• Berlin
  • Alternativen zu profitorientiertem Gesundheitswesen

Mehr Investitionen, mehr Luft

Die Berliner Krankenhausbewegung fordert mehr Geld für die Krankenhäuser

  • Marie Hecht
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor den Wahlen hat das Bündnis Berliner Krankenhausbewegung mit Streiks großen Druck aufgebaut. Nun gibt es unter anderem neue Tarifverträge. Damit scheint politisch alles geklärt. Aber die Notlage in den Kliniken besteht weiterhin. Was muss sich langfristig ändern?

Im Moment ist der kritische Faktor das Personal, vor allem in der Pflege, aber auch in der Geburtshilfe. Das ist seit Jahren so und nicht erst seit der Berliner Krankenhausbewegung. Der in Aussicht stehende Entlastungstarifvertrag ist sehr gut. Ihn umzusetzen wird ein langer Weg und ein weiterer Kampf. Dass es für die Vivantes-Töchter eine deutliche Entgelt-Erhöhung und das Ziel gibt, sich schrittweise dem Tarif des Öffentlichen Dienstes anzunähern, ist zu begrüßen. Eigentlich müssen die Tochterunternehmen in die Mutterkonzerne der Krankenhäuser zurück überführt werden.

Julia Dück
Als Referentin für soziale Infrastruktur und verbindende Klassenpolitik arbeitet Julia Dück bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Über den Berliner Krankenhausstreik und Alternativen zu einem profitorientierten Gesundheitswesen sprach mit ihr für »nd« Marie Hecht.

Ist das eine Forderung an den Senat?

Der Senat muss jetzt erst einmal dafür sorgen, dass die Kliniken genug Geld haben für die Refinanzierung der Tarifverträge. Aber die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland funktioniert nach einem dualen System. Das heißt, ein Teil wird bundesweit geregelt über die Fallpauschalen. Dieses System setzt Krankenhäuser in Konkurrenz zueinander und unter Kostendruck. Das führt dazu, dass vor allen Dingen öffentliche Krankenhäuser rote Zahlen schreiben. Wenn sie dann einen guten Tarifvertrag beschließen, der gegebenenfalls auch mehr Kosten für das Klinikum bedeutet, stellt dieser Vorgang ein wirtschaftliches Risiko dar.

Warum sind die Pauschalen ein Problem?

Weil es ein Finanzierungssystem nach Pauschalen ist und nicht nach real entstandenen Kosten. Darin sind nicht alle Behandlungen gleichermaßen refinanziert. Es gibt lukrative Behandlungen, es gibt weniger lukrative Behandlungen. Öffentliche Krankenhäuser, vor allen Dingen die Maximalversorger, können sich nicht aussuchen, dass sie sich zum Beispiel nur auf die lukrativen Knie-OPs konzentrieren. Sie müssen auch die »unlukrativen« Bereiche wie die Notfallversorgung oder eben Geburtsstationen und Kinderstationen bereithalten. Das heißt, sie sind strukturell gegenüber privaten Kliniken und Spezialkliniken im Nachteil. Wenn sie dann noch einen Tarifvertrag abschließen, sind sie doppelt im Nachteil. Man kann dieses Problem nicht auf Landesebene lösen, es ist ein bundesweites. Aber im Sondierungspapier der zukünftigen Ampel-Koalition auf Bundesebene ist keine deutliche Abkehr vom Finanzierungsmodell zu finden.

Es gibt keinen Weg auf Landesebene, um diese Situation zu ändern?

Eine Handlungsoption ist die Erhöhung der Investitionsmittel - der andere Strang der Finanzierung der Krankenhäuser. Die Berliner Krankenhausgesellschaft weist einen Investitionsbedarf von 350 Millionen jährlich aus. Da sind wir in Berlin bei weitem noch nicht angekommen. Werden die Investitionen erhöht, gibt man den Krankenhäusern mehr Luft, um auch die Tarifverträge entsprechend refinanzieren zu können.

Was gäbe es außer der Abschaffung der Fallpauschalen noch für Möglichkeiten, die Profitorientierung im Gesundheitswesen zu verringern?

Es braucht einerseits eine kostendeckende Finanzierung. Man sieht in der Coronakrise: Krankenhäuser sagen nur widerwillig geplante Operationen ab, weil ihnen dadurch Erlöse entgehen und die Behandlung von Covid-Patient*innen ebenfalls ein wirtschaftlicher Verlust ist. Betriebswirtschaftlich ist das nachvollziehbar, gesellschaftlich ist das fatal. Das andere ist: Private Krankenhausbetreiber haben in einem Gesundheitssystem nichts verloren, die Gründe habe ich genannt. Das heißt, wir brauchen ein öffentliches, demokratisches, ausfinanziertes, geschlechtergerechtes Gesundheitswesen. Wir müssen neben der Finanzierung an die Frage ran: Wem gehört das Gesundheitswesen?

Wem gehört denn aus Ihrer Sicht das Gesundheitswesen?

Zur Zeit wird gesetzlich eine Trägervielfalt garantiert. Das bedeutet, es gibt sowohl öffentliche Häuser, private Häuser oder frei gemeinnützige, meist kirchliche Träger. Die Profitausschüttung im Gesundheitswesen abzuschaffen, also ein Gewinnverbot zu erlassen, wäre eine Voraussetzung für eine wirkliche Bedarfsplanung der Krankenhausversorgung. Erst dann kann man erheben: Wie viele Gesundheitsleistungen brauchen wir eigentlich und gibt es genug Kapazitäten?

Welches Signal kann für dieses Vorhaben von Berlin ausgehen?

Die Berliner Regierung hat in der letzten Legislaturperiode angekündigt, sich auf Bundesebene für die Abschaffung der Fallpauschalen einzusetzen und eine Bundesratsinitiative angekündigt. Die hat es nicht gegeben. Das wäre ein Instrument. Wer auch immer der oder die neue Gesundheitssenator*in wird, hat hier eine wichtige Aufgabe vor sich. Dann ist zu klären: Wie hoch werden die Investitionen des Landes sein und reicht das aus? Wir werden kritisch darauf schauen und uns beizeiten dazu äußern.

Teilen Sie den Eindruck, dass die Berliner Krankenhausbewegung sehr groß geworden ist? Ein Bewegungs-Mix, weil es viele prekäre Arbeitsbereiche gibt?

Das teile ich. Es ging auch darum, die Mieten-Frage mit der Frage nach der Gesundheitsversorgung zu verbinden. Die Krankenhausbewegung stand klar an der Seite von Deutsche Wohnen & Co enteignen und der Forderung nach einem Volksentscheid. Auch Pflegekräfte, Beschäftigte in den Reinigungsunternehmen und den vielen anderen Tochterunternehmen von Vivantes müssen Miete zahlen und auch sie leiden darunter, wenn die zu hoch ist. Andersherum können Mieter*innen Patient*innen werden und sind darauf angewiesen, dass es eine gute Gesundheitsversorgung gibt. Ähnlich ist es mit der Auseinandersetzung, die gerade von den Gorilla-Riders geführt wird. Auch sie erkennen sich wieder in den prekären Beschäftigungsverhältnissen der anderen. Im besten Fall führt das dazu, dass man Seite an Seite und nicht gegeneinander kämpft. Es gibt also eine solidarische Bezugnahme aufeinander und einen gemeinsamen kritischen Blick darauf, was politisch jetzt kommt.

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