- Kommentare
- Vierte Corona-Welle
Wo sind die Schauspieler?
Andreas Koristka vermisst in der vierten Corona-Welle den unnachahmlichen Esprit von #allesdichtmachen
Ein dunkler Herbst hat sich über das Land gelegt. Die Krankenhäuser sind wieder voll und der nächste Lockdown ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Man darf gespannt sein, wann Schulen und Kindergärten geschlossen werden. Werden sie im Januar wieder öffnen oder doch erst im Juni? Werden die Großeltern die vierte Welle überleben oder der ungeimpfte Erzieher der Schmetterlingsgruppe? Das sind so Fragen, die nun auch schon egal sind. Man richtet sich wieder das Homeoffice ein, legt die Hosen zusammen, verstaut sie im ordentlich Kleiderschrank und seufzt bei dem Gedanken daran, wann man sie das nächste Mal anziehen wird und ob sie dann noch passen werden.
Schwermut und Resignation sind förmlich greifbar. Deshalb wäre es jetzt besonders wichtig, dass sich erneut jene zu Wort melden, die uns vor wenigen Monaten mit ihrem Witz und ihrer beißenden Ironie so wunderbar zum Lachen gebracht haben. Warum ist es so still geworden um die Schauspieler-Initiative von #allesdichtmachen? Wir könnten jetzt deftige Fröhlichkeit so dringend gebrauchen! Erinnert sei nur an Richy Müllers Zwei-Tüten-Atmung! Das war doch ulkig und schweinekomisch! Tritt der Mann noch damit auf? Er sollte es jedenfalls.
Andreas Koristka
ist Redakteur des Satiremagazins »Eulenspiegel«.
Wir brauchen jetzt den künstlerischen Esprit von Richy Müller, Jan Josef Liefers und Co. Und wir brauchen ihre vortrefflichen Analysen. Die Schauspieler sollten jetzt aktiv werden und zur Zerstreuung der Patienten und des Personals vor Ort auf den Intensivstationen ihre unterhaltsamen Laienvorträge zum Freiheitsbegriff in Zeiten der Pandemie halten. Man kann sich den Applaus dort richtig vorstellen, wenn der Punkt erörtert wird, dass das Grundgesetz freiheitsbeschränkende Maßnahmen für Schauspieler ganz bewusst ausschließt, um ihnen unbeschwerte Restaurantbesuche zu ermöglichen.
Aber die Schauspieler sollten auch zu anderen Fragen Stellung beziehen. Was hält Liefers vom Einsatz von Pferde-Entwurmungsmitteln im Kampf gegen Corona? Nimmt er sie selbst ein? Helfen sie auch gegen Würmer? Wie viel Entwurmungsmittel kann er an einem Abend schlucken, ohne am nächsten Morgen einen Kater zu haben oder laut vernehmlich zu wiehern? Als Universalgelehrter kann er sicherlich auch die Frage beantworten, ob Mund-Nase-Bedeckungen eher schaden als nützen und ob man die lose Getriebeaufhängung an einem VW Caddy III (Baujahr 2009) wirklich erneuern lassen muss, nur weil der TÜV-Prüfer sie beanstandet hat.
Aber auch Til Schweiger könnte uns ein bisschen ablenken. Die Rolle des besorgten Vaters, dem die Tränen kommen, weil unschuldige Kinder geimpft werden, war die schauspielerisch beste deutsche Leistung seit der Glaubhaftmachung von Olaf Scholz’ Erinnerungslücken im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. Mehr davon! Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da die Leute Halt brauchen. Wenn die Fallzahlen wieder zurückgehen, ist es einfach, Späßchen zu machen. Jetzt aber sind die wahren Charakterschauspieler gefordert, die auch dann zu ihrer Meinung stehen, wenn sie langsam unpopulärer wird. Man kann nicht mehr geimpft werden, wenn man künstlich beatmet wird, aber ein paar unfundierte Corona-Einlassungen von Volker Bruch könnten einige letzte Reserven bei dem einen oder anderen Moribunden freisetzen.
Leute, Schauspielerinnen und Schauspieler, wir brauchen euch jetzt! Der Lockdown kann lang und zäh werden wie ein Münster-»Tatort«. Ihr könnt jetzt dazu beitragen, dass er ein bisschen lustiger, erträglicher und schöner wird. Die Zeit wird verfliegen, wenn es ein paar witzige Videos mehr auf Youtube gibt. Genau jetzt ist der beste Zeitpunkt für #allesdichtmachen2!
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!