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Das Pop-Zeitalter der Selbstermächtigung
Taylor Swift, Britney Spears und Co. bekommen endlich die Anerkennung, die sie verdienen. Nadia Shehadeh meint: Das ist auch ein Verdienst der Fans.
Es ist gar nicht so einfach, die Rechte an der eigenen Arbeit, die persönliche Freiheit oder seinen guten Ruf zurückzugewinnen – auch nicht für prominente und vermögende Pop-Stars. Und schon gar nicht dann, wenn sie weiblich sind. In diesem November überschlugen sich die Pop-Befreiungsschläge aber gewissermaßen: Taylor Swift triumphierte mit dem Re-Release ihrer Platte »Red«, die sie als »Taylor´s Version« nochmal neu eingespielt hatte, die Vormundschaft von Britney Spears wurde aufgehoben und Jessica Simpson konnte die vollen Namensrechte an ihrer millionenschweren Bekleidungsmarke zurückgewinnen und gab mit einem Cover von »Particles« der britischen Rockband »Nothing but Thieves« ein solides Gesangscomeback. Außerdem kündigte Lindsay Lohan, die in den letzten Jahren weniger durch schauspielerische Aktivitäten, sondern eher mit persönlichen Problemen und Skandalen Schlagzeilen machte, bei Instagram sehr aufgeräumt ihr Film-Comeback an.
Die Fans weltweit drehten bei all diesen Ereignissen erstmal frei: Swift knallte direkt in die Charts rein, für Spears wurden spontane Freuden-Demos abgehalten und Simpson generierte für ihren Namenstriumph und ihren neuen Song hunderttausende Likes auf Instagram und YouTube. Die Rückkehr von Lohan auf die Fernsehbildschirme wurde gewissermaßen als kleines achtes Weltwunder gehandelt. Schnell wartete das Internet mit Memes auf, in denen die Stars mal einzeln, mal gemeinsam für ihren Sieg und/oder Durchbruch gefeiert wurden. Die gerade frisch verheiratete Paris Hilton, die in diesem Jahr mit einer unterhaltsamen Koch-Show bei Netflix brillierte, wurde ebenfalls in den Reigen mit aufgenommen.
Fans erinnerten sich dabei an die eher unrühmlichen Zeiten, in denen ihre Idole ordentlich Federn lassen mussten, da sie eigentlich von niemandem – außer den Fans – ernst genommen oder gefeiert wurden. Der Triumph der Vorbilder wurde dabei in diesen Tagen auch zu ihrem Triumph, denn sie als Anhänger*innen wurden lange Zeit verachtet, frei nach dem Motto: Wer diese Künstlerinnen bewundert, muss eine Hohlbirne ohne nennenswerte Ahnung von Musik- und Filmkultur sein. Und das passiert – zufälligerweise oder auch nicht – immer dann, wenn die Anhänger*innschaft von Künstler*innen vorwiegend weiblich oder queer ist.
Natürlich fielen die neuerlichen Entwicklungen nicht vom Himmel: Im Fall von Spears, deren Vormundschaft bis zuletzt ihrem Vater übertragen war, gab es seit langem eine überwiegend solidarische Berichterstattung. Etwa in Form der Dokumentation »Framing Britney Spears«, durch den Support von Fan-Initiativen wie die Hashtag-Kampagne #freeBritney und nach vielen Jahren der Verkennung bis Verachtung auch erste Ansätze, das musikalische Erbe und Talent von Spears zu würdigen.
Free Britney. Cancel Manson. Wir haben lange, viel zu lange in einer Welt gelebt, in der Pop-Musikerinnen belächelt und Macker gefeiert werden, findet Nadia Shehadeh
Swift hingegen hatte schon 2019 angekündigt, wegen eines Streits um die Rechte von Songs sechs ihrer Alben neu aufzunehmen. Hintergrund war der Aufkauf von Swifts früherem Musiklabel Big Machine Records – und damit ihren Master-Aufnahmen. Fans jubelten damals über diese Pläne, während einige Musikkritiker*innen und Künstler-kolleg*innen seinerzeit die Pläne belächelten. »Zu teuer und zu aufwändig«, urteilte Glenn Tilbrook, der Frontman der Band Squeeze, in jenem Jahr im US-amerikanischen Musikmagazin Rolling Stone. Er lieferte damals ein eher süffisantes Experten-Stelldichein zu Swifts Plänen in Artikelform.
Heute, zwei neue Alben (»Folklore« und »Evermore«), zwei Re-recordings (»Fearless« und »Red«), eine Dokumentation (»Miss Americana«) und einen Grammy (Album des Jahres) später, wird in weiten Teilen nicht nur die Schaffenskraft Swifts gelobt, sondern auch anerkannt, dass sie eine sehr gute Songwriterin ist. Das wiederum ist eine starke Entwicklung, wenn man bedenkt, dass es auch Jahre gab, in denen Swift mehr Beachtung für ihre romantischen Beziehungen erhielt und den Umstand, dass sie 2009 von Kanye West bei den MTV Video Music Awards provoziert wurde. Der über 20 Jahre alte Hit »Stronger« von Britney Spears wiederum fand just in diesen Tagen den Weg zurück in die Top 50 der iTunes-Charts – den alten und den neuen Fans sei Dank.
Es waren wilde Tage im Pop-Universum und Fans quittierten den erneuten Erfolg ihrer Millenial-Vorbilder mit dem Spruch, der mittlerweile selbst ein Meme der Pandemie geworden ist: »Nature is healing«. Und es wird am Ende nicht nur ein Verdienst der MeToo-Bewegung sein, der zur Neubewertung der professionellen und beruflichen Situation und dem Revival der ehemaligen Teenie-Idole wie Swift, Spears und Co. geführt hat, sondern besonders der sozialen Bewegungen, die vor allem weibliche und queere Fans in den sozialen Medien anführten. Diese schwappten irgendwann über in den weltweiten medialen Diskurs, mit einer massiven Berichterstattung zum Beispiel über #freeBritney und diversen Artikeln (vor allem im US-amerikanischen Raum), die erklärten, warum es an der Zeit sei, sich beispielsweise bei Paris Hilton und Jessica Simpson zu entschuldigen.
Die Selbstermächtigungserfolge zeigen vor allem eins: Wer denkt, dass die unfairen Stempel, die einigen Künstlerinnen unrühmlich aus sexistischen und anderen Gründen vor zehn, fünfzehn Jahren, verpasst wurden, nicht wegzukriegen sind, der hat die Rechnung ohne die Fans gemacht.
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