Diesel behalten ihren Bonus

Ampel-Koalition streitet schon vor Regierungsantritt um Klimamaßnahmen im Verkehr

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Was hilft gegen hohe Benzin- und Dieselpreise? So makaber es klingt: Am schnellsten würde ein neuer bundesweiter Lockdown helfen. Schon die laufenden Anti-Corona-Maßnahmen schränkten zuletzt die Mobilität auch grenzüberschreitend ein. Eine Folge: Die Kraftstoffpreise an den deutschen Tankstellen gingen seit ihrem Höhepunkt Mitte November im Schnitt um vier Cent bei Benzin und um knapp drei Cent bei Diesel zurück. Für Autofahrer dürfte das nur ein schwacher Trost sein. Denn verglichen mit dem Herbst 2020 kostet der Liter Sprit derzeit in der Regel um die 50 Cent mehr.

Teures Tanken ist im Autoland Deutschland ein Politikum ersten Ranges. So überraschte es wenig, dass der designierte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in einer Boulevardzeitung vor zusätzlichen Belastungen für Diesel-Nutzer warnte. Die FDP werde dafür Sorge tragen, dass höhere Energiesteuern auf Dieselkraftstoffe durch geringere Kfz-Steuern ausgeglichen werden, gab Wissing zu verstehen. Besonderes Augenmerk gelte den kleinen Unternehmen, die auf Dieselfahrzeuge noch angewiesen seien. Für seinen Vorstoß erntete Wissing viel Kritik. Eine Senkung der Kfz-Steuer gebe der Koalitionsvertrag nicht her, fuhr Grünen-Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar Wissing in die Parade.

Das Problem ist allerdings: Was der Koalitionsvertrag in punkto Kfz-Steuer hergibt, ist noch vor dessen Absegnung durch die drei Parteien ziemlich unklar. An der entscheidenden Stelle heißt es nach der Zwischenüberschrift »Subventionen«: Mit der Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie, die unter anderem die steuerliche Angleichung von Diesel und Benzin vorsieht, werde man die Behandlung von Dieselfahrzeugen in der Kfz-Steuer »überprüfen«. Dabei wird Diesel bisher um rund acht Cent je Liter geringer als Benzin besteuert. Dieses Diesel-Privileg kostet nicht nur die Steuerzahler etliche Milliarden Euro, es ist auch umwelt- und klimapolitisch ein Anachronismus.

Bei der Kfz-Steuer sind Dieselfahrzeuge dagegen etwas schlechter gestellt als Benziner. Damit werden die Vorteile, die das Diesel-Privileg bietet, zwar längst nicht ausgeglichen, aber schon der ungelenke Versuch im Koalitionsvertrag, den Diesel fiskalisch zu beschneiden, ruft hierzulande die geballte Autolobby auf den Plan. Überhaupt gilt der Verkehr als einer der im Koalitionsvertrag am schlechtesten verhandelten Bereiche. Und dann überließen die Grünen das Ressort auch noch der FDP.

Das sind keine guten Voraussetzungen für den überfälligen Kurswechsel. In den letzten 30 Jahren hat der Verkehr in Deutschland seine CO2-Emissionen so gut wie gar nicht gesenkt. Nun sei es zu einer Herkulesaufgabe geworden, die Emissionen bis 2030 zu halbieren, wie es das geltende Klimaschutzgesetz vorschreibt, warnt Christian Hochfeld, Direktor des Thinktanks Agora Verkehrswende. Wie andere Experten sieht Hochfeld die nächsten vier Jahre als entscheidend an. Die neue Bundesregierung sei die letzte, die noch die Ausfahrt in Richtung Mobilitätswende nehmen könne. »Entweder wird sie in den kommenden vier Jahren die Verkehrswende einleiten und umsetzen - oder es wird zu spät sein für die Klimaziele 2030 und auch für die Klimaneutralität 2045«, sagt Hochfeld.

Bei der dafür nötigen Reform der Kraftfahrzeugsteuer verortet der Agora-Chef die »größte Leerstelle« im Koalitionspapier. Mit dem Verzicht auf die Einführung eines Bonus-Malus-Systems falle die Ampel-Koalition sogar hinter das Klimapaket der alten Bundesregierung zurück, kritisiert er. Zur Erinnerung: Im September 2019 hatte die große Koalition ihr Klimapaket beschlossen. Die Kfz-Steuer sollte sich demnach stärker an den CO2-Emissionen orientieren. Elektroautos sollten bis 2025 von der Steuer ausgenommen werden.

Die Grünen hatten 2020 als Oppositionspartei in einem Antrag selbst gefordert, die Kaufprämie für E-Fahrzeuge durch ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer zu ersetzen. Vollelektrischen Fahrzeugen war eine Gutschrift zugedacht, Spritschluckern eine stärkere Beteiligung an ihren ökologischen Kosten. Mit so einem Bonus-Malus-System ließen sich, wie Hochfeld erläutert, mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen werde eine Lenkungswirkung in Richtung Elektromobilität erzeugt, zum anderen werde die Förderung der E-Fahrzeuge dann aus dem System selbst finanziert - und nicht wie heute über Steuern. »Damit würde man verhindern, dass die Kassiererin im Supermarkt oder die Krankenschwester all das mitfinanziert«, warb der Agora-Chef auch mit sozialen Argumenten für die Reform der Kfz-Steuer. Dazu wird es in absehbarer Zeit nun aber nicht kommen.

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