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Scholz und Anti-Scholz
Der nächste Bundeskanzler überraschte immer wieder durch seine Fähigkeit zum Kurswechsel
Monatelang lautete die Frage an Olaf Scholz, wie er, wie die SPD die Bundestagswahl gewinnen wolle. Diese Frage schien unbeantwortbar. Die SPD konnte die Wahl nicht gewinnen, das konnte sie nie, seit Gerhard Schröder vom Gipfel der Macht in den Abgrund fiel, den er selbst bereitet hatte. Wahltechnisch gesehen. Nun ist das Wunder geschehen, und die SPD hat die Wahl gewonnen, wenngleich mit gerade mal 25,7 Prozentpunkten.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Vergessen sind damit die Debatten, ob Scholz der richtige Kanzlerkandidat sei. Ob überhaupt einer nötig sei, angesichts von Umfragewerten, die im Juni unterhalb der 15 Prozent lagen. Scholz wurde Kandidat, sprach fortan von sich als dem künftigen Bundeskanzler und wendete die bereits befürchtete Verzwergung der SPD ab. Nun lautet die Frage nicht mehr, ob er dieses Land regieren wird, sondern wie.
Vertreter der unsozialen Agendareformen und Kandidat einer neu nach links ausgerichteten SPD
In der kommenden Woche werden er und die Minister seiner neuen Regierung im Bundestag gewählt und vereidigt. Was haben die Menschen dieses Landes von ihm zu erwarten? Was von der SPD? Diese hat ihren Wahlerfolg zu guten Teilen ihm zu verdanken, das zeigten die Befragungen. Aber auch ihrem veränderten Kurs, der unter dem Einfluss einer neuen Parteiführung einige Grad nach links verschoben ist. Der pragmatische Olaf Scholz, Vertreter der unsozialen Agendareformen der 2000er Jahre war damit Kandidat einer neu nach links ausgerichteten SPD. Welcher Olaf Scholz wird Kanzler Scholz sein? Der Mann war schon Parteifunktionär, Landes- und Bundesminister, Regierungschef. Eines war er nicht: leicht zu durchschauen.
Ruhig und gelassen hat er die Umwälzung des Landes zu seiner neuen Mission erklärt. Klima, soziale Zerrissenheit, Coronapandemie: mal eben schnell die Welt retten. Eine rot-grün-gelbe Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene ist überdies ein Novum, ein Experiment. Und Olaf Scholz der Laborchef. Beinahe seltsam: Seit über 20 Jahren macht dieser Mann an sichtbarer Stelle Politik - trotzdem ist kaum vorauszusagen, was in den kommenden vier Jahren von ihm zu erwarten sein wird.
Der passende Kanzler für ein Ampelbündnis
Man kann durchaus von einem passenden Bundeskanzler dieser Dreifarbenkoalition sprechen. Denn es grenzt an die Fähigkeiten eines politischen Chamäleons, was Scholz in seinem politischen Leben an Wandlungsfähigkeit gezeigt hat. Scholz, dessen einzige sichtbare Eigenschaft seine pragmatische Zurückhaltung ist, scheint zwar der Inbegriff von Beständigkeit und Berechenbarkeit. In der Vergangenheit wurde er aber regelmäßig zum schieren Gegenteil seiner selbst.Als Klimaretter etwa fiel Olaf Scholz bisher nicht auf. Im Gegenteil. Bitter beklagten sich in der Zeit der Hamburger Alleinherrschaft der SPD unter seiner Führung die Grünen sowie Umweltverbände darüber, dass der Senat nicht einmal gesetzliche Umweltstandards einzuhalten bereit sei, allein, um der Wirtschaft Top-Bedingungen zu bieten.
Als Innenminister in Hamburg erschreckte Scholz schon vor über 20 Jahren alle, die ihn wegen seiner marxistisch-antikapitalistischen Sprüche als Juso-Bundesvize für einen »echten« Linken gehalten hatten. Seine rabiaten Entscheidungen entsprangen einem sichtbar konservativen Staatsverständnis. Der Einsatz von Brechmitteln zur Bekämpfung des Drogenhandels machte damals Schlagzeilen und unterlief nach Meinung der Kritiker menschenrechtliche Standards. Beim G20-Gipfel im Jahr 2017 in Hamburg bestätigte Scholz als Bürgermeister dieses Staatsverständnis mit seinem Vorgehen gegen protestierende Gipfelgegner.
In den vergangenen Wahlkampfmonaten predigte Kandidat Scholz das im Programm seiner Partei festgeschriebene Motto vom »Respekt« vor der Würde aller Bürger, warb für Sozialstaat und sozialen Ausgleich und verweist nun, da er gewählt ist, stolz auf sozialstaatliche Vorhaben der nächsten Bundesregierung. Leicht gingen ihm plötzlich Glaubenssätze von den Lippen, die er einst als Generalsekretär der SPD unter Gerhard Schröder zu zertrümmern half. Kein Widerspruch zerriss ihn, der doch die Hartz-IV-Reformen in der eigenen, revoltierenden Partei durchzupeitschen oder die Rente mit 67 durchzusetzen geholfen hatte. Was er auch tat oder tut - immer scheint er mit sich im Reinen, und am Ende auch mit seiner Partei. Ob Sozialabbau oder flächendeckender Mindestlohn, alles hatte bei ihm seine Zeit.
Geheuer ist ihm die Linkspartei nicht
Die Linke sollte wohl froh sein, zur Probe aufs Exempel nicht wirklich herausgefordert worden zu sein - in einer Koalition mit der Scholz-SPD. Gewiss hätte Scholz die Chance auf das Kanzleramt auch ergriffen, wenn sie nur gemeinsam mit der Linken realisierbar gewesen wäre. Doch geheuer ist ihm die Linkspartei nicht, obwohl sozialdemokratische Politik doch am besten mit ihr durchsetzbar wäre. Die Abneigung verbarg der SPD-Kandidat hinter seiner hanseatischen Maske nur notdürftig. »Auf dem Weg in die Demokratie« sieht er die Partei gönnerhaft, aber eine »klare Absage an ihre DDR-Vergangenheit« ist ihm Kriterium hierfür. Dass er sich in die Lebensverhältnisse im Osten hineingedacht hätte, deren Gleichwertigkeit das eigene Programm von ihm herzustellen verlangt, ist irgendwie schlecht vorstellbar.
Es mag ihm Test auf die eigene Kanzlertauglichkeit gewesen sein, als er es ablehnte, die Linke mit der AfD gleichzusetzen, wie die stichelnde Union es tat. Zugleich setzte er der Linken die Pistole auf die Brust mit der Forderung nach einem Bekenntnis zur Nato. Nein, Verständnis gegenüber der Linken kann man dem künftigen Kanzler nicht unterstellen, viel weniger als gegenüber seinen künftigen Koalitionspartnern.
Grüne und FDP behandelt er seit der Bundestagswahl am 26. September betont respektvoll und zurückhaltend. Klaglos nahm er hin, dass die Öffentlichkeit nicht auf ihn, den Wahlsieger, sondern auf seine Mitbewerber blickte. Auf Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen sowie Christian Lindner von der FDP. Sie entschieden, ob Armin Laschet von der CDU oder Scholz mit ihnen eine Regierung bilden durfte, bestimmten die Regeln und wohl auch die Preise, um die es in Gestalt von Ministerien ging.
Der Verzicht auf demonstrative Führungsgesten bedeutet nicht Schwäche
Scholz spricht von der kommenden Regierungszeit als dem »wahrscheinlich ehrgeizigsten Modernisierungsprojekt, das Deutschland seit weit mehr als 100 Jahren verfolgt«. Und danach von sozialen Aufgaben, die daraus resultieren sowie vom liberalen Aufbruch. Nein, man kann Scholz bisher keine eifersüchtig beanspruchte Wortführerschaft in der Koalition vorwerfen. Wer sich als Regierungschef lieber dominante Typen wie Helmut Kohl oder Gerhard Schröder vorstellt, wird an Olaf Scholz nicht viel Kanzlerhaftes finden. So wenig, wie an Angela Merkel zu finden war. Das ist vielleicht nicht das Unsympathischste an dem neuen Mann im Kanzleramt. Der Verzicht auf demonstrative Führungsgesten ist jedoch nicht mit Schwäche zu verwechseln. Scholz scheint offen für vieles. Doch das mit aller Entschlossenheit.
Führungskraft plus einen neuen Stil des Dialogs der Regierungspartner verspricht Scholz im Interview der »Zeit«. Sowie eine »starke Regierung, die entschlossen handelt und ihrer Aufgabe gewachsen ist. Ich verspreche: Das werden wir sein.« Ein Machtwort von der Politik ist derzeit eine polarisierende Forderung, der sich Scholz wegen der der Coronapandemie bereits vor seiner Vereidigung ausgesetzt sieht. Er reagiert darauf souverän unter Hinweis auf die amtierende Regierung und weist ein Machtvakuum zurück. Sicher sind die jetzigen Zeiten geeignet, eine neue Regierung sogleich ins Straucheln zu bringen. Jedoch ist Scholz als Vizekanzler nicht nur an der Vorgängerregierung beteiligt, sondern auch mit allen Wassern gewaschen.
Das betrifft auch den Umgang mit Fallstricken auf seinem Weg, die ohne sein Zutun womöglich nicht dort lägen. So nahm ihm nicht nur die Opposition übel, wie sich der Bundesfinanzminister im Juni im Untersuchungsausschuss zur Pleite des Wirecard-Konzerns verhielt. Scholz wies dabei jede Verantwortung von sich. Der Kanzlerkandidat der SPD habe sich damit nicht gerade für die Regierungsspitze empfohlen, fanden die Grünen damals noch. Auch die Affäre um die illegalen Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Warburg-Bank hängt ihm noch an. Die Finanzbehörde der Hansestadt hatte auf die Rückzahlung ergaunerter Steuermilliarden verzichtet, die die Bank durch diese Geschäfte erschlichen hatte, und bis heute ist dabei die Rolle von Bürgermeister Scholz unklar geblieben, der die Banker damals zum Gespräch empfing.
Schröders leistete angeblich Lobbyarbeit
Neuesten Recherchen zufolge leistete übrigens Altkanzler Gerhard Schröder, einst Scholz’ Chef, in den vergangenen Monaten heftig Lobbyarbeit zum Thema betriebliche Rente. Mit Scholz sprach er demnach zuletzt am Tag vor Beginn der Sondierungsgespräche. Schröder ist Januar 2020 Vorstand der »Betrieblichen Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen«, Lobbyverband für betriebliche Altersvorsorge-Produkte. Auch bei Arbeitsminister Hubertus Heil sprach Schröder vor. Eine Stärkung der Betriebsrente ist Teil der neuen Regierungsvorhaben.
»Wenn sich die Lage ändert, muss man seine Position überdenken.« Das ist ein Satz, mit dem Olaf Scholz gegenüber der »Zeit« seinen Meinungsumschwung hin zu einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus begründet. Ein Satz, mit dem er womöglich manche Änderung seiner Positionen begründen könnte. Flexibel muss ein Bundeskanzler sicher sein. Scholz‘ Vorgängerin im Amt hing der ständige Vorwurf an, keine erkennbare politische Linie zu verfolgen, sondern kurzfristig, nach aktueller Lage zu entscheiden. Möglich, dass gerade diese Eigenschaft sie in den Augen der Öffentlichkeit so erfolgreich werden ließ.
Bei Scholz dürfte sich das nicht wiederholen. Zu groß der Berg anstehender Probleme, zu ambitioniert die Koalitionspartner, zu groß die Erwartungen der eigenen Wählerschaft. Sie sind genauso groß wie die Gefahr, das bei der Wahl erwiesene Vertrauen für die SPD wieder zu verspielen. Dann vermutlich endgültig.
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