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- Kommunisten in der NS-Zeit
Abbruch einer »Heldenfabrik«?
Udo Grashoff untersuchte Fälle von Verrat unter deutschen Kommunisten in der NS-Zeit
»Gefahr von innen. Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus« überschrieb Udo Grashoff sein Buch. Doch dieser Titel geht am Kern der Sache vorbei. Denn der Autor schildert nur vordergründig eine »Gefahr von innen«. Tatsächlich geht es um eine massive und existenzielle Gefahr von außen, um die direkten und indirekten Folgen des ungezügelten blutigen Terrors, den SA, SS und Gestapo bereits in den ersten Tagen und Wochen der faschistischen Diktatur in Deutschland entfesselten und der sich in erster Linie und mit größter Brutalität gegen die Mitglieder und Funktionäre der Kommunistischen Partei richtete.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Es war dieser Terror, der Menschen immer wieder in eine extreme Grenzsituation brachte, in der es buchstäblich um Leben oder Tod ging. Es war dieser Terror, der ungezählte Menschen – und nicht nur Kommunisten – immer wieder zu Entscheidungen und damit Handlungen zwang, die zu anderen Zeiten außerhalb ihrer Vorstellungskraft gelegen hätten.
Grashoff, Historiker an der Leipziger Universität und Verfasser zahlreicher Publikationen zur Geschichte der DDR, hat, wie er in der Einleitung seines Buches schreibt, auf der Grundlage von Akten der Gestapo, Materialien des Abwehrapparats der KPD, die im Parteiarchiv der SED aufbewahrt wurden, Untersuchungsergebnissen des Ministeriums für Staatssicherheit und weiteren, von der Forschung bisher kaum berücksichtigten Überlieferungen etwa 400 Kommunisten namhaft gemacht, die in den Jahren des Kampfes gegen die Hitler-Diktatur nach den damaligen Maßstäben ihrer Genossen zu »Verrätern« geworden waren.
Anhand dieser akribisch recherchierten Fälle behandelt er in drei großen Kapiteln die »Manifestationen von Verrat« in den Jahren 1933 bis 1945, »Grenzfälle von Verrat« und schließlich den »Umgang mit Verrätern«. Die Schlussfolgerung, zu der Grashoff gelangt, erscheint nur auf den ersten Blick paradox: »Verrat war für die illegale KPD ein signifikantes, existenzbedrohendes und zugleich peripheres Phänomen.«
Die von Grashoff ausgewählten Fälle werden mit großer Intensität geschildert und lassen kaum emotionale Distanz zu. Das macht ohne Frage den Wert des Buches aus. Doch in der Fülle des präsentierten Materials gehen wichtige Aspekte des Themas verloren: Ein nicht unerheblicher Teil der von Grashoff geschilderten Fälle entwickelte sich unter Umständen, die keineswegs nur für das kommunistische Umfeld »typisch« waren – sie hätten sich in ähnlicher Art und Weise auch in den Kreisen des nichtkommunistischen Widerstandes ereignen können.
Selbstverständlich verweist Grashoff auf ein ganzes Spektrum von kommunistischen »Spezifika«. So schildert er, dass durch die Massenverhaftung von Kommunisten in den ersten Wochen der Naziherrschaft unerfahrene und politisch kaum gefestigte Funktionäre in Schlüsselpositionen der nunmehr illegalen Partei kamen, die ihren neuen Aufgaben aus den unterschiedlichsten Gründen häufig nicht gewachsen waren.
Und er berichtet völlig zu Recht, dass auch unter den grundlegend veränderten Bedingungen der faschistischen Diktatur von verhafteten Kommunisten weiterhin erwartet und verlangt wurde, die von der Führung der KPD bereits in den Jahren der Weimarer Republik formulierten und längst weltfremden Verhaltensregeln für »Proletarier vor Gericht« auch bei Verhören durch die Gestapo, also auch unter schwerster physischer Folter, strikt einzuhalten. Viele Betroffene zwang das in einen existenziellen Konflikt, der sich oftmals nur durch »Verrat« auflösen ließ.
Doch so wichtige, ja in gewisser Weise entscheidende Fragen wie die massenhafte Verfolgung emigrierter deutscher Kommunisten als »Verräter« und »Volksfeinde« in der Sowjetunion ab Mitte der 30er Jahre, die auch in Deutschland bekannt war, und insbesondere die Auswirkungen der Moskauer Prozesse der Jahre 1936 bis 1938 auf den antifaschistischen Widerstandskampf erwähnt Grashoff zwar, indes er verzichtet auf eine tiefergehende Behandlung der daraus resultierenden Konfliktsituationen. Ähnlich verhält es sich mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom August 1939, der in der Tat in vielerlei Hinsicht eine Zäsur im antifaschistischen Kampf und der Geschichte der kommunistischen Bewegung darstellte.
Zwei abschließende Bemerkungen: Grashoff verweist durchaus respektvoll auf die Tatsache, dass sich nicht wenige Kommunisten einer ansonsten unvermeidlichen Kollaboration mit der Gestapo durch Selbstmord entzogen. Doch ausgerechnet in diesem Zusammenhang verzichtet er unverständlicherweise weitgehend darauf, Namen zu nennen, auf Biografien zu verweisen.
Und: Der Rezensent der »Süddeutschen Zeitung«, der sich dieses Buches angenommen hatte, irrt, wenn er unter Bezug auf den antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen Kommunisten schreibt, dass mit dieser Arbeit »erneut das Bild eines heroistischen Widerstands relativiert« werde.
Das Gegenteil ist der Fall: Grashoff liefert – wohl eher ungewollt, denn er spricht selbst vom »Abbruch der Heldenfabrik« – den Beweis, dass es angesichts von faschistischem Terror und tatsächlichem oder vermeintlichem Verrat in den eigenen Reihen, insbesondere unter den Kommunisten, immer wieder Menschen gab, die den Kampf gegen Hitler und sein verbrecherisches Regime auch um den Preis des eigenen Lebens weiterführten und damit einen – wenn letztlich auch nur symbolischen, aber dennoch wichtigen – Beitrag zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus geleistet haben.
Udo Grashoff: Gefahr von innen. Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Wallstein, 471 S., geb., 52 €.
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