder sie für eine Oppositionspartei kandidieren könnte, wurde wegen ›Vaterlandsverrat‹ und ›Untergrabung der Souveränität‹ weggesperrt.«
Entfacht wurden die Proteste vor drei Jahren durch eine umstrittene Sozialreform. Daraus entstand eine von breiten Bevölkerungsschichten getragene Bewegung gegen Selbstbedienungsmentalität, Korruption und Autoritarismus des Paars Ortega-Murillo. Mora selbst war im Rahmen der Proteste 2018 einmal mehr verhaftet worden - dieses Mal von seinem einstigen Weggefährten.
Mit Hilfe der ihnen gefügigen Sicherheitsorgane und der Justiz hat das Regime seine repressive Offensive in jüngster Zeit erneut verschärft: Seit vergangenem Mai wurden drei Parteien verboten und 39 Oppositionsführer widerrechtlich festgenommen, viele von ihnen ehemalige revolutionäre Verbündete Ortegas, sowie Journalisten, Aktivisten, Unternehmer und sieben potenzielle Präsidentschaftskandidaten. Etliche andere sind ins Exil geflüchtet. »Ortega hat bei vergangenen Wahlen bereits gezeigt, dass er sich nicht vor undemokratischen Mitteln und Sabotage scheut. Aber das Verschleppen sämtlicher namenhafter Oppositionspolitiker stellt selbst für diesen Diktator des 21. Jahrhunderts ein Novum dar«, konstatiert Mora.
Wen soll man da noch wählen? »Der Orteguismus hat vier Parteien aus dem Ärmel geschüttelt, um die Illusion einer Wahl zu wahren«, erklärt Mora. Bei diesem Trick handelt es sich um ein bekanntes Relikt aus der 45-jährigen Herrschaft der Somoza-Dynastie. Im Volksmund nennt man sie »Moskito-Parteien«, da sie für ihre Dienste Vergünstigungen und Gelder erhalten, mit denen sie dem Volk metaphorisch das Blut aussaugen. »Dessen marionettenhafte Vertreter kennt dabei kaum jemand«, meint Mora. Er winkt ab und ergänzt: »Deshalb benötigt die Regierung auch keine Wahlkampagne, ebenso wenig wie die erdichteten Rivalen. Das Ergebnis steht bereits fest. Die Propaganda bleibt aus, es gibt weder die üblichen Karawanen noch Debatten oder Kundgebungen der Kandidaten. In Managua herrscht fast völlige Stille.«
Die aufwändigste Wahlwerbung hat die Regierung derweil anscheinend in den sozialen Medien betrieben. Meta, Facebooks Dachgesellschaft, gab kürzlich bekannt, ein seit 2018 operierendes Regierungsnetzwerk aufgedeckt zu haben, das sowohl Facebook, als auch TikTok, Instagram, Twitter, YouTube, Blogspot und Telegram umspannt. Der Mediengigant löschte insgesamt fast 1500 fingierte Konten, Seiten und Gruppen in seinen Facebook- und Instagram-Apps. Dem von Facebook vorgelegten Bericht zufolge ist das Netzwerk ein typisches Beispiel für eine »Trollfarm« - eine ausgedehnte Desinformationskampagne, die darauf abzielt, den öffentlichen Diskurs gezielt zu manipulieren. Währenddessen wurden unabhängige Nachrichtenmedien wie »La Prensa«, »Confidencial« und »100 % Noticias« geplündert, geschlossen und deren Leiter inhaftiert oder ins Exil verbannt. Nicaragua ist heute das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das über keine gedruckte Zeitung verfügt.
Eine im Oktober durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens CID-Gallup ergab, dass 76 Prozent der Nicaraguaner eine Wiederwahl Ortegas am 7. November nicht als legitim ansehen. Nur 17 Prozent der Nicaraguaner würden für Ortega stimmen, während 65 Prozent einen der sieben inhaftierten Oppositionskandidaten bevorzugten. Als letztere noch vor der gegenwärtigen Welle der Repression ihren Wahlkampf begannen, wünschte sich der landesweit bekannte Studentenführer Lesther Alemán, dass die Wahllokale am 7. November regelrecht überfüllt würden. »Nur so kann ein Wahlbetrug enttarnt werden«, erklärte der Student, der am nationalen Dialogtisch 2018 dem Ex-Guerillakämpfer Ortega gegenübersaß. Seinen Wunsch äußerte Alemán im vergangenen April im Rahmen eines klandestinen Treffens, unweit der von Polizisten behüteten Kreuzung Jean-Paul Genie. Nun sind es auf den Tag genau vier Monate, die Alemán bereits unter in einer Gefängniszelle sitzt. Die Opposition ruft derweil zum Wahlboykott auf. »Verschlossene Häuser, leere Straßen und Urnen« heißt die neue Losung für die Wahlen, bei denen es nichts zu wählen gibt.
»Am schwersten ist es, mit der Ungewissheit umzugehen und das Komplexeste ist wohl die Einsamkeit«, sagte Alemán mit Blick auf seinen Umgang mit der unablässigen Verfolgung seitens der Regierung und deren Schergen. Mit solcherlei Ängsten und Unsicherheiten müssen Alemán und die weiteren rund 150 politischen Gefangenen wohl noch länger leben. Denn es gibt keine Opposition, die sich dem Dauerpräsidenten Ortega und seiner Frau entgegenstellt. Und gleichzeitig hat das Paar mit der vollständigen Kontrolle über den Obersten Wahlrat und die Staatsgewalt alle Mittel, seine Herrschaft zu sichern und Opposition zu ersticken.
* Um die Anonymität der Interviewpartner zu wahren, wurden Namen geändert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.