Der unbestechliche Blick zurück

»Der Besuch der Mutter«: Joochen Laabs erzählt von der späten DDR bis zu frühen Vereinigungsprozeduren

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Germanist namens Fritz arbeitet an der Universität in Iowa. Er lädt den Ich-Erzähler zu Vorträgen über DDR-Literatur ein - 1985 ein seltener Glücksumstand. Dieser ermöglichte ihm einen Blick über den Tellerrand der kleinen Republik, ein Stück Weltkenntnis. Dass 1989 alles anders kommen sollte, ahnte damals niemand. Und eines Tages besucht ihn dieser Fritz in Berlin, der Hauptstadt des vereinigten Landes. So schließt sich ein Kreis.

Inzwischen war eine Welt in die Brüche gegangen. Solche Daten, dazwischen jede Menge Zufälle und Grunderfahrungen, schaffen für das Leben des Ich-Erzählers den Rahmen, der unversehens eine veritable Autobiografie in kurzer, konzentrierter Form bildet: die Erzählung »Historische Eckpfeiler«. Sein Stoff, heißt es im Namen des Autors, »war die Befindlichkeit, der schwer zu fassende innere Zustand des Einzelnen in der Umklammerung der äußeren Umstände«. Das meint die Existenz seiner Figuren und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Joochen Laabs, Jahrgang 1937, Lyriker und Erzähler, hat hier einen kleinen, feinen Prosaband veröffentlicht. Die Titelerzählung »Der Besuch der Mutter« sowie sieben weitere Texte leuchten noch einmal tief in die Geschichte der DDR und fragen danach, wie man damals gelebt hat. Das sind lauter doppelbödige Geschichten, die einem ein nachdenkliches, erhellendes, immer aber zustimmendes Schmunzeln ins Gesicht zaubern. Was zuweilen anmutet wie banale Alltagsepisoden, entpuppt sich mehr als einmal als makabre Situationsschilderung, ebenso wahrhaftig wie voller Witz.

So zeigen die Geschichten »Ich fühle mich wohl in meinen vier Wänden« oder »Der Karton« als hintergründige Bestandsaufnahmen eines »normalen« Lebens die Flucht vor der Realität ins Innere, weil eine Flucht nach außen sich verbietet. Solch ein Rückzug, die eigene Behausung galt vielen als sicheres Refugium, aber um den Preis der absoluten Isolation. In die kleine, überschaubare private Welt der Figuren tritt die große von außen ein und macht diffuse Gefahren sichtbar: »Obwohl es kein Anzeichen gibt, glaube ich plötzlich zu wissen, dass etwas Furchtbares geschehen ist.«

Der Erzähler seziert gewissermaßen seine Gegenwart, klopft die Dinge ab, bis sie ihren verborgenen Sinn offenbaren: die Zwänge, in die sich seine Figuren oft genug gestellt sehen. So entstehen schöne bitter-scharfe Satiren auf das Wechselerlebnis von der späten DDR zu den frühen Vereinigungsprozeduren, mit ABM-Stellen, der Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen und vor allem von realer Lebenserfahrung. Sollte alles plötzlich nichts mehr gelten? »Obwohl ich Unerschrockenheit zeigen will, gerate ich an die Wand«, heißt es einmal vieldeutig.

Das ist der große Vorzug der Geschichten von Joochen Laabs: Er ist ein unbestechlicher Erzähler, der sich kein X für ein U vormachen lässt, zudem ein akribischer Spracharbeiter, der die Worte so genau setzt, dass eine unverstellte neue Wirklichkeit entsteht.

Und zum Glück kann man bei den hier versammelten Texten auch entspannt lachen - manchmal allerdings bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Namentlich »Das Lächeln des Siegers«, der Abschlusstext des Bandes, ist ein solches satirisches Understatement, eine böse, desillusionierte Zustandsbeschreibung, ohne Larmoyanz, aber auch ohne Hoffnung, dass in Zukunft schon alles besser werde. Mit solchen Beschwichtigungen betrügt sich die Ich-Erzählerfigur nicht, das hat sie gewiss hinter sich.

Das Lebensgefühl der Ostdeutschen, in der DDR und kurz nach der Wende, bildet den Grunddiskurs all dieser Geschichten. Manche Alltagsdetails sieht man in dieser Rückschau wie zum ersten Mal, überdeutlich und sehr bewusst.

Jetzt, gute 30 Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung, scheint der richtige Moment gekommen zu sein, noch einmal genau hinzuschauen und zu fragen, wie es wirklich gewesen ist. Joochen Laabs, der von 1993 bis 1998 Generalsekretär des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) war und von 1998 bis 2001 Vizepräsident des PEN-Zentrums Deutschland, weiß mit Sicherheit, wovon er spricht.

Joochen Laabs: Der Besuch der Mutter. Berliner Geschichten, Quintus-Verlag, 128 S., geb. 18 €.

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