Zockende Bundesländer

Der Milliardenschaden durch »Swaps« sollte nicht nur Hessen Warnung sein

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Hessen hat mit spekulativen Finanzgeschäften mindestens 4,2 Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Auch in anderen Ländern scheint der Einsatz solcher Derivate möglich: In »praktisch allen Bundesländern« erlauben Gesetze deren Nutzung, kritisiert Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerinitiative Finanzwende. Auch die Konstruktion der konkreten Geschäfte in Hessen wirft weiterhin viele Fragen auf. Doch die schwarz-grüne Regierung von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier in Wiesbaden bleibt weiter klare Antworten schuldig. Deshalb machten die Oppositionsfraktionen im hessischen Landtag SPD, FDP und Linke in einem von Finanzwende organisierten Pressegespräch nun noch einmal deutlich, was sie erwarten: Aufklärung und Transparenz, auch über zukünftige Risiken.

Ausgelöst hatte die politische Lawine der Hessische Rechnungshof. Der 3. Senat rügte im Dezember 2020 den Einsatz von Derivaten im Land Hessen. Seit 2006 erlaubte das hessische Haushaltsgesetz für staatliche Finanzierungen private Derivate, in diesem Fall »Forward-Payer-Swaps«, zu kaufen. Letzteres sind Wetten auf einen bestimmten Zinssatz in der Zukunft. Üblicherweise laufen diese unter Finanzdienstleistern nur über kürzere Zeiträume von bis zu fünf Jahren.

Hessen erwarb solche Swaps in einem Volumen von insgesamt 8,4 Milliarden Euro – davon allein 6,5 Milliarden im Jahr 2011. Regierungschef war damals wie heute Volker Bouffier. Mit seinen Derivate-Deals wollte der 2020 verstorbene Finanzminister Thomas Schäfer, ebenfalls CDU, das damalige niedrige Zinsniveau dauerhaft sichern.

»Der Rechnungshof«, heißt es in dessen Bericht, »kann die Motivation des Gesetzgebers und des Finanzministeriums zur langfristigen Zinssicherung grundsätzlich nachvollziehen.« Die Zinsen befanden sich im Jahr 2010/2011 auf einem historisch niedrigen Niveau. Beispielsweise lag der Zinssatz von zehnjährigen Bundesanleihen 1990 bei 7,7 Prozent, 2010 nur noch bei 3,5 Prozent.

Weitere Risiken kommen auf Hessen zu

Das Problem: Die Zinssätze sanken noch tiefer. Da die Europäische Zentralbank auf Euro-Krise und Corona-Pandemie lange mit einer lockeren Geldpolitik reagierte, fielen die Renditen sogar bis in den Negativbereich. Von dem niedrigen Marktzins konnte Hessen jedoch nur eingeschränkt profitieren, da es sich mit den »teuren« Swaps extrem langfristig gebunden hatte. Im Ergebnis muss das Land wegen der Geschäfte aus den Jahren 2011 und 2014 mehr als 4,2 Milliarden Euro an zusätzlichen Zinsen aufbringen.
Linken-Politiker Jan Schalauske sieht weitere Risiken auf das Land zukommen. Die Laufzeiten der Verträge mit einem Dutzend internationaler Großbanken begannen teilweise erst 2020 und laufen bis 2060. Daher halten Experten die Hessen-Derivate für reine Spekulation. Die mangelnde Aufklärungsbereitschaft der aktuellen schwarz-grünen Regierung Hessens zeige, dass man aus dem Debakel nichts gelernt habe, sagte Marion Schardt-Sauer (FDP). Grund genug für eine »Spanien-Koalition« (rot-gelb-rot), ergänzte Marius Weiß, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Hessischen Landtag. In einem gemeinsamen Papier fordern die drei Parteien nun weitere Aufklärung über Milliardenverluste und zukünftige Risiken. So hinterlegte Hessen für seine Derivat-Geschäfte hohe Milliardenbeträge als Sicherheit bei den beteiligten Banken, auch bei Barclays in Großbritannien. Seit dem Brexit bewegen sich diese »Barwerte« in einem rechtlichen Graubereich. Aufklärung wird auch verlangt über die Rolle der Hessischen Landesbank. Die Helaba hat das Ministerium exklusiv beraten und gleichzeitig mit ihm Derivat-Geschäfte abgeschlossen.

Hessen nutzt seit dem Jahr 2014 keine neuen Derivat-Geschäfte mehr und plant diese auch nicht für die Zukunft – soweit nicht die Absicherung von Negativzinsen betroffen ist oder der Ausschluss von Währungsrisiken. Gleichwohl wird behauptet, das hessische Finanzministerium habe immer alles richtig gemacht. Ein Widerspruch, findet Finanzwende-Sprecher Schick.

Auch der Hessische Rechnungshof in Darmstadt warnt vor Derivaten. Sie seien zu riskant, um von Land oder Kommunen eingesetzt zu werden. Selbst wenn man den Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen für zweckmäßig hält, zeige sich großer gesetzlicher Nachbesserungsbedarf, ergänzt Volkswirt Schick. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass große Verluste wie in Hessen auch an anderer Stelle vorkommen können.«

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