- Berlin
- Berliner SPD stimmt Koalitionsvertrag zu
Lächelnd angenommen
SPD-Delegierte votieren auf Landesparteitag für den Koalitionsvertrag
Als erste der drei beteiligten Parteien hat die Berliner SPD dem rot-grün-roten Koalitionsvertrag zugestimmt. Bei einem digitalen Parteitag am Sonntag votierten 91,5 Prozent der Delegierten für das Regierungsprogramm, das Sozialdemokraten, Grüne und Linke für die kommenden fünf Jahre ausgehandelt hatten. Es gab 227 Ja-Stimmen, 16 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen.
Einigkeit an der Spitze
Zunächst war der Eindruck einer gut gelaunten Geburtstagsgesellschaft entstanden: Der im Neuköllner Estrel-Hotel abgehaltene SPD-Landesparteitag begann mit großen und wortreich vorgetragenen Gesten. Aus Potsdam angereist sind Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (designierter Bundeskanzler. Sie gratulierten sich selbst, aber auch den anwesenden Landesspitzen Franziska Giffey und Raed Saleh zu den sozialdemokratischen Wahlerfolgen in Bund und Land. »Ihr habt diese Stadt gerockt«, ruft Woidke Giffey zu. Zuvor hatte die Delegierte Iris Spranger in ihren Eingangsworten bereits den erwarteten Einzug Giffeys ins Rote Rathaus als »historischen Moment« bezeichnet.
Wo sonst der Applaus groß gewesen wäre, weil er so gut zu markigen Sätzen und Worten wie diesen passt, mangelte es jedoch an Beifallsbekundungen und stehenden Ovationen. Man tage »ohne die Atmosphäre eines Wahlsiegs«, bedauerte Scholz angesichts des pandemiebedingt größtenteils online stattfindenden Plenums, von dem man im Vorfeld mehr oder weniger gehofft habe, dass es in Präsenz stattfinden könnte. Die Aussprache und Beschlussfassung über die Koalitionsvereinbarung »Zukunftshauptstadt Berlin« für die Legislatur 2021 - 2026 standen daher unter dem Eindruck langer Vorreden von Scholz, Giffey und Saleh, denen die meisten Delegierten online folgten - für die Spitzenpolitiker*innen galt die beschlossene Redezeit von zwei Minuten nicht. Olaf Scholz erklärte der zukünftigen Regierenden Bürgermeisterin Giffey, dies sei »ein toller Job«, bei dem man zeitnaher als auf Bundesebene tatsächliche Veränderungen bewirken könnte.
Dietmar Woidke freute sich besonders über die 61-malige Erwähnung Brandenburgs im abzustimmenden Vertrag, was darauf hindeute, dass das Verhältnis der beiden Länder weiter gestärkt werden soll. »Das wird ein Strukturwandel ohnegleichen«, jubelte Giffey in Erwähnung des vertraglichen Bekenntnisses zu zukünftigen klimapolitischen Umwandlungsprozessen vor allem im Industriebereich. Auch den U-Bahn-Ausbau betrachtet die SPD-Politikerin als Teil des Klimaschutzes.
Giffey machte deutlich, dass sie in dem Koalitionsvertrag eine gute Basis sehe, um die Stadt in den kommenden fünf Jahren voranzubringen. »Wir gemeinsam haben jetzt die große Chance, Berlin als Stadt der Gleichstellung, der Vielfalt, der Weltoffenheit, als Stadt für all diejenigen zu gestalten, die hier frei und selbstbestimmt leben wollen«, sagte sie. Berlin solle wieder so stark werden wie es vor der Corona-Krise gewesen sei. Deshalb setze die Koalition auf Unterstützung für die Wirtschaft, eine Einstellungsoffensive für Polizei und Lehrer, die Fortsetzung der Schulbauoffensive, auf eine funktionierende Verwaltung, mehr Wohnungsbau und eine sichere, saubere Stadt.
Bildung soll vorangebracht werden
Raed Saleh, der gemeinsam mit Giffey die Landesspitze bildete, erklärte, im Ringen um den Koalitionsvertrag hätten vor allem die Verhandler*innen der Linkspartei der SPD »nichts geschenkt«. Der Vertrag bildet in seinen Augen »die Basis für fünf Jahre Stabilität«. Man habe von den Berliner Wähler*innen eine zweite Chance erhalten: »Die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an«, so Saleh. Vor allem im Bereich der Bildung sei die Sozialdemokratie zuständig, auch im Bereich der Einwanderung werde man durch eine zukünftig zentral geregelte Einbürgerung vielen Menschen in Berlin diesen Schritt zukünftig erleichtern, erklärte der Spandauer Abgeordnete.
Bei etlichen Delegierten klangen in der Aussprache derweil Zweifel an, ob man sich vor allem im Bereich der Wohnungsbauvorhaben nicht überhoben habe. Im Koalitionsvertrag ist die Zahl von 20 000 neuen landeseigenen Wohnungen jährlich verankert. Es sei zwar schön, dass es diese Zahl in den Vertrag geschafft habe, aber bei dieser »Mammutaufgabe« gehe es um das »wie«, erklärte unter anderem Mathias Schultz vom Kreisverband Mitte. »Ohne mietenregulierende Instrumente wird es nicht gehen«, sagte Schultz und forderte ein konkretes Vorgehen gegen Sharedeals, mehr Milieuschutz und einen bundesweiten Mietenstopp. »Es ist eine Pflicht für soziales Wohnen zu sorgen«, daran werde auch die SPD gemessen.
Mehr Klarheit für soziales Wohnen
Auch die im Estrel anwesende Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe erklärte Wohnungsbau zum entscheidenden Schlüssel für die Lösung sozialer Probleme in der Stadt. »Natürlich muss das Vorkaufsrecht rechtssicher ausgestaltet werden«, gab Kiziltepe einen konkreten Auftrag an die Landesspitze. Diese hatte zuletzt die Erarbeitung eines Gesetzes zur Vergesellschaftung profitorientierter großer Wohnungskonzerne blockiert, was bei Grünen, aber vor allem bei der Linkspartei für große Verstimmung gesorgt hatte.
Die drei Parteien regieren in Berlin bereits seit 2016 gemeinsam und hatten ihren neuen Koalitionsvertrag am vergangenen Montag vorgestellt. Bevor der neue Senat starten kann, müssen jedoch alle drei Parteien dazu Ja sagen. Die Linken begannen am Freitag einen Mitgliederentscheid, der zwei Wochen bis zum 17. Dezember dauert. Zuvor entscheiden die Grünen auf einem Parteitag am 12. Dezember. Geht alles glatt, könnte der neue rot-grün-rote Senat noch vor Weihnachten die Arbeit aufnehmen. Die SPD-Landesvorsitzende und frühere Bundesfamilienministerin Giffey soll in dem Fall am 21. Dezember im Abgeordnetenhaus zur neuen Regierenden Bürgermeisterin gewählt werden. Danach würden die Senatorinnen und Senatoren ernannt und vereidigt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.