Der Goldstandard des Datenkapitalismus

Die EU-Kommission will die großen Tech-Konzerne stärker regulieren

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Auftritt der US-Whistleblowerin Frances Haugen kam für die Brüsseler Lobbyisten von Facebook, Amazon und Co. äußerst ungelegen. Denn die Aussagen der ehemaligen Facebook-Managerin vor einem Ausschuss des Europaparlaments machten am Montag noch einmal deutlich, wie wichtig eine strenge Regulierung der Konzerne ist. Die frühere Produktleiterin warnte während der Anhörung: Bei Konflikten »zwischen dem eigenen Profitstreben und Gefahren für die Demokratie« habe sich der Konzern »immer zugunsten des eigenen Profitstrebens entschieden«. Dreh- und Angelpunkt seien »Algorithmen zur Produkt- und Profitoptimierung«.

Und hier kommt die EU-Kommission ins Spiel: Mit gleich zwei Verordnungen will Brüssel den großen Tech-Konzernen engere Grenzen setzen. Der Digital Service Act (DSA) soll mehr Transparenz bringen: So sollen die Anbieter bei Werbeanzeigen nicht nur offenlegen, dass es sich um Werbung handelt, sondern auch, wer diese bezahlt hat und anhand welcher Faktoren diese Anzeige auf dem Bildschirm erscheint. Denn Werbung ist längst personalisiert und beruht auf umfassender Datenanalyse. Zudem sollen Nutzer*innen darüber informiert werden, wenn sie zum Ziel von Microtargeting werden - also durch maßgeschneiderte politische Botschaften beeinflusst werden sollen. Der DSA soll auch festlegen, ob und wie soziale Medien illegale und »schädliche« Inhalte löschen oder blockieren sollten. Auch die Frage der Haftung bei Regelverstößen soll dort geregelt sein.

Die zweite Verordnung nennt sich Digital Markets Act (DMA) und soll für einen »fairen Wettbewerb« sorgen und so etwa die Konzerne mit großer Marktmacht (Gatekeeper) dazu zwingen, nicht nur die eigenen Produkte bevorzugt zu präsentieren. Diskussionen gibt es über die Frage, ab welcher Größe ein Unternehmen als Türsteher gelten soll. Im Entwurf der Kommission gilt als Gatekeeper, wer mehr als 45 Millionen Nutzer*innen im Monat hat, in mindestens drei EU-Staaten aktiv ist und über drei Jahre lang mehr als 6,5 Milliarden Euro Jahresumsatz macht oder einen Marktwert von 65 Milliarden Euro hat. Das würde nach derzeitigem Stand zehn Konzerne betreffen. Die Konservativen im Parlament wollen die Grenze höher ansetzen, damit weniger Konzerne betroffen sind. Sozialdemokraten, Grüne und die Linke im Parlament sind strikt dagegen. Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Fraktion THE LEFT, würde die Grenze sogar noch früher ziehen und verweist auf die Online-Reiseagentur Booking.com. Der niederländische Konzern ist mit 5,8 Milliarden Euro Jahresumsatz nach EU-Definition kein Gatekeeper, hat aber laut Schirdewan de facto ein Monopol.

Ein aktuelles Beispiel für den Missbrauch von Marktmacht bieten Google und sein Mutterkonzern Alphabet. Die Suchmaschine hatte den eigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping bei Anfragen sehr weit oben angezeigt, während die Konkurrenz weiter unten landete. Die EU-Kommission sah darin einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht und verhängte eine Geldstrafe von 2,4 Milliarden Euro. Der Europäische Gerichtshof hatte die Rechtmäßigkeit der Strafe an diesem Mittwoch bestätigt. Allerdings kann der Konzern weitere Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Eine bessere Regulierung mit klaren Vorgaben könnte so einen Prozessmarathon künftig obsolet machen. Immer noch gilt in der EU die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000, die in vielen Bereichen der digitalen Wirklichkeit hinterherhinkt.

Francis Haugen fand am Montag warme Worte für die geplanten Verordnungen und betonte, die EU könne hier den »weltweiten Goldstandard« für eine Regulierung der Tech-Konzerne setzen - auch für die USA. »Sie können Standards aufstellen, die Risiken angehen und gleichzeitig die Meinungsfreiheit schützen«, so Haugen.

Wohl auch deshalb putzen die Lobbyisten von DOT Europe, dem Interessenverband der Tech-Konzerne, derzeit eifrig Klinken in Brüssel. Die Konzerne wollen vor allem den DSA entschärfen und haben Millionen ins Lobbying gesteckt. Wobei die Kommission »sehr offen« sei, wie DOT-Chefin Siada El Ramly dem Onlinemagazin »Politico« verriet. Das Parlament hingegen sei »sehr schwierig«. Tatsächlich kamen aus dem Parlament mehr als 1000 Änderungsanträge, die den Konzernen oft noch strengere Vorgaben machen wollen. Allein Martin Schirdewan hat für seine Fraktion mehr als 100 Änderungsanträge eingebracht.

Beim Gesetz über digitale Märkte (DMA) gibt es offenbar schon eine Einigung im EU-Ministerrat, wie die FAZ vor wenigen Tagen meldete. Demnach orientiere sich der Text stark an dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission. So bleibt es bei der etwas strengeren Gatekeeper-Definition. Allerdings konnten sich Staaten wie Deutschland nicht durchsetzen, die gefordert hatten, dass nationale Aufsichtsbehörden wie das Bundeskartellamt eine größere Rolle bei der Kontrolle spielen sollten. Allgemein wird befürchtet, dass die EU-Institutionen mit der Überwachung der Verordnungen überfordert sein könnten.

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