- Anzeige -
nd Soliaktion 2024/25
- Anzeige -
nd Soliaktion 2024/25
  • Politik
  • Schwangerschaftsabbrüche

Polnische Aktivistin strafrechtlich verfolgt

Der polnische Staat verfolgt ein Mitglied des Kollektivs »Abortion Dream Team« strafrechtlich. Es hatte über Abtreibungen informiert

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass im Süden Polens eine Frau gestorben ist, weil ihr das Krankenhaus eine lebensrettende Abtreibung verwehrte. Dies löste im ganzen Land eine Welle von Demonstrationen gegen die strengen Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch aus. Wie ist die Situation momentan?

Vergangenes Wochenende hatten wir eine große Demonstration in Warschau. Die Menschen sind auf die Straße gegangen, um ihre Trauer und ihre Wut auszudrücken. Dieser Tod wird mit einem Hashtag unterstrichen: nicht eine mehr, inspiriert von »Ni Una Menos«-Kampagnen in Lateinamerika. Es geht um systemische Gewalt gegen Frauen und den fehlenden Zugang zu Abtreibungen. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs 2020, welches das Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter verschärfte, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Denn die gesetzlichen Beschränkungen ändern nichts an der Bedürftigkeit von Menschen. Der Zugang zu Abtreibungen ist eingeschränkt, doch das bedeutet nicht, dass Menschen weniger Abtreibungen brauchen. Die geänderten Gesetze bringen jedoch mehr Stigmatisierung, mehr Einschränkungen für die Ärzte und weniger sichere Möglichkeiten. Es führt dazu, dass Menschen getötet werden. Und genau das ist bei Isabella leider passiert. So tragisch es klingt, aber dieser Fall war zu erwarten.

Kinga Jelińska
Kinga Jelińska (2.v.r.) mit dem Abortion Dream Team

Kinga Jelińska ist Mitbegründerin und Mitglied des polnischen  Kollektivs Aborcyjny Dream Team. Die Initiative betreut ungewollt Schwangere bei Abtreibungen und informiert darüber.

Rechte polnische Medien haben berichtet, dass ein Mitglied Ihres Kollektivs vom polnischen Staat wegen des Verkaufs von Abtreibungspillen und der Unterstützung anderer bei der Abtreibung strafrechtlich verfolgt wird. Stimmt das?

Im Moment können wir noch nicht viel dazu sagen. Aber es stimmt, dass eine von uns angeklagt wurde. Wir sehen es auch als Teil der systemischen Unterdrückung und Einschränkung von Aktivismus. Aber wir werden weiterhin bei Abtreibungen unterstützen.

Wir helfen Menschen dabei, sichere Abtreibungen zu Hause durchzuführen oder informieren sie über andere Optionen. Sie besorgen sich Medikamente im Internet und wir beraten sie dabei, wie sie sie einnehmen und dabei sicher bleiben können. Wir sind auch Teil der Initiative Abtreibung ohne Grenzen, einer Kollaboration von sechs Gruppen in ganz Europa, die Menschen, die eine Abtreibung benötigen, dabei hilft, zu Kliniken im Ausland zu reisen. Sie kommen auch nach Deutschland. Als Teil der Initiative helfen wir bei der Logistik, der Übersetzung oder der Terminvereinbarung in der Klinik. Wir unterstützen auch bei den Finanzen, denn Abtreibungen können viel Geld kosten. Ein großes Hindernis für den Zugang zu medizinischer Versorgung im Ausland ist die Finanzierung. Wir sind sehr stolz auf unsere Arbeit.

Wie wirken sich das strengere Abtreibungsgesetz im Alltag aus?

Es gibt das Strafrecht und die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, einen schlechten Zugang zu Krankenhäusern und viel Stigmatisierung. Ich würde sogar sagen, Gewalt gegenüber Frauen im institutionalisierten medizinischen System. Sogar die Ärzt*innen sind unglaublich misogyn. In den Medien wurde es so dargestellt, dass Isabellas Mutter beispielsweise dachte, ihrem Kind würde nichts passieren, weil sie in einem Krankenhaus behandelt wurde. Und doch war es das Krankenhaus, das ihr Leben riskierte und nicht angemessen handelte. Natürlich war ihr Tod ein medizinischer Fehler, aber das Problem ist systemisch: Es ist feindselig, voller Verachtung und frauenfeindlich und bis heute stark in der Kultur des Patriarchats und der rechtspopulistischen Politik in Polen verwurzelt.

Aber dann gibt es auch den Aktivismus und Leute, die für Menschenrechte auf die Straße gehen. Die Aufgabe, Menschen über sichere Abtreibungen zu informieren, wird aktuell vollständig von gemeinnützigen Organisationen getragen. Wir sind von der Rolle und Funktion des Staates komplett desillusioniert.

Eine Zugangshürde mehr: Der Importstopp des Medikaments Cytotec könnte folgenreiche Konsequenzen für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben.

Wie denken Sie wird es weitergehen?

Im Moment ist der Aktivismus und die Mobilisierung in Polen sehr stark und inspirierend. Der Widerstand an der Basis nimmt zu. Feministische Netzwerke zur Unterstützung und Selbsthilfe nehmen zu. Wo Unterdrückung ist, gibt es auch viel Widerstand. Wir erfahren soviel Solidarität und Unterstützung von Menschen, die auf die Straße gehen. Auch der Diskurs um Abtreibungen ändert sich. Er geht weg von abstrakten, theoretischen, pseudoethischen Debatten über den Fötus hin zu Praktischerem. Es wird mehr über gelebte Erfahrungen in der Realität gesprochen.

Was in Polen passiert, ist in vielerlei Hinsicht ähnlich wie in Ungarn, in den Vereinigten Staaten oder in Brasilien. Wir sehen ähnliche Trends, die mit Populismus, rechter Politik, Fake News, Propaganda und Anti-Gender-Politik zu tun haben.

Warum nennt sich Ihr Kollektiv »Abtreibung Dream Team«? Was ist die Geschichte hinter dem Namen?

Es war eigentlich ein kleiner Wortwitz. Als wir vor fünf Jahren anfingen, zusammenzuarbeiten, hat eine von uns einen öffentlichen Vortrag zum Thema Abtreibungen gehalten. Und sie bezeichnete uns als Scherz als ihr Traumteam für Abtreibungen. Von Medien wurde das so aufgegriffen und seitdem nennen wir uns so.

Oft ist das derzeitige Narrativ so, dass wenn jemand ungewollt schwanger ist, eine Abtreibung etwas Schreckliches ist. Wir sind von Generation zu Generation dazu erzogen und konditioniert worden, Abtreibung in abfälligen Begriffen zu beschreiben. Aber Abtreibungen sind eine gute Sache und ein soziales Gut. Sie stehen dafür, dass Menschen eigene Entscheidungen treffen und selber wissen, was zum entsprechenden Zeitpunkt für ihr eigenes Leben das Richtige ist. Es geht wirklich um grundlegendes Vertrauen, um körperliche Autonomie.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Politik