In der Haft ums Leben gekommen

Indigene in Australien sterben weit überproportional häufig im Gefängnis. Die Regierung verschleppt vorgeschlagene Reformen

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 3 Min.

Glen Francis war erst 43 Jahre alt, als er im November reglos in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Maryborough in Queensland aufgefunden wurde. Francis ist jedoch nicht der einzige indigene Tote der vergangenen Wochen. Insgesamt verloren in den vergangenen fünf Wochen vier australische Indigene in Polizeigewahrsam ihr Leben. Seit 1991, als eine Royal Commission die indigenen Todesfälle im Justizsystem untersuchte und Verbesserungsvorschläge vorlegte, sind 500 Indigene in der Haft verstorben.

Der juristische Dienst für Aborigines und Bewohner der Torres Strait-Inseln (Natsils), der die Statistik am Montag veröffentlichte, warf den Landesregierungen, aber auch der Regierung in Canberra vor, Maßnahmen auszubremsen, um Todesfälle in Polizeigewahrsam zu verhindern.

Laut einer Analyse des »Guardian« von Todesfällen in Polizeigewahrsam sterben australische Indigene derzeit sechsmal häufiger in Polizeigewahrsam als Nicht-Indigene. In einem Bericht des australischen Senders ABC im April wurde kritisiert, dass selbst 30 Jahre nach der Royal Commission mehr als hundert Empfehlungen noch nicht umgesetzt seien. Der indigene Labour-Senator Pat Dodson nannte dies damals eine nationale Schande.

Dass im Verhältnis deutlich mehr Indigene in Polizeigewahrsam sterben, liegt heute wie auch 1991 daran, dass überproportional viele Gefängnisinsassen Aborigines sind. Im April 2021 waren 29 Prozent der Inhaftierten in Australien Indigene. Dabei machen indigene Menschen nur drei Prozent der australischen Bevölkerung aus. Die erste Aborigine-Abgeordnete im australischen Parlament, Linda Burney, forderte bereits 2017 eine Justizreform. »Dies bezieht sich nicht auf schwere Verbrechen«, betonte die sozialdemokratische Politikerin damals. »Die meisten Aborigines sitzen wegen Verkehrsdelikten im Gefängnis, weil sie ohne Führerschein gefahren sind oder Strafzettel nicht bezahlt haben.« Für diese Vergehen sollten alternative Strafen eingeführt werden, so Burney.

Im Juni 2020 schwappten die »Black-Lives-Matter«-Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt aus den USA nach Australien über, es gab Proteste im ganzen Land. Sonst ist das Thema aber meist unterrepräsentiert.

Unter den zahlreichen tragischen Schicksalen fallen auch immer wieder Fälle auf, in denen Indigene »zu ihrer eigenen Sicherheit« in Gewahrsam genommen wurden, in der Zelle dann verstarben. Schlagzeilen machte der Tod von Tanya Day, die wegen Trunkenheit festgenommen wurde, dann in der Zelle umkam, weil sie nicht die nötige medizinische Versorgung erhielt. Eine Analyse des »Guardian« aus dem Jahr 2018 stellte fest, dass 34 Prozent der Indigenen keine angemessene medizinische Versorgung vor ihrem Tod erhalten hatten, verglichen mit 25 Prozent der nicht-indigenen Bevölkerung. Indigene Frauen waren dabei am schlimmsten betroffen: 50 Prozent erhielten nicht die erforderliche medizinische Versorgung.

Das Ungleichgewicht betrifft viele Aspekte des Lebens. So zeigte der diesjährige »Closing the Gap«-Bericht, dass die Kluft zwischen den Indigenen und dem Rest der Bevölkerung in vielen Themen nach wie vor groß ist. So haben viele Aborigines keinen gleichwertigen Zugang zum Gesundheitswesen und auch die Lebenserwartung ist niedriger. Indigene Kinder sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Besonders tragisch: Die Selbstmordrate unter indigenen Jugendlichen ist viermal höher als die anderer australischer Jugendlicher.

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