Abschied von der Klimabahn

Ganz klar, bei der Bahn muss etwas passieren. Die Aufspaltung von Netz und Betrieb ist aber der vollkommen falsche Weg, warnt Carl Waßmuth.

  • Carl Waßmuth
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum Wochenende wurden Vorschläge der Monopolkommission für eine Zerschlagung der Bahn öffentlich. Nun ist diese Kommission als stramm neoliberal bekannt, und auch die Idee der Aufteilung der Bahn mit dem Ziel von mehr Wettbewerb und mehr Privatisierung ist nicht neu. Allerdings ist das Thema Bestandteil der laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Was auf den ersten Blick wie eine langweilige technische Debatte klingt, hat gesellschaftspolitisch enorme Sprengkraft, denn hinter Begriffen wie »Trennung von Netz und Betrieb« verbirgt sich ein neuer Anlauf für die Privatisierung der Bahn.

Breite Einigkeit besteht, dass bei der Bahn etwas passieren muss: Der Service ist abschreckend, die Preise liegen oft bei einem Vielfachen von Flugreisen, Brücken und Strecken verfallen immer mehr. Verantwortlich für diese Situation ist auf der einen Seite die DB, die sich immer noch für einen Global Player hält und den Bahnverkehr in Deutschland verachtet. Und auf der anderen Seite gibt es infolge fortschreitender Liberalisierung immer mehr private Betreiber, die aus dem Netz zunehmend einen Flickenteppich machen - mit allem, was man von verantwortungslosen Privatbetreibern kennt: Lohndumping, monatelange Zugausfälle und Ersatzverkehre bis hin zu Insolvenzen.

Bei den riesigen Problemen der Bahn handelt es sich um Staatsversagen, denn die DB ist zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum. Die deutschen Gesetze für scharfen Wettbewerb im Sinne von großen Kapitalanlegern gehen sogar noch über das hinaus, was die keineswegs wettbewerbsfeindliche EU vorgibt. Eine große Zahl von leidvoll erlebten Privatisierungen weltweit lehrt, dass Staatsversagen oft zu einer Aufteilung mit anschließendem Verkauf von Teilen geführt hat. Der schlechte Zustand verleitet zu Fatalismus, Beschäftigte und Kundenverbände gaben oft ihren Widerstand gegen Privatisierungsvorhaben auf, weil sie glaubten, es könne nicht noch schlechter werden.

Doch der Eindruck trügt. Es kann noch schlechter werden. Wer sich mit der Zerschlagung der Bahn beschäftigt, landet schnell beim britischen Modell, das aber alles andere als ein leuchtendes Vorbild ist. Vielmehr ist es für seine hohen Kosten und seine Ineffizienz traurig berühmt. Die British Rail wurde nach der Trennung von Netz und Betrieb an 25 Franchisegeber verkauft. Die Folge: zersplitterte Zuständigkeiten, ein Chaos von Preisen und Anschlüssen, Pendler müssen für Jahreskarten bis zu fünfmal so viel bezahlen wie Bahnkunden auf dem europäischen Festland. Finanzinvestoren schätzen es, wenn der Staat die kostenintensive Instandhaltung flächendeckender Netze übernimmt und sie sich die Rosinen herauspicken können. Renditen lassen sich auch gewinnen, wenn der Staat erpressbar wird, etwa weil er durch eigene Tätigkeit den Bahnbetrieb gar nicht mehr gewährleisten könnte. Die Trennung von Netz und Betrieb, wie es FDP und Teilen der Grünen offenbar vorschwebt, führt weg von der integrierten Bahn, mit der die Schweiz das beste Bahnsystem der Welt geschaffen hat. Vermutlich aber am schlimmsten ist: Eine Trennung lähmt und behindert den Umbau zur »Klimabahn« auf Jahre.

Bei der deutschen Autobahn-GmbH kann man beobachten, was schon ein relativ überschaubarer Strukturwandel verursacht. Dort haben die Länder 2017 die Zuständigkeit an den Bund abgegeben. Seither herrscht Stillstand, nur unterbrochen von Skandalen. Die Aufteilung der Bahn wäre eine ungleich größere Aufgabe. Die Verzahnung von Infrastruktur und Betrieb ist bei der Bahn so groß wie bei keiner anderen Einrichtung der Daseinsvorsorge. Verkehr verursacht rund ein Viertel der gesamten Treibhausgas-Emissionen. Wenn die Bahn auf Großprojekte und CO2-intensive Tunnel verzichtet, kann sie wirklich klimafreundlich sein. Um aber von der reinen Möglichkeit zur echten Alternative zu Autos, Lkws und Flügen zu werden, müsste die Bahn fit gemacht werden. Man müsste sie ausbauen zur Klimabahn und dazu Infrastruktur und Betrieb gezielt und klug weiterentwickeln. Das geht nur, wenn man die ganze Bahn öffentlich steuern kann. Die Koalition in spe steht also am Scheideweg: entweder die Bahn zerschlagen und privatisieren - oder demokratisieren, dem Gemeinwohl unterstellen und zur Klimabahn ausbauen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.