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Zwischen Grün und Greenwashing
COP 26 in Glasgow ist die bislang größte Weltklimakonferenz - und das in Zeiten von Corona
Die UN-Klimakonferenz hat die schottische Metropole Glasgow okkupiert: Überall hängen Flaggen der Vereinten Nationen. Selbst belanglose Gespräche auf der Straße drehen sich vor allem um die COP 26. Lichtprojektionen in der Innenstadt beleuchten die Klimakrise auf vielfältige Art. Und alle Anzeigen in der U-Bahn bewerben vermeintlich nachhaltige Produkte.
Vergangenen Freitag streikte Fridays for Future in Glasgow mit rund 30.000 Menschen. Am Samstag ging das Bündnis »COP26 Coalition« mit über 120.000 Menschen auf die Straße. Viele protestieren weiter - laut, bunt und wütend. Jugendliche und Aktivist*innen aus dem globalen Süden, Indigene, die nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, obwohl sie von der Klimakrise mit am allermeisten betroffen sind und am wenigsten zu ihr beigetragen haben.
Auch vor dem Eingang zum Verhandlungsgelände, dem Glasgower SEC Centre, finden seit Konferenzbeginn am Montag vor einer Woche fast jeden Morgen und Abend Proteste statt, begleitet von Polizist*innen in enormer Zahl. Teilweise sind mehr Aufpasser*innen als Aktivist*innen anwesend.
Für die, die reindürfen, beginnt der Klimagipfeltag mit einem Selbsttest. Das Wattestäbchen tief in die Nase tunken, mit dem Teströhrchen ein paar Tropfen für den Teststreifen erzeugen. Dann die Kennnummer des - hoffentlich negativen - Covid-19-Tests in den persönlichen Account beim NHS, dem britischen Gesundheitssystem, eingeben. Die Bestätigung kommt per SMS. Nur wenn man diese zusammen mit dem »Badge«, der Teilnahmekarte, vorzeigt, kommt man durch die erste Kontrolle am massiven Zaun, der das Glasgower Centre umgibt. Medienleute brauchen den »Badge« dann noch dreimal, um ins Pressezentrum zu gelangen. Zwischendrin gibt es die übliche flughafenähnliche Taschenkontrolle.
Das Konferenzzentrum hat den Charme von Berliner Messehallen. Die Gipfelplaner*innen konnten nicht ahnen, dass die 26. Weltklimakonferenz, kurz COP 26, der größte Klimagipfel aller Zeiten werden würde - mit knapp 40.000 Beteiligten. In den Gängen herrscht oft drangvolle Enge. Menschen sitzen mit ihren Laptops auf dem Boden. Maske zu tragen, ist Vorschrift. Schlangen gibt es auch vor den Cateringstellen. In den Konferenzsälen ist nur rund jeder dritte Platz freigegeben. Die Organisator*innen tun alles, damit die COP zu keinem Superspreading-Ereignis wird.
Klagen darüber sind nicht zu hören. Alle sind froh, sich wieder leibhaftig treffen zu können. Das Bundesumweltministerium schrieb in einem Bericht über die erste Verhandlungswoche in Glasgow: Es zeige sich deutlich, dass »die persönliche Begegnung für viele Klimaexpert*innen bei dieser physischen COP in Glasgow nach 1,5 Jahren durch nichts zu ersetzen ist«.
Der Glasgower Gipfel soll aber auch inhaltlich eine Zeitenwende markieren. Denn seit dem letzten Gipfel 2019 in Madrid hat die Klimapolitik einen großen Schritt voran getan. Lange Zeit lauteten die Klimaziele der Staaten so: Bis Mitte des Jahrhunderts wollen wir so ungefähr 80 bis 95 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen - und was wir dann mit dem Rest machen, das wird sich schon finden. Inzwischen ist jedoch klar: Will die Welt die Klimakrise noch einigermaßen in den Griff bekommen, muss ab Mitte des Jahrhunderts der gesamte Globus klimaneutral leben und wirtschaften. »Net Zero 2050« - alles zurück auf null, das ist die Klimapolitik der Zukunft.
Dieser Geist von Glasgow ist allenthalben zu spüren. Etwa bei Pressekonferenzen, auf denen sich Experten fragen, wie klimaneutrale Landwirtschaft funktionieren kann. Oder auf den sogenannten Side Events, von denen es jeden Tag Dutzende gibt und auf denen Politiker, Thinktanks oder Initiativen eine große Vielfalt präsentieren. Es geht um die Rechte indigener Völker beim Klimaschutz, um die Finanzierung einer grünen, widerstandsfähigen und inklusiven Covid-19-Erholung in Asien und im Pazifik, um die Umgestaltung von Städten durch »Multi-Level-Governance«.
In den COP-Hallen bestätigt sich aber auch, was Greta Thunberg außerhalb sagte: Da finde ein »Greenwashing-Festival des globalen Nordens« statt. Im »Action Hub« hängt eine riesige Weltkugel, überall grüne Deko und Verweise auf das Gipfel-Sponsoring unter anderem von Ikea, Sky und Microsoft. Wenige Schritte weiter kommt man zu den Pavillons der Länder und Organisationen. Neben dem des vom Untergang bedrohten pazifischen Inselstaats Tuvalu steht der russische Pavillon. Hier wirbt die Atomenergiebehörde Rosatom mit dem Slogan »Nuclear for a better life«.
In den Konferenzhallen ist zu spüren, dass die Unternehmen und ihre Lobbys begriffen haben: Das »Next Big Thing« ist, die Welt zu retten. Alles und jedes ist jetzt »sustainable«, also irgendwie nachhaltig. So lädt das »Forum der gasexportierenden Länder« zu einer Veranstaltung mit dem Thema »Erdgas: Energie für Nachhaltige Entwicklung«. Der fossile Energieträger wird als Geburtshelfer der sauberen neuen Klimawelt angepriesen.
Was »Net Zero 2050«, also netto-null Emissionen in knapp 30 Jahren, wirklich bedeutet, dämmert vielen erst langsam. Im »Petland Pavillon« - er widmet sich dem weltweiten Moorschutz - muss sich der in Bayern für die Renaturierung der Moore zuständige Regierungsbeamte dafür rechtfertigen, dass sein reiches Bundesland bis zur Mitte des Jahrhunderts nur etwa ein Drittel der trockengelegten Moore wieder vernässen und so deren Emissionen stoppen will. »Warum nicht 100 Prozent?«, wird er gefragt. Ja, das ginge doch nicht, ist die Antwort, schließlich sei zum Beispiel der Flughafen München auf einem ehemaligen Moor gebaut. »Soll München etwa seinen Airport abreißen?«
Würde man die Klimademonstrant*innen vor dem Zaun fragen, würden sie sagen: Klar, warum nicht? Keine CO2-trächtigen Flüge mehr und dafür ein intaktes Moor - das wäre fürs Klima eine echte Win-win-Situation.
Zwischen diesen Polen bewegt sich die Klimapolitik in Glasgow. Hart verhandelt wird natürlich auch. Die Nationen, die beim Klimaschutz eher zu den Bremsern zählen, reisten wie üblich mit den stärksten Delegationen an.
Die nackten Zahlen sagen zum Glück nichts über die tatsächliche Dynamik der Klimaverhandlungen in Glasgow aus. So gibt es zahlreiche Wissenschaftsnetzwerke, die ihr Auftreten in ihren nationalen Delegationen abstimmen. Und es gibt mehrere tausend zivilgesellschaftliche Beobachter, die ihrerseits Medien und Politik informieren. So ein Klimagipfel ist nicht nur einmalig groß und mächtig, sondern auch unberechenbar lebendig.
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