Der lange Kampf der Boxer um die Gunst des IOC
Trotz offensichtlicher Reformen des Weltverbandes steht die olympische Zukunft weiterhin infrage
Für den Boxweltverband Aiba waren die gerade beendeten Weltmeisterschaften in Belgrad ein rauschendes Fest. Aber: Noch immer zürnt das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit der Verbandsführung - und droht mit dem Rauswurf des Boxens aus dem olympischen Programm. Der Graben wurde nun nochmals tiefer: WM-Ausrichter Serbien hatte der Mannschaft des Kosovo die Einreise verweigert, weil das Land die selbstständige Republik nicht anerkennt. Dieser Vorfall verstärke laut IOC »die ernsten Bedenken, die das IOC in Bezug auf die Führung dieses suspendierten internationalen Verbandes hat.«
Der Ringeorden hatte den Boxerverband im Mai 2019 wegen fehlenden Reformwillens, Kampfrichterskandalen und Misswirtschaft suspendiert. Damals war Gafur Rachimow Aiba-Präsident. Dem Usbeken wurde die Organisation von Drogengeschäften nachgesagt. In den USA stand er auf der Sanktionsliste des Finanzministeriums, sein Vermögen wurde eingefroren. Rachimow hat immer alles bestritten, zog sich im Frühjahr 2019 aber aus der Aiba zurück. Fortan übernahm Mohamed Moustasahne die Geschäfte als Interimspräsident. Der Marokkaner musste sich vor allem mit den Verbandsschulden von bis zu 30 Millionen Dollar aus früheren Jahren befassen. Einiges davon wurde in Sponsorenverträge umgewandelt, 16 Millionen Dollar an Außenständen aber blieben. Als der überforderte Moustasahne seinen Stuhl räumte, wurde im Dezember 2020 der Russe Umar Kremlew an die Spitze der Aiba gewählt.
Reformen und Bedenken
»Ich bin sauber. Ich habe nichts zu verbergen«, schwört Kremlew, der seit drei Jahren zum Führungszirkel des Verbandes gehört. Bestechungen von Kampfrichtern und Manipulationen von Urteilen sind ihm nicht anzulasten. Der 40-Jährige ist als früheres Mitglied des nationalistischen Motorrad-Rockerclubs Nachtwölfe auch kein unbeschriebenes Blatt, hat aber die nationalen Boxverbände nach anfänglicher Zurückhaltung für sich gewonnen. »Die Aiba ist auf dem richtigen Weg. Wir werden der ehrlichste, sauberste und transparenteste Sportverband«, behauptete er. Als Hauptsponsor holte Kremlew Gazprom ins Boot. Seither ist die Aiba schuldenfrei. Mehr noch: Erstmals in der WM-Geschichte wurden in Belgrad Siegprämien von insgesamt 2,6 Millionen Dollar gezahlt.
Kremlew redet nicht nur über Reformen. Er lädt international anerkannte Fachleute ein und fordert sie auf: Krempelt den Laden um! Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Pricewaterhouse Cooper durchleuchtet Geschäftstätigkeit und Finanzströme, den bekannten Sportrechtler Richard McLaren bat er, Rechtsbrüche und Skandale zu untersuchen. Zudem beauftragte er den Kanadier, die Kampfrichter zu überprüfen und verdächtige Kandidaten auszusortieren. Eine neue Satzung entstand unter Mitarbeit des deutschen Rechtswissenschaftlers Ulrich Haas, der auch deren Durchsetzung überwacht. »Wir haben der Aiba ein Werkzeug gegeben, ihren Verband auf den richtigen Weg zu führen«, sagt McLaren. Im Zentrum steht das Kampfrichterwesen. Dass Unparteiische geschmiert und Urteile abgesprochen wurden wie bei Olympia 2016, als das komplette Team von 36 Kampfrichtern lebenslang gesperrt wurde, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.
Zum zweiten Mal nach der WM 2019 gab es in Belgrad die Möglichkeit, Proteste gegen Kampfurteile einzulegen. Ein Gutachter und ein Beobachter prüfen das unabhängig. Hat auch nur einer Zweifel, wird der Kampf neu bewertet. In Belgrad kostete ein Protest nichts. Zwei Jahre zuvor waren es 500 Dollar. Bei Olympia in Tokio, wo das IOC das Turnier organisierte, gab es das Protestrecht nicht.
Vorwürfe gegen das IOC
»Wir sind dabei, rigoros aufzuräumen. Bei den Wahlen im nächsten Jahr trennen wir uns von vorbelasteten Personen«, sagt Michael Müller, der als Sportdirektor des deutschen Verbandes dem Wettkampfkomitee der Aiba vorsteht. Kremlew lässt also nichts unversucht, das IOC von der Aufhebung der Suspendierung zu überzeugen. Unbehagen im Westen löst jedoch seine Nähe zu Wladimir Putin aus. Russische Medien haben ihm gar eine kriminelle Vergangenheit unterstellt.
Was passiert jedoch, wenn Kremlew nicht wiedergewählt wird? Präsentiert dann die Gazprom der Aiba einen Schuldschein in Höhe der getilgten Außenstände? Müller verneint: »Das Thema ist erledigt.« Sollte die Aiba wieder unter das Olympiadach kommen, erhält sie ihren Millionenanteil aus dem IOC-Vermarktungstopf. Aber kommt es so? »Es scheint, als gäbe es großes Interesse im IOC, den Boxsport rauszuhalten«, sagt Aiba-Führungsmitglied Jürgen Kyas. Und er vermutet andere Absichten: Beim IOC brauche man Platz für neue, junge Sportarten, die bestens im TV zu vermarkten sind.dpa/nd
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