Utopie und Alltag auf zwei Rädern

Das Märkische Museum beleuchtet das Fahrrad als Freiheitsversprechen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Lastenräder der Freiluftausstellung vom Sommer sind nun ins Märkische Museum eingefahren.
Die Lastenräder der Freiluftausstellung vom Sommer sind nun ins Märkische Museum eingefahren.

»Ich bin mutig, wenn nicht brutal«, sagt Paul Spies, Direktor des Stadtmuseums Berlin. Er bezieht das auf seine Art, sich auf dem Fahrrad durch die Hauptstadt zu bewegen. »Im Vergleich zu Amsterdam ist die Stadt sehr unsicher für Radfahrer«, kritisiert der Niederländer. Eigentlich war die Verkehrswende eines der Versprechen, mit dem Rot-Rot-Grün 2016 in Berlin angetreten war, doch nicht nur dem Museumsdirektor geht es damit zu langsam voran. Spies hofft, mit der Schau »Easy Rider Road Show«, einer »Ausstellung über das Fahrrad als Utopie«, vielleicht neuen Schwung in das Vorhaben zu bringen, weg von einer autogerechten Stadt zu kommen. »Wir machen die Ausstellung auch, weil sie eine politische Aussage hat«, erklärt er jedenfalls.

Am Samstag öffnet die Schau im Märkischen Museum für das Publikum. Rechtzeitig, dass sich auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der aktuell laufenden Verhandlungen über eine Neuauflage der Mitte-links-Koalition, nun als Rot-Grün-Rot, einen Blick hinein werfen können. Denn dem Vernehmen nach läuft es nicht nur beim Thema Wohnen und Stadtentwicklung, sondern auch beim Verkehr äußerst zäh. Das überrascht nicht, schließlich hatte sich SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey immer wieder »gegen Verbote« und stattdessen »für Angebote« bei der Verkehrswende ausgesprochen.

Ritterspiele auf zwei Rädern

Die in Zusammenarbeit mit Musuku, dem Museum der Subkulturen, entstandene Ausstellung widmet sich dem Fahrrad gerade als einem Phänomen der Subkultur, präsentiert es als Vehikel eines Freiheitsversprechens, als Glücksbringer und als Utopie. Der Blick auf Bildern renommierter Fotografen geht weit über Berlin hinaus, unter anderem in die USA, nach Großbritannien, Mexiko und Kuba. Zu sehen sind aus New York beispielsweise Fotos von Bike Kill, einem Festival von selbst gebauten Mutantenrädern, viele davon Hochräder, andere wiederum äußert klein. Höhepunkt ist das Turnier zum Sonnenuntergang, bei dem die Teilnehmer mit langen, immerhin gepolsterten Lanzen aufeinander zufahren und versuchen, sich gegenseitig vom Rad zu stoßen.

Was wahrscheinlich kaum jemand in dieser Stadt weiß: In Berlin gibt es beim Karneval der Subkulturen vor dem Hausprojekt »Köpi« in Mitte mit den »Bike Wars« etwas sehr Ähnliches. Dabei geht es darum, die Räder der anderen zu zerstören, das eigene Vehikel muss manövrierfähig bleiben. Gewonnen hat, wessen Zweirad am Ende noch fährt. Wegen Corona, aber auch wegen des letztlich verlorenen Kampfes um den Wagenplatz der »Köpi«, der Mitte Oktober mit dessen Räumung endete, fand das Spektakel dieses Jahr allerdings nicht statt.

Für Museumsdirektor Paul Spies persönlich liegt »das Gefühl von Freiheit« vor allem in der Abwesenheit der Zwänge des öffentlichen Nahverkehrs. »Beim Fahrrad kann ich fahren, wann ich will«, sagt er. Das gehöre auch wegen abnehmender Freiräume zur immer geringer werdenden Berliner Freiheit, erklärt er.

Bewegungsfreiheit für Geflüchtete

Ganz konkret verhilft der Neuköllner Verein Rückenwind Menschen mit gespendeten Fahrrädern zu Bewegungsfreiheit. Das 2015 gegründete Projekt sammelt nicht mehr benötigte, kaputte oder zurückgelassene Räder, inzwischen rund 80 Ehrenamtliche aus aller Welt arbeiten sie in der Werkstatt des Vereins auf und verteilen sie schließlich an Menschen mit Fluchterfahrung und sozial Benachteiligte. Über 2500 Räder haben so inzwischen dankbare Abnehmerinnen und Abnehmer gefunden.

Bereits zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war das Fahrrad für Frauen ein Mittel der Emanzipation. Gegen erheblichen Widerstand der Gesellschaft eroberten sie sich den öffentlichen Raum.

Freiheit vom Autoverkehr

Jeden letzten Freitag im Monat erobert die »Critical Mass« die Straßen der Hauptstadt. Oftmals Hunderte Radlerinnen und Radler bilden ohne große Organisation, fast spontan, eben eine kritische Masse, die dem Fahrrad in den vom Autoverkehr dominierten Straßen Sichtbarkeit zu verschaffen. Ziel ist es, die Bedingungen für den Zweiradverkehr in den Städten zu verbessern. Ausgangspunkt dieser Bewegung war 1992 die US-amerikanische Metropole San Francisco, seit vielen Jahren gibt es diese Demonstrationen für die Verkehrswende auch in mehreren deutschen Großstädten.

Zunächst utopisch wirkte das vom Verein Paper Planes initiierte Projekt Radbahn U1. Der Raum unter dem Kreuzberger Hochbahnviadukt sollte demnach für einen vor allem lustbetonten, weniger auf Tempo optimierten Radweg genutzt werden. Ein Vorhaben, das in der Politik, aber beispielsweise auch bei den Tourismuswerbern von Visit Berlin auf fruchtbaren Boden fiel. Mit dem Vorhaben »Reallabor Radbahn« soll eine Umsetzbarkeit des Plans ausgelotet werden. Dabei zeichnet sich ab, dass die Realisierung anders vonstatten gehen wird, als zunächst angedacht. Im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg geht man davon aus, dass eine Hälfte der Skalitzer Straße, entlang derer die Hochbahn führt, zum breiten Zweirichtungs-Fahrradweg werden könnte. Denn der Raum unter den Viadukten ist nicht sonderlich breit, Kreuzungen und die ansonsten nötigen Verschwenkungen an Stationsabgängen sind planerisch problematisch.

Ein Projekt auch in eigener Sache ist der Wiederaufbau der 1960 abgerissenen Waisenbrücke für den Fahrrad- und Fußverkehr. Sie führte einst über die Spree direkt zum Märkischen Museum.

Diese und viele weitere Beispiele aus dem Fahrradkosmos werden bis 27. März zu sehen sein. Die großformatigen Fotos sind auf Lastenfahrrädern montiert. Diese waren im Sommer bereits als mobile Ausstellung auf den Straßen Berlins unterwegs.

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