- Politik
- Polizeigewahrsam
Warum starb Giorgos Zantiotis?
Todesfall im Wuppertaler Polizeigewahrsam beschäftigt sogar griechische Abgeordnete
Es ist ganz still am Wuppertaler Landgericht, als eine ältere Frau das Mikrofon ergreift. Sie kennt Giorgos Zantiotis, kennt seine Schwester. Ihre Worte stocken immer wieder. Über allem steht die Frage wieso der junge Mann gestorben ist. Normalerweise sei die Polizei dafür da, Menschen zu beschützen. Jetzt ist Giorgos tot und sie kann sich nicht erklären, was passiert ist. Sie fragt, und die Frage ist ehrlich und ernst gemeint, ob die Polizei den jungen Mann ermordet hat. Nach ihrer Rede schweigen Alle. Die 300 Demonstrant*innen genauso wie die Polizist*innen, die Rund um das Gericht massiv Präsenz zeigen.
Es ist eine Woche her, dass offiziell bekannt wurde, dass Giorgos Zantiotis im Polizeigewahrsam gestorben war. Fast zwei Wochen sind nun seit seinem Tod vergangen. Warum Staatsanwaltschaft und Polizei über den Todesfall nicht berichtet haben, da gibt es mittlerweile mehrere Versionen. Dem »nd« sagte der zuständige Staatsanwalt, ein »internistischer Notfall« sei »nicht medienrelevant«. Der Lokalpresse sagte er wenig später, er habe die Familie schonen wollen und den Fall deshalb nicht veröffentlicht. Auch in anderen Punkten bleiben die Aussagen des Staatsanwalts widersprüchlich. So sprach er von Alkohol und Drogen, die Giorgos konsumiert habe und die zu seinem Tod geführt hätten. Bezüglich des Alkohol ist mittlerweile jedoch bekannt, dass sein Blutalkoholwert 0,01 Promille betrug. Beim Thema Drogen gibt es widersprüchliche Erklärungen über angebliche Zeugen und einen LSD-Konsum von Giorgos Zantiotis.
Auch die Grunderklärung der Staatsanwaltschaft gerät ins Wanken. Ein Streit zwischen Giorgos und seiner Schwester Maria soll Auslöser des Polizeieinsatzes in den Morgenstunden des 1. November gewesen sein. Bei der Demonstration am Samstagabend sagte sie, »es gab keinen Streit zwischen uns«. Sie wolle nur wissen, was im Polizeigewahrsam passiert ist. Um das herauszufinden, lässt sie sich mittlerweile anwaltlich vertreten und hat Anzeige gegen die Polizist*innen gestellt, die an der Festnahme beteiligt waren. Sie vermutet, Giorgos Bauch könne »zerdrückt« worden sein.
Vor dem Wuppertaler Landgericht ergreift Maria erneut das Wort. Sie ist zum ersten Mal an dem Ort, an dem ihr Bruder gestorben ist. Die Polizei nutzt wegen Renovierungsarbeiten die Zellen des Gerichts. Die Schwester des Toten ringt mit den Worten. Aus ihrem Mund kommt immer wieder die Frage »Warum?«. Sie sagt, dass sie den Leichnam von Giorgos noch nicht gesehen hat. Und das, obwohl sein Tod fast zwei Wochen her ist.
Auch zahlreiche linke Gruppen sprachen bei der Demonstration. Dabei spannten sie einen weiten Bogen, vom NSU über Hanau, vom Fall Oury Jalloh, bis zu dem ungeklärten Todesfall in Wuppertal. Sie nannten aber auch Konkretes. Der Ort an dem Giorgos festgenommen wurde, befindet sich im Einzugsbereich einer Polizeiwache, deren Polizist*innen für brutale Einsätze bekannt seien. Auch die Praxis der Wuppertaler Staatsanwaltschaft wurde kritisiert. In den letzten Jahren starben mehrere Menschen durch Polizeischüsse. Ermittlungsverfahren gegen die Polizist*innen wurden schnell eingestellt. Im Fall von Giorgos Zantiotis wird nicht einmal gegen die Polizei ermittelt.
Der Fall Giorgos Zantiotis beschäftigt dabei nicht nur Linke in Wuppertal. In Hamburg und Frankfurt am Main gingen am Freitag ebenfalls Menschen für Aufklärung auf die Straße. Und selbst die griechische Politik diskutiert das Thema. Zu Beginn der vergangenen Woche veröffentlichte die kommunistische Partei KKE einen entsprechenden Text. Ein Europa-Abgeordneter forderte Aufklärung. Im griechischen Parlament haben Syriza-Abgeordnete eine Anfrage an den Außenminister gestellt, was er getan habe, um festzustellen, ob Gewalt durch die Polizei für den Tod verantwortlich sei. Der griechische Botschafter in Berlin forderte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) zudem auf, ihn über den Fall zu informieren.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.