Und die Impfpflicht kommt doch

Bund und Länder geben grünes Licht

Sehr früh hatte sich die Politik in der Covid-19-Pandemie hierzulande festgelegt: »Es wird keine Impfpflicht geben.« Wörtlich oder in Variationen war dieses Bekenntnis eine Konstante - über alle Wellenberge und -täler hinweg, bis zuletzt. Noch als Österreich am 19. November eine Impfpflicht ab Februar nächsten Jahres beschlossen hatte, hieß es als Reaktion darauf in Bezug auf Deutschland etwa vom geschäftsführenden Außenminister Heiko Maas (SPD): »Die wird’s nicht geben.«

Knapp zwei Wochen später lässt sich feststellen: Die wird’s (wohl) doch geben. Insbesondere das dramatische Infektionsgeschehen, das das Gesundheitssystem zusehends an die Grenze der Belastbarkeit bringt - Warnungen vor einem Kollabieren machen bereits die Runde -, und vor allem die Aussicht auf eine fünfte und weitere Wellen, unter Umständen auch mit der neuen »besorgniserregenden« Omikron-Variante, dürften bei vielen Politiker*innen zu einem Umdenken in Sachen Impfpflicht geführt haben.

Die am Donnerstag bei den Bund-Länder-künftiger-Kanzler-Beratungen nach vorangegangenen entsprechenden Einlassungen ihren bisher handfestesten Ausdruck fand. In den Beschlüssen der Runde heißt es: »Der Bund wird eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte auf den Weg bringen, z. B. in Altenpflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.« Und: »Bund und Länder begrüßen es, dass der Deutsche Bundestag zeitnah über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden will. Sie kann greifen, sobald sichergestellt werden kann, dass alle zu Impfenden auch zeitnah geimpft werden können, also etwa ab Februar 2022. Bund und Länder bitten den Ethikrat, hierzu bis Jahresende eine Empfehlung zu erarbeiten.«

Eingeführt sind eine zunächst einrichtungsbezogene und dann allgemeine Impflicht damit zwar noch lange nicht, die Entscheidung mindestens über eine allgemeine Regelung wird dem Bundestag obliegen. Und bis dahin wird eine, vorsichtig ausgedrückt, rege Debatte Politik und Öffentlichkeit beschäftigen. Doch Tatsache ist, dass die Ministerpräsident*innen, die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr designierter Nachfolger Olaf Scholz (SPD) sich offiziell zur Impfpflicht bekennen - ein wichtiger symbolischer Schritt, mit dem die bis vor Kurzem vorgetragenen Beteuerungen, es werde keine Impfpflicht geben, nun für erledigt erklärt werden.

Geschehen konnte dies nun so schnell wohl auch, weil die Verantwortlichen enormen Rückhalt für eine Impfpflicht-Einführung genießen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, die Gesellschaft für Virologie und die Deutsche Gesellschaft für Immunologie, Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die großen Sozial- und Wohlfahrtsverbände und viele weitere Organisationen und Verbände forderten und befürworteten in den letzten Tagen eine Impfpflicht oder zeigten sich mindestens offen für deren Einführung.

Am Donnerstag etwa war es der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der sich für die Impfpflicht stark machte. »Alle bisher ergriffenen Maßnahmen haben offensichtlich zu keiner nachhaltigen Bewältigung der pandemischen Lage geführt und unsere Gesellschaft droht in dem ständigen Auf und Ab von Infektionswellen und Gegenmaßnahmen zu zerbrechen«, erklärte der ASB-Bundesvorsitzende Knut Fleckenstein. Die soziale Verantwortung, die der ASB als seine Mission betrachte, so Fleckenstein, mache »in der gegenwärtigen Situation eine Impfpflicht für alle in diesem Land lebenden Menschen als letztes Mittel erforderlich«.

Und auch in der Bevölkerung gibt es zumindest Umfragen zufolge eine Mehrheit, die sich für eine Impfpflicht ausspricht. Laut dem am Dienstag veröffentlichten »Trendbarometer« von RTL und ntv waren 71 Prozent der Befragten für die Maßnahme und 26 Prozent dagegen.

Nachdem nun also grundsätzlich geklärt zu sein scheint, dass es eine Impfpflicht geben soll, werden sich die jetzt folgenden Debatten nicht mehr um das Ob, sondern verwiegend um das Wie und die konkrete Ausgestaltung drehen. Denn offene Fragen dazu gibt es zuhauf. Etwa: Wie kann die Impfpflicht kontrolliert werden, welche Konsequenzen drohen Menschen, die sich weiterhin nicht impfen lassen, wer impft die Menschen wo und wer zahlt dafür?

Auf die Schwierigkeiten gerade bei letzterem machte am Donnerstag die Deutsche Stiftung Patientenschutz aufmerksam. »Bisher sagt die Politik nicht, wie das finanziell, logistisch und personell gestemmt wird«, erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Es brauchte dann eine Infrastruktur, die allein 2022 halbjährlich Impfungen für Millionen Menschen gewährleiste, erläuterte er mit Blick auf mögliche Auffrischungsimpfungen. Für Brysch sei es lebensfremd zu glauben, die Hausärzte könnten das zusätzlich leisten. »Schon jetzt laufen die niedergelassenen Ärzte mit ihrem Impfangebot heiß«, so Brysch. Ohne den Aufbau von mindestens 400 Impfzentren werde es nicht gehen.

Diskussionen wird es wohl auch darüber geben, ab welchem Alter eine allgemeine Impfpflicht gelten sollte. Ab 18 Jahre oder auch schon für Kinder ab zwölf? Letztere Option brachte bereits am Mittwochabend der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder ins Spiel. »Das muss man diskutieren«, erklärte Söder dazu im Bayerischen Rundfunk. »Generell wäre es natürlich gut, wenn die Impfpflicht zumindest bei denen, bei denen der Impfstoff schon erprobt ist - ab zwölf -, auch stattfinden würde«, so Söder.

Bis die Impfpflicht, ob einrichtungsbezogen oder allgemein, nun also tatsächlich greifen wird, ist es eher noch ein weiterer als kürzerer Weg. Aufgemacht aber hat sich die Politik nun.

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